ETA sprengt baskischen Friedensprozess
Mit einem großen Anschlag auf den Madrider Flughafen beendete die ETA gestern ihre Waffenruhe
Was von vielen befürchtet wurde, hat sich schneller in eine Realität verwandelt als erwartet. Mit mehr als einer halben Tonne Sprengstoff hat die baskische Untergrundorganisation ETA ihre Waffenruhe aufgekündigt, die sie seit März eingehalten hat. Sie hat damit dem siechenden Friedensprozess einen weiteren schweren Schlag versetzt, der nun von der spanischen Regierung "ausgesetzt" wurde. Am frühen Samstag zerstörte die Bombe das Parkhaus am Terminal 4 des Madrider Flughafens Barajas vollständig. Drei Warnanrufe gingen eine Stunde vor dem Anschlag ein, trotzdem gelang es der Polizei offenbar nicht, das Parkhaus zu räumen. Zwei Menschen werden vermisst, 24 wurden leicht verletzt.
Inzwischen hat die Regionalregierung der Provinz Madrid erklärt, der im Parkhaus abgestellte Kleinbus Renault Traffic sei mit 500-800 Kilogramm Sprengstoff beladen gewesen. Nur so ließe sich erklären, warum die Bombe das gesamte Parkhaus zum Einsturz gebracht hat. Nähere Angaben zum Sprengstoff gibt es bisher nicht.
Ging man zunächst davon aus, dass wegen der frühzeitigen Vorwarnung nur 24 leicht verletzte Menschen zu beklagen sind, ist es nun möglich, dass die etwa 40.000 Tonnen Schutt zwei Leichen verbergen. Zwei Ecuadorianer werden seit gestern vermisst, die in dem Parkhaus in ihren Autos geschlafen haben sollen. Betroffen durch die Explosion ist eine Fläche von etwa 70.000 Quadratmetern. Bis zum gestrigen Nachmittag war auch das gesamte Terminal für den Flugverkehr gesperrt. Der Kleinbus soll am 27. in Frankreich mit vorgehaltener Pistole von ETA-Mitgliedern geraubt worden sein. Den spanischen Fahrer hätte ein Kommando bis gestern gefangen gehalten und ihn erst nach dem Anschlag in Frankreich wieder frei gelassen.
Anders als bei den Anschlägen vom 11. März 2004 in Madrid, zweifelt praktisch niemand daran, dass die ETA für diesen Anschlag verantwortlich ist und so ihre Waffenruhe vom März aufgekündigt hat. Etwas Verwirrung gab es nach der Explosion, als Medien berichteten, dass keiner der beiden Warnanrufe im Namen der ETA abgegeben worden sei. Auch die zeitliche Nähe zur Hinrichtung von Saddam Hussein ließen Vermutungen in eine andere Richtung ins Kraut schießen. Hinzu kam, dass die ETA das Ende einer Waffenruhe bisher stets in einem Kommunique ankündigte, was diesmal nicht der Fall war. Bis zu diesem Zeitpunkt war allerdings nicht bekannt, dass es noch ein drittes Telefonat gab, in dem sich der anonyme Anrufer im Namen der ETA gemeldet hat.
Völlig überrascht und geschockt von den Vorkommnissen trat der spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero erst am frühen Abend vor die Presse. Er hatte Madrid schon für einen Kurzurlaub zum Jahreswechsel verlassen und musste eilends in die Hauptstadt zurückkehren. "Ich habe beschlossen, alle Initiativen zu Gesprächen mit der ETA auszusetzen", sagte Zapatero auf einer Pressekonferenz. "Mit der Gewalt kann es keinen Dialog geben." Mit dem Anschlag habe die ETA gegen die Bedingung für die Gespräche verstoßen, sich von der Gewalt abzukehren.
Durch sein Vorgehen ist offensichtlich, dass Zapatero den Prozess völlig falsch eingeschätzt hatte. Noch am Tag vor dem Anschlag hatte er seine Bilanz zum Jahr 2006 vorgelegt. Und zum Friedensprozess erklärt: "Heute sind wir weiter als vor einem Jahr" und "in einem Jahr werden wir noch weiter sein". Entsprechend dieser Fehleinschätzung musste er sich beißende Fragen von den Journalisten gefallen lassen.
Zapatero ist offensichtlich in den letzten Monaten völlig falsch beraten worden. Seit Monaten tut er so, als wäre alles, mit kleinen Höhen und Tiefen, weitgehend in bester Ordnung. Dabei wirft ihm die ETA ebenfalls seit Monaten vor, sich nicht an die Verspechen im Vorfeld gehalten zu haben, die zur "permanenten Waffenruhe" geführt hatten, und drohte sogar im Oktober mit der Rückkehr zum bewaffneten Kampf.
Erinnerung an den Friedensprozess in Irland
Statt Gesten der Entspannung setzte man in Madrid vor Weihnachten auf eine Offensive in der Öffentlichkeit, um der trüben Stimmung zu begegnen. Gezielt ließ man an Zeitungen durchsickern, es habe Mitte Dezember nun ein erstes Treffen mit der ETA in einem "europäischen Land" gegeben. Die regierungsnahe Zeitung El País berichtete mit Bezug auf die sozialistische Regierung, die ETA habe dabei versichert, an der Waffenruhe festzuhalten. Als Details wurden genannt, an dem Treffen soll mit Josu Urrutikoetxea der angebliche Chef der ETA teilgenommen haben.
Diese Meldungen wurden von der Regierung zwar weder bestätigt noch dementiert, doch um ihnen Nachdruck zu verleihen, lud Zapatero plötzlich auch den Oppositionsführer Mariano Rajoy ein, um über den Friedensprozess zu sprechen. Es war das erste Treffen mit dem Chef der ultrakonservativen Volkspartei (PP) nach neun Monaten. Die PP, die ohnehin stets gegen den Friedensprozess war, forderte Zapatero nun noch einmal auf, den Prozess definitiv zu beenden. Die Erklärungen von Zapatero hält Rajoy für "unbefriedigend". So gespalten wie die Äußerungen zeigen sich auch die nun stattfindenden Proteste gegen den Anschlag. In Madrid demonstrierten die Sozialisten (PSOE) von Zapatero nicht mit den Anhängern der (PP).
Der Sprecher der verbotenen baskischen Partei Batasuna, die den Friedensprozess angestoßen hatte, machte auf einer Presseerklärung deutlich, dass der Friedensprozess "nicht zerstört" sei. Arnaldo Otegi erklärte, er sei "nun noch nötiger als zuvor". Er erinnerte daran, dass ein solcher Prozess auf einer soliden Basis stehen müsse. Die, so warf Otegi dem spanischen Regierungschef vor, sei "zwar ausgehandelt gewesen, aber ist nicht erfüllt worden".
Damit meinte Otegi zum Beispiel die Relegalisierung seiner Partei über die Streichung des Gesetzes, das einst extra für ihr Verbot geschaffen wurde. Gemeint war auch eine Entspannung für die Gefangenen. Allgemein war erwartet worden, dass Zapatero zu Weihnachten hier Hand anlegt. Kurz zuvor hatten auch 150 spanische Juristen in einem Manifest gefordert, das von der PP eingeführte Parteiengesetz zu streichen. Sie forderten auch die Verlegung der baskischen Gefangenen ins Baskenland. Das sei nicht einmal ein Zugeständnis an den Friedensprozess, sondern nur die Umsetzung des geltenden Strafrechts und würde auch den Friedensprozess voran bringen.
Trotz des verheerenden und möglicherweise tödlichen Anschlags muss er nicht das definitive Ende eines Friedensprozesses markieren. Mit dem Begriff "suspendiert" ließ Zapatero die Tür für die Neuaufnahme offen. Das sagte er, obwohl zu diesem Zeitpunkt bekannt war, dass es möglicherweise seit drei mehr als drei Jahren wieder zwei Tote bei Anschlägen der ETA gegeben haben könnte. Dass die Zeitung El País, die als Sprachrohr der Regierung fungiert, ausgerechnet heute deutlich an den Friedensprozess in Irland erinnert, weist ebenfalls darauf hin, dass nicht alle Hoffnungen auf Frieden begraben werden müssen. Der Artikel erinnert, dass die IRA zwei Mal ihre Waffenruhe vor dem Friedensabkommen abgebrochen hat. Zuletzt beendete die IRA eine 17-monatige Waffenruhe am 10. Februar 1996, als sie mit einer halben Tonne Sprengstoff das Londoner Finanzviertel Canary Wharf verwüstet und zwei Menschen dabei getötet hatte. "Nach weiteren Anschlägen erklärte die IRA eine neue definitive Waffenruhe am 20 Juli 1997, welche den Weg für das Good Friday-Agreement 1998 frei machte", schreibt die Zeitung.