Drive-by-Killing in Thessaloniki

Seite 2: Innere Sicherheit

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Die vom General erwähnten Feinde nennen sich "Freunde des Friedens" und treten für eine atomwaffenfreie Mittelmeerregion ein. Bei einer für den Abend geplanten Veranstaltung soll "der Doktor" sprechen, der im echten Leben Grigoris Lambrakis hieß und im Film ohne Namen bleibt, weil Costa-Gavras zwar eine wahre Geschichte erzählt, dies jedoch ohne Nennung der historischen Vorbilder, um die Perspektive nicht auf einen bestimmten Ort und einen bestimmten Personenkreis zu verengen. So hatte es schon Vassilis Vassilikos in der Romanvorlage gehalten, wo die Vertreter eines mit Keulen operierenden Regimes "Archegosaurus" oder "Mastodon" heißen. Ziel war es, aus den zur Verfügung stehenden Fakten das Modellhafte zu destillieren, den Mechanismus, der bei solchen Ereignissen in Gang gesetzt wird, unabhängig vom jeweiligen Gesellschaftssystem. Wenn man die überlieferten Reaktionen des Publikums zum Maßstab nimmt, gelang das sehr gut. Zuschauer in aller Welt (der Film wurde ein internationaler Erfolg, was die Reaktionäre furchtbar ärgerte) glaubten, auf der Leinwand einen General aus ihrem Land wiederzuerkennen.

Costa Gavras: "Z"

Bernard Fresson, den man vorher in einer kleinen, aber feinen Rolle in Alain Resnais’ wunderbarem Je t’aime, je t’aime hatte sehen können, spielt den Anwalt Matt, einen Aktivisten im Organisationskomitee der Freunde des Friedens. Matt erfährt von Herrn Bozini, dem Besitzer des für die Veranstaltung angemieteten Saales, dass dieser von der Vereinbarung nichts mehr wissen möchte. Bozini wurde unter Druck gesetzt, hat so viel Angst, dass er die Quittung für die Vorauszahlung verschlucken will und rettet sich in billige Ausflüchte. "Wer steckt dahinter?", fragt Matt. "Was ist der wirkliche Grund?" Die Antwort gibt der Film. Bozini schaut kurz hinüber zum rechten Bildrand. Da steht ein Mann mit Sonnenbrille. Bevor sich der Mann aus der Einstellung stiehlt bleibt noch Zeit für einen Blick auf die Zeitschrift, die er zu lesen vorgibt. Es ist die Ausgabe des Look-Magazins vom 28. Mai 1968, mit einer Titelgeschichte über "America’s Concentration Camps".

Der Artikel handelt vom Internal Security Act, auch als McCarran Act bekannt. Senator Pat McCarran, ein Rechtsaußen der Demokratischen Partei, war einer der wichtigsten Verfechter dieses 1950 verabschiedeten Sicherheitsgesetzes, das die Rechte politisch Andersdenkender beschnitt, um die Freiheit zu schützen, damals gegen den Kommunismus. Auch wenn die USA nicht mit dem Dritten Reich zu vergleichen sind: Der Internal Security Act war einer Demokratie nicht würdig. Man kann da schon mal an Orwells 1984 denken, oder an die "Schutzhaft" der Nazis. Peter Watkins hat daraus einen beklemmenden Film gemacht. In Punishment Park (1971) nützt Richard Nixon den McCarran Act, um den Rechtsstaat auszuhebeln und Gegner des Vietnamkriegs sowie andere Dissidenten in eine modernisierte Form von Konzentrationslager sperren zu lassen.

Costa Gavras: "Z"

Der Mann mit der Sonnenbrille ist unschwer als CIA-Agent zu erkennen. Als Kinozuschauer weiß man, dass CIA-Agenten eine Sonnenbrille tragen. Costa-Gavras verwendet populäre Muster und manchmal auch ein paar Klischees, weil er ein möglichst breites Publikum erreichen will, geht aber sehr innovativ mit den Regeln des Thrillers um. So entsteht ein vielschichtiger Film, der nur auf den ersten Blick so wirkt, als würde da mit eher schlichten Schwarz-Weiß-Mustern gearbeitet. Z bezieht seine Spannung nicht aus der Suche nach einem Mörder. Die Frage ist vielmehr, wie der Mord begangen wurde und ob die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden. Nicht verantworten muss sich, das kann man gleich verraten, der US-Agent, obwohl er und seine Auftraggeber offenbar im Hintergrund die Fäden ziehen. Z bleibt da ganz realistisch, konzentriert sich auf die Inländer und weist doch darauf hin, dass die Griechen nicht allein für den Schlamassel verantwortlich sind, in dem sie stecken. Denn natürlich geht es, bei aller Abstraktion, auch um Griechenland.

Heilige Hellenen

Die Rede ist hier jetzt von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und nicht von der Antike, nicht von den alten Griechen und vom Demos, der Polis, oder was der Gebildete sonst noch an Fremdwörtern in die Debatte wirft, wenn es um aktuelle Krisen geht. Wenn deutsche Fernsehsender ihre Leute nach Griechenland schicken, nehmen diese wie unter Zwang Aufstellung vor der Akropolis, um in der Anmoderation über die "jahrtausendealte Demokratie", Athen als die "Wiege der Demokratie" und dergleichen zu referieren, als hätte das etwas mit den gerade zu lösenden Problemen zu tun. Vom griechischen Schuldenberg führt aber so wenig ein Weg in das Athen von Platon und Sophokles, wie es eine institutionelle Kontinuität zwischen der vor 2500 Jahren praktizierten Form der Demokratie und demokratisch verfassten Staaten unserer Tage gibt.

Gegen den Zwang zum Verweis auf das antike Griechenland scheint niemand gefeit. Ein im Guardian veröffentlichter Aufruf von Intellektuellen gegen die Politik der Eurozone endet mit diesem schönen Satz: "Der Ort, an dem die Demokratie geboren wurde, gibt Europa die Gelegenheit, das Bekenntnis zu seinen Idealen im 21. Jahrhundert zu erneuern." Klingt gut. Nur: Was macht man jetzt damit? Bringt es uns weiter, wenn wir den - leicht wabernden - Geist der Akropolis beschwören, vielleicht garniert mit einem Bild des notorisch fremdgehenden Göttervaters Zeus, der sich in einen Stier verwandelt, um die junge Königstochter Europa zu entführen und anschließend zu vergewaltigen? Wo bleibt der Erkenntnisgewinn über das von den Gegnern der ewigen Sparerei beklagte Demokratieversagen? Hilft einem die Akropolis dabei, sich von Ökonomen, Finanzministern und EU-Technokraten zu emanzipieren, oder stärkt es deren Meinungshoheit, wenn wieder ein deutscher Moderationsroboter vor der durch die Vereinnahmung von allen Seiten in die Beliebigkeit entschwundenen Ruine steht, um den nächsten Beitrag aus dem Segment für Verelendungspornographie anzukündigen? Warum zur Abwechslung nicht mal über den Staat namens Griechenland reden, der durch das Londoner Protokoll vom 3. Februar 1830 ins Leben gerufen wurde (nicht irgendwann in grauer Vorzeit), statt dauernd die Akropolis-Keule aus dem Sack zu holen? Das hätte den Vorteil, dass es den Blick auf die heute in diesem Staat lebenden Menschen lenken würde (Platon darf man trotzdem lesen) und ein wenig von dem historischen Bewusstsein schaffen könnte, ohne das man meistens nicht versteht, was gerade so passiert.

Das zu konstatierende Demokratieversagen beginnt nicht mit unzureichend legitimierten, demokratische Verfahren aushebelnden Entscheidungen von Eurogruppe, IWF und EZB, und die Rückbesinnung auf die Antike - in der ich persönlich nicht würde leben wollen, weil ich mit ziemlicher Sicherheit ein Sklave wäre - erklärt auch nicht viel. Bleiben wir lieber bei diesem General in Z. Das Vorgehen gegen den "ideologischen Mehltau" rechtfertigen er und seine rechtsextremen Handlanger damit, dass man die Religion und den König schützen müsse. Hier ist die Information ganz hilfreich, dass rechtsgerichtete Generäle Anfang der 1950er den "Heiligen Bund hellenischer Offiziere" (Idea) gründeten, um die Monarchie zu erhalten und zu fördern. Das hatte die Monarchie auch dringend nötig, denn bei den griechischen Zivilisten war sie eher unbeliebt. Allerdings schützte der Bund den König auf Kosten der Demokratie (in Griechenland ohnehin ein zartes Pflänzchen) - durch Wahlfälschungen beispielsweise, und indem man die Opposition an der Ausübung ihrer Rechte hinderte.

Costa Gavras: "Z"

Das geht etwa so: Der Oberst, Chef der Sicherheitsorgane in der Stadt, setzt eine scheinheilige Miene auf, als er dem Doktor (alias Lambrakis) und seinen Freunden erklärt, dass er politisch völlig neutral sei, einen geeigneten Saal für die Versammlung der Atomgegner aber leider nicht freigeben könne - wegen baurechtlicher Mängel, die bisher keinem aufgefallen sind. Costa-Gavras kommentiert das mit einem Kameraschwenk nach oben, bis die unteren Enden von zwei Bilderrahmen sichtbar werden, die dort über der Welt hängen. Die Neugier des Zuschauers ist also geweckt, wenn nun Yves Montand dort hinauf blickt, während der Oberst über seine "politische Neutralität" redet. Im Gegenschuss sehen wir die Bilder eines Mannes und einer Frau, nur dass Raoul Coutard jetzt das Licht so eingerichtet hat, dass man die Gesichter nicht erkennen kann, weil Costa-Gavras seinem Verfahren treu bleibt, historische Personen durch das Publikum identifizieren zu lassen, das in diesen Film ein wenig an eigener Denkarbeit investieren muss, um den politischen Implikationen folgen zu können (die Kriminalgeschichte versteht man auch ohne diese Eigenleistung). Was sind das da für Leute?

Costa Gavras: "Z"

Vergessen wir die üblichen Verdächtigen aus der griechischen Mythologie, König Kreon von Theben etwa, oder seinen Kollegen König Laios, den Vater von Ödipus. Dann hat man es schnell raus, selbst wenn man das Paar noch nie zuvor gesehen hat. Im Kontext des Films kann es sich nur um den König und die Königin von Griechenland handeln, um Paul I. (ein Neffe von Kaiser Wilhelm II. und Träger des Bayerischen Verdienstordens) und seine Gemahlin Friederike von Hannover, eine Enkelin von Wilhelm II. Eines ihrer drei Kinder, Sophia, ist die Mutter des aktuellen Königs von Spanien. Nein, keine Angst. Das soll kein Ausflug in die Welt der Boulevardmagazine werden, wo adeligen Schickimickis gehuldigt wird, als sei es ein Verdienst, Geld und ein paar Inzestprobleme geerbt zu haben. Es bringt uns vielmehr zu der Frage: Warum hatten die Griechen in den 1960ern einen König, wir hingegen keinen Kaiser mehr?

Friederike von Hannover und Paul I.

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