Drive-by-Killing in Thessaloniki

Seite 5: Sicherheit und kommunistische Banditen

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Die Befreiung von den Nazis hätte die Gelegenheit zu einem Neuanfang geboten. Stattdessen wurden alte Wunden wieder aufgerissen und neue geschlagen. Die Briten handelten dabei mehr nach politischer Opportunität als im Interesse des griechischen Volkes, für das sie eine Verantwortung hatten. Die Amerikaner waren intern wenig begeistert von der Monarchie-Option, zeigten sich nach außen hin aber solidarisch mit ihren britischen Bündnispartnern (und schickten auch zum Monarchie-Referendum ein Kriegsschiff, mit ähnlichen Konsequenzen wie bei der Parlamentswahl). Im Februar 1947 teilten die Briten den Amerikanern mit, dass sie nicht länger in der Lage seien, die griechische Regierung militärisch und finanziell zu unterstützen. Meinungsführer im Weißen Haus, im US-Außenministerium und im Pentagon waren inzwischen die Falken, die für ein starkes amerikanisches Engagement plädierten, weil Griechenland sonst an die Kommunisten fallen werde, und danach der Nahe Osten. Am 12. März 1947 hielt Präsident Truman eine Rede vor dem Kongress, in der er erklärte, dass es für die nationale Sicherheit unerlässlich sei, "freien Völkern beizustehen, die sich der angestrebten Unterwerfung durch bewaffnete Minderheiten oder durch äußeren Druck widersetzen". Die Verkündung der "Truman-Doktrin" gilt allgemein als der Beginn des Kalten Krieges.

Griechenland, so Truman in seiner Rede, sei ein demokratisch regiertes Land, das durch die terroristischen Aktivitäten einiger Tausend von Kommunisten geführter Bewaffneter in seiner Existenz bedroht sei und um Hilfe gebeten habe. Darum möge der Kongress die nötigen Gelder bewilligen, um den Griechen die Freiheit und die Demokratie zu bewahren. Er ließ weg, dass die um Hilfe ansuchenden "Demokraten" gerade mit der Zwangsumsiedlung ganzer Dörfer beschäftigt waren; dass sie Bauern daran hinderten, sich um ihr Vieh zu kümmern und die Felder zu bestellen, um den Feind von der Versorgung abzuschneiden; dass sie die nicht regierungskonforme Presse knebelten; und dass die Polizei und halboffizielle Prügeltrupps mit großer Brutalität auf die "Kommunisten" in der Zivilbevölkerung losgingen (wer ein "Kommunist" war bestimmten die Reaktionäre in den Sicherheitsorganen). Der US-Kongress billigte das Hilfsprogramm. Weitere Finanzmittel würden folgen, von denen ein großer Teil in den griechischen Militäretat floss.

Die griechische Regierung stimmte der Entsendung amerikanischer Berater zu. Diese Berater definierten die Bedingungen, unter denen das Geld ausgezahlt wurde und hatten damit Einfluss auf die politischen, ökonomischen und militärischen Belange des Landes. Dann unterzeichneten der griechische Ministerpräsident und der US-Botschafter ein Wirtschaftsprogramm. Das war am 8. Juli 1947. Ebenfalls in der ersten Juliwoche informierte der Ministerpräsident MacVeagh über die Entscheidung seiner Regierung, überall im Land Massenverhaftungen vorzunehmen, um einen Staatsstreich der Kommunisten zuvorzukommen. Der Botschafter tat nichts, um das zu verhindern, obwohl der bestens vernetzte britische Geheimdienst nichts von einem geplanten Staatsstreich wusste. In der ersten Julihälfte wurden etwa 15.000 Verdächtige verhaftet und in auf den Inseln eingerichtete Lager deportiert. MacVeagh spricht in seinen Telegrammen nach Washington von "Banditen und ihren kommunistischen Anführern". Einer von denen, die Jahre auf den Inseln zubringen mussten, war der Vater von Costa-Gavras. Der Regisseur versichert, dass sein Vater nie Kommunist war. Er hatte als Republikaner im Widerstand gegen die Deutschen gekämpft.

In einer Welt, in der Griechenland eine wichtige geostrategische Rolle im Ost-West-Konflikt zufiel, war für solche Unterscheidungen kein Platz. Die kommunistische Gefahr musste unbedingt gebannt werden. Im Sommer 1947 drohten die Amerikaner mit der Aussetzung der Militär- und Wirtschaftshilfe, um zwei Ziele zu erreichen: 1. Die Bildung einer Mitte-Rechts-Regierung, die zumindest den Anschein erweckte, eine breite Basis in der griechischen Bevölkerung zu haben (unter Ausschluss von allen, die irgendwie links von der Mitte waren). 2. Eine griechische Armee, die auch nach ihrer Neuorganisation unter einer rechtskonservativen (bis rechtsextremen) und antikommunistischen Führung stand. Beide Ziele wurden erreicht, weil die griechischen Partner ein Zudrehen des Geldhahns fürchteten. Eine Verhandlungslösung im Bürgerkrieg (und also wohl die einzige Möglichkeit zur Überwindung der inneren Spaltung) rückte damit in weite Ferne.

Die Kampfhandlungen zogen sich noch bis Herbst 1949 hin. Dann musste die Demokratische Armee Griechenlands (DSE) aus Finanznot aufgeben. Die DSE wurde von Titos Jugoslawien mit Geld und Waffen unterstützt, weil Stalin die mit Churchill getroffene Vereinbarung respektierte, aber von der moskautreuen KP kontrolliert. Als Tito sich mit Stalin zerstritt, beendete er die Hilfen für die DSE. Die griechischen Militärs hatten sich inzwischen an üppige Geldflüsse gewöhnt, was die Amerikaner damit rechtfertigten, dass nicht nur äußere Feinde abgewehrt, sondern die griechischen "Banditen" bekämpft werden mussten, um die innere Sicherheit zu garantieren. Auch nach dem Bürgerkrieg verfolgten die USA eine Politik, die grundsätzlich immer diejenigen unterstützte, die den eigenen strategischen Interessen am meisten nützten.

Die Fixierung auf Sicherheit und Stabilität ging nicht nur zu Lasten der - echten oder eingebildeten - Kommunisten, sondern auch der liberalen Kräfte, mit denen man für beide Seiten akzeptable Kompromisse hätte finden müssen, weil die Interessen der Amerikaner nicht deckungsgleich mit denen der Griechen waren. Natürlich sollte Griechenland eine Demokratie sein, mit Bürgerrechten und einer freiheitlichen Gesellschaft. Aber es gab übergeordnete Gesichtspunkte. Die USA hätten beschlossen, heißt es in einem Protokoll des National Security Council von 1951, "die Einhaltung demokratischer, rechtsstaatlicher politischer Praktiken zu fördern und auch den Schutz der bürgerlichen Freiheiten, soweit es mit der Sicherheit des Staates vereinbar ist". Griechenland führte der nun eingeschlagene Weg in die Militärdiktatur.

Tod eines Nationalhelden

1952 trat Griechenland der NATO bei. Die griechische Regierung erlaubte die Einrichtung jener NATO- bzw. US-Stützpunkte, gegen die in Z die Freunde des Friedens protestieren, und von den USA gab es dafür weitere Militär- und Wirtschaftshilfen. Das war ein Förderprogramm für um US-Gelder wetteifernde Eliten. Die nationalen Belange waren nicht ganz so wichtig, wenn dafür die eigenen Partikularinteressen bedient wurden. 1952 war auch das Jahr, in dem Nikos Beloyannis getötet wurde, der für viele Griechen, und nicht nur solche von weit links, ein Nationalheld ist. Der Kommunist und Widerstandskämpfer Beloyannis (alternative Transkriptionen: Belojannis oder Belogiannis) saß beim Diktator Metaxas und den Nazis im Gefängnis, schloss sich nach seiner Flucht den Partisanen an, war während des Bürgerkriegs in der DSE aktiv, setzte sich nach deren Niederlage ins Ausland ab und kam bald zurück, um in Athen die Ortsgruppe der verbotenen KP Griechenlands neu aufzubauen. Im Dezember 1950 festgenommen, wurde er in einem Massenprozess vor ein Kriegsgericht gestellt und mit einigen Kameraden zum Tode verurteilt. General de Gaulle und international bekannte Künstler wie Jean Cocteau, Jean Paul Sartre und Charlie Chaplin baten ebenso erfolglos um seine Begnadigung wie 159 Abgeordnete der britischen Labour Party und der Tories (bei der ehemaligen Schutzmacht hatten inzwischen viele erkannt, was man in Griechenland angerichtet hatte). Beloyannis wurde hingerichtet, weil er angeblich Staatsgeheimnisse an eine fremde Macht (die Sowjetunion) verraten hatte.

Wie wenig der Bürgerkrieg 1949 zu einem friedlichen Abschluss gekommen war ist daran zu erkennen, dass die Länder des Ostblocks noch Ende der 1950er Flüchtlingskontingente aufnahmen. Das ist gar nicht so lange her und rückt noch näher an die Gegenwart heran, wenn man weiß, dass zahlreiche der aus Griechenland Geflohenen - und deren Kinder - erst in den 1980ern dorthin zurückkehrten (sofern sie nicht in ihrer neuen Heimat blieben oder gestorben waren). Der 1981 zum Ministerpräsidenten gewählte Andreas Papandreou war der erste Regierungschef, der ernsthafte Repatriierungsmaßnahmen einleitete. Viele von den damals Jüngeren, auch aus der nächsten Generation, leben jetzt in Deutschland, wo sie mit fortschreitender europäischer Integration bessere Chancen für sich sahen als in Griechenland. Es wird interessant sein zu beobachten, ob eine griechische Regierung versuchen wird, die jungen Leute zurückzuholen, die heute aus wirtschaftlichen Gründen abwandern, und wann das sein wird.

Rund 9000 Griechen kamen nach dem Bürgerkrieg in Ungarn unter, wo sie, soweit bekannt, vorbildlich eingegliedert wurden. Flüchtlinge aus 263 griechischen Ortschaften gründeten 50 Kilometer südlich von Budapest ein eigenes Dorf, das 1952 mit 1850 Menschen seine höchste Einwohnerzahl erreichte und zunächst den wenig originellen Namen "Griechendorf" trug. 1953 wurde es in Beloiannisz umbenannt, nach Nikos Beloyannis. Wer mal Gelegenheit hat, Kali patrida, syntrofe (1986) zu sehen, Lefteris Xanthopoulos’ Film über die Bewohner von Beloiannisz und ihren schwierigen Weg zurück: Es lohnt sich und verrät einem viel über Griechenland, wenn man sich nicht auf die Debatte über guten oder schlechten Kommunismus versteift, die es dem bei den Festivals von Thessaloniki und Locarno prämierten und dann in die Ideologieecke gestellten Film sehr schwer machte, ein Publikum zu finden.

Im sozialistischen Osteuropa, auch außerhalb von griechischen Emigrantenkreisen, wurde Nikos Beloyannis als Märtyrer der Arbeiter und Bauern gefeiert. In der DDR organisierte man Protestmärsche der Werktätigen, als ihn das griechische Militärtribunal verurteilte. Auf dem Gelände der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst (heute: Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin) wurde ein von René Graetz geschaffenes Beloyannis-Denkmal errichtet, und die Erfurter Firma Topf & Söhne, die Buchenwald und Auschwitz mit Verbrennungsöfen beliefert hatte, wurde 1952 in NAGEMA VEB Maschinenfabrik "Nikos Belojannis" umbenannt (keiner kann sich aussuchen, wie er posthum geehrt wird). Leute mit DDR-Sozialisation haben möglicherweise ein ganz anderes Griechenland-Bild (und in der Folge auch eine andere Einstellung zu den Rettungs- und sonstigen Programmen) als Bürger der alten BRD. Seltsamerweise nimmt man das im Westen kaum zur Kenntnis.

Nach der Lesart in Deutschland Ost war Beloyannis ein Opfer des US-Imperialismus, und da insbesondere von John Peirifoy, einem fanatischen Antikommunisten, der von 1950 bis 1953 US-Botschafter in Griechenland war, eine ihm genehme Mitte-Rechts-Regierung (mehr Rechts als Mitte) wenn nicht installierte, so doch aktiv beförderte und als Freund der Königsfamilie deren Einfluss stärkte. Dieser Diplomat ging so undiplomatisch zu Werke, dass sein Name zum heute noch benutzten Synonym für die brachiale Einmischung ausländischer Funktionäre in die griechische Politik wurde. Der DDR-Version zufolge sorgte Peurifoy für den Justizmord an Nikos Beloyannis. Auszuschließen ist das nicht. Zumindest fällt es schwer zu glauben, dass die griechischen Machthaber Beloyannis trotz der internationalen Proteste hingerichtet hätten, wenn der Botschafter es nicht gebilligt hätte. Wer mehr über den Fall Beloyannis wissen und dabei etwas über die Griechen und den in die Gegenwart herein reichenden Kalten Krieg erfahren will lese Das Gebot von Dido Sotiriu: ein gutes Buch, das in Griechenland bereits knapp 40 Auflagen erreicht hat und in deutscher Übersetzung beim Romiosini Verlag erschienen ist (leider nur noch antiquarisch erhältlich).

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