Drive-by-Killing in Thessaloniki
Z von Costa-Gavras, wiedergesehen im Lichte der griechischen Schuldenkrise - Eine Reise durch die jüngere griechische Geschichte in drei Teilen
Und dann eines Sonntags der Ausflug mit dem Schiff Freude nach Ägina, der zum zweiten Mal von den Deutschen besetzten Insel, diesmal Touristen, während die Mütter politischer Gefangener darauf warteten, ihre Kinder sprechen zu können. Zwanzig im Gefängnis verbrachte Jahre, während die deutschen Touristen, in Shorts, den Photoapparat in der Hand - statt Stiefeln und Maschinenpistolen -, bewundernd die sinkende Sonne betrachteten.
Vassilis Vassilikos, Z
Monika Grütters, Kulturstaatsministerin, forderte bei der diesjährigen Verleihung des Deutschen Filmpreises mehr Mut zur Kunst und zu politisch relevanten Themen. Bei den Filmschaffenden mit dem Hang zur belanglosen Komödie stieß sie damit auf Ablehnung und Unverständnis. Was ist das eigentlich: ein politisch engagierter Film mit Kunstanspruch? Der Regisseur Costa-Gavras drehte von 1968 bis 1972 drei Filme mit Ives Montand, die zeigen, wie man ein explizit politisches Kino macht, ohne dabei langweilig zu werden, die Filmkunst zu verraten oder den Zuschauer zu bevormunden. Der erste von den dreien, Z, ist sehr aktuell, weil er uns daran erinnert, dass die griechische Staatskrise nicht nur wirtschaftliche Ursachen hat. Es gibt eine Vorgeschichte, in der ausnahmsweise nicht die Beutezüge des Dritten Reichs und die den Griechen vorenthaltenen Reparationszahlungen tragende Rollen spielen, sondern die Briten und die Amerikaner. Ganz ohne Nazis geht es aber trotzdem nicht.
Mit bunten Orden fängt es an. Protzig füllen sie die Leinwand. Zwei Stunden später werden wir sie wiedersehen. Sie werden an der gestärkten Uniformbrust hochrangiger Offiziere hängen, wenn uns der Film an einer der großen Utopien im Kino der 1960er teilhaben lässt. Ein Happy Ending à la Hollywood allerdings wird es nicht geben. Die Utopie zerschellt vielmehr am Zynismus der Macht und der Realpolitik. Ähnlichkeiten mit der Wirklichkeit, heißt es am Schluss des Vorspanns mit den Orden, sind nicht zufällig, sondern beabsichtigt. Erzählt wird eine wahre Geschichte.
Am 22. Mai 1963 trat der überaus populäre Oppositionspolitiker Grigoris Lambrakis, Parlamentsabgeordneter der Vereinigung der Demokratischen Linken (alle anderen linken und linksliberalen Parteien waren in Griechenland verboten), in Thessaloniki bei einer Kundgebung für Frieden und Abrüstung als Redner auf. Danach wurde er Opfer eines Mordanschlags. Als er das Veranstaltungslokal verließ fuhr plötzlich ein dreirädriger, von Spiros Gotzamanis gesteuerter Kleinlaster auf ihn zu, obwohl die Polizei das Gelände weiträumig abgesperrt hatte. Auf der Ladefläche befand sich Manolis Emmanouilidis, der, wie sich später herausstellte, genauso zu einem rechtsextremen Geheimbund gehörte wie Gotzamanis. Im Vorbeifahren schlug Emmanouilidis dem Abgeordneten mit einem Knüppel auf den Kopf. Dieses von den Behörden zunächst als Verkehrsunfall mit Todesfolge deklarierte Attentat löste einen Politskandal aus, der den griechischen Staat auf ähnliche Weise erschütterte wie Watergate die USA. Z, einer der großen Politthriller aus der Zeit des Kalten Krieges, deckt die Hintergründe auf. Trotz seiner historischen Bezüge hat der Film - vergleichbar mit Hitchcocks Topaz - eine fast abstrakte, im Speziellen das allgemein Gültige suchende Qualität. Darum ist er in den letzten 50 Jahren kaum gealtert.
Im Weinberg der Faschisten
An Z beeindruckt, mit welchem Drive Costa-Gavras und seine Cutterin Françoise Bonnot diese Geschichte ausstatten, und welchen Sog sie dadurch entwickelt. Die dauernde Bewegung, unterstützt durch Raoul Coutard an der Kamera, ist ein Strukturmerkmal des Films. Obwohl nicht in jeder Szene linear erzählt, drängt er unaufhaltsam voran. Wahrscheinlich ist das ein Grund dafür, warum einem Z ein so positives Gefühl vermittelt, auch wenn er mit einer Antiklimax endet und Kontinuitäten aufzeigt, auf die ich gern verzichten könnte. Zuletzt habe ich hier bei Telepolis über eher statische NS-Propagandafilme mit Emil Jannings geschrieben und über Ilse Koch, die Gattin des Buchenwald-Kommandanten. Z, dachte ich mir, meiner unvollständigen Erinnerung vertrauend, müsste eine nette Abwechslung sein. Dynamik anstelle von altväterischem Dahergerede; keine Nazis; keine mir völlig unverständliche Form der Menschenverachtung; Mord zur Ausschaltung des politischen Gegners und also aus Motiven, die ich nicht billige, aber wenigstens nachvollziehen kann. Auch dieser schöne Traum scheiterte an der Wirklichkeit. Den Nazis entkommt man nicht so leicht. Das zeigt schon die erste Szene.
Wir befinden uns in einem nicht näher bezeichneten Land im Mittelmeerraum. Der aus der Hauptstadt angereiste Staatssekretär hat das Ende seiner Ausführungen über den Schutz heimischer Reben vor Mehltau erreicht. Dreimal seien die Pflanzen mit einer chemischen Lösung zu besprühen, sagt er, und man wundert sich über die vielen Uniformen im Auditorium, bei diesem Vortrag über die Probleme der Landwirtschaft. Als jemand, der mit Heinz-Rühmann-Filmen aufgewachsen ist, und weil es um die jungen Triebe geht, erinnert man sich vielleicht vage an den Lehrer Brett in Die Feuerzangenbowle, der aus seinen Schülern gerade Bäume machen will, weil sie dann besser in Reih und Glied stehen können - so wie Jannings’ "Lange Kerls" in Der alte und der junge König.
Renate Rasp, die heuer verstorbene Tochter des großen Fritz (Der Schmale in Metropolis; Herr Schorin in Am grünen Strand der Spree; Veteran zahlreicher Edgar-Wallace-Filme), hat darüber ein Buch geschrieben, das 1967 für viel Empörung sorgte, weil es bei den durch das Dritte Reich geprägten Deutschen einen Nerv traf: In Ein ungeratener Sohn versucht ein Vater, seinen Stammhalter (!) durch Umerziehung in einen Baum zu verwandeln. Auch Jorge Semprún war vertraut mit der Vorliebe der Faschisten für solche Metaphorik aus dem Pflanzenreich und der Schädlingsbekämpfung. Als Gegner der Franco-Diktator war er ins französische Exil gezwungen worden, die Nazis hatten ihn von dort nach Buchenwald verschleppt, und als undogmatischer Linker war er kürzlich aus der spanischen Exil-KP ausgeschlossen worden, bevor er zusammen mit Costa-Gavras das Drehbuch zu Z schrieb. Mit totalitären Geisteshaltungen kannte er sich aus.
Der Mehltau, sagt der Staatssekretär, sei zur gleichen Zeit aufgetaucht wie eine ideologische Krankheit, von der die Menschheit befallen sei. Damit übergibt er das Wort an den Chef der Ordnungskräfte, der schon angefangen hat, sich zu langweilen. Der General kommt jetzt zur Sache und erläutert den Zuhörern, dass diese ideologische, von schädlichen Keimen und Parasiten ausgelöste Krankheit genauso bekämpft werden müsse wie der Mehltau. Schüler, Studenten und junge Arbeiter müssten besprüht werden wie die Reben, und der Militärdienst sei die beste Zeit, um einer Infektion des nationalen Baums der Freiheit durch den ideologischen Mehltau vorzubeugen. Es sei die Pflicht eines jeden Staatsdieners, die gesunden Elemente der Gesellschaft zu bewahren und die kranken zu heilen. Die Metapher vom Staatskörper, der vor (politischen) Krankheiten geschützt werden muss, werden wir im Laufe des Films noch mehrfach hören: bei der Versammlung einer rechtsextremen Organisation ebenso wie aus dem Mund der Schläger, die mit dem Knüppel auf Leute losgehen, für die im Weinberg der Faschisten kein Platz ist. "Geheilt" wird in diesem Staat mit brutaler Gewalt.
Der General hat auch etwas über das Phänomen der Sonnenflecken zu sagen. Diese hätten sich vervielfacht, seit "Ismen" wie Sozialismus, Anarchismus und Kommunismus auf der Welt seien. Gott weigere sich, den Roten Licht zu spenden. Seit dem Erscheinen von Beatniks, Provos und Pazifisten hätten Wissenschaftler eine weitere Zunahme der Sonnenflecken festgestellt. Und heute Abend plane der Feind eine Kundgebung in der Stadt. Da man in einer Demokratie lebe, werde man die Veranstaltung nicht verbieten. Man werde aber auch eine Gegendemonstration nicht unterbinden. Die Gegendemonstranten seien die Antikörper, die man brauche, um den Staat gesund zu erhalten und den ideologischen Mehltau abzuwehren.
Der politische Gegner als Krankheitserreger? Sonnenflecken als wissenschaftlicher Beweis für die Gottlosigkeit von Roten, Hippies und Beatniks? Geht’s noch? Pierre Dux, der Darsteller des Generals, sagte damals in einem Interview, er habe gezögert, einen solchen Heuchler und Widerling zu spielen, dann aber doch seinen Spaß gehabt, weil er sich mit Costa-Gavras darauf verständigt habe, ihn als ein wenig naive und auch komische Figur anzulegen. Er wirkt echt betroffen, als er sagt, dass Gott die Roten im Dunkeln stehen lässt. Im Kontext des Films macht das den General noch gruseliger, weil der Mann ungehindert als Chef der Polizei amtieren kann, statt wegen Gehirnerweichung aus dem Verkehr gezogen zu werden.
Am Ende applaudiert das Publikum, als hätte es den Ausführungen eines großen Denkers gelauscht, und der General dankt mit dem Gruß der Faschisten. So etwas kennt man aus der deutschen Vergangenheit. Heinrich Himmler war ein Anhänger der Welteislehre (das mit den Sonnenflecken passt da gut hinein), träumte von der Züchtung des Urgermanen und glaubte an den Donnerkeil als technologische Superwaffe arischer Übermenschen. Adolf Hitler legte mit Mein Kampf ein Kompendium des gesammelten Schwachsinns vor, was immer für einen Lacherfolg sorgte, wenn Helmut Qualtinger später daraus vorlas. Trotzdem fungierte der eine als Chef der SS und der Polizei, und dem anderen jubelten die Deutschen als ihrem Führer zu. Hinterher zählte man die Opfer.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.