EU-Atomwaffen: Lernt die SPD, die Bombe zu lieben?

Hält mehr Sicherheit durch Atombomben für möglich: Katarina Barley (SPD). Foto: European Parliament / CC-BY-2.0

Wirbel um Atombomben-Aussage von Spitzenkandidatin Barley. Union verlangt von Scholz Klarheit. Was zum Thema in den Wahlprogrammen stand.

Katarina Barley, SPD-Spitzenkandidatin zur Europawahl und ehemalige Bundesjustizministerin, war nicht die Erste, die EU-Atomwaffen ins Gespräch brachte. Vor ihr hatte das schon mit viel deutlicheren Worten der grüne Ex-Außenminister Joschka Fischer getan. "Die EU braucht eine eigene atomare Abschreckung", hatte Fischer bereits Anfang Dezember 2023 gegenüber Zeit Online erklärt.

Barley wollte dies als aktive Politikerin am Dienstag zumindest nicht ausschließen: "Auf dem Weg zu einer europäischen Armee" könne auch die EU-Atombombe "ein Thema werden", sagte Barley in einem am Dienstag veröffentlichen Gespräch mit dem Tagesspiegel. Angesichts der jüngsten Äußerungen des Ex-US-Präsidenten und Präsidentschaftskandidaten Donald Trump zur Nato sei auf den nuklearen Schutz durch die USA "kein Verlass mehr", so Barley.

Trump und die Nato: Ein Bündnis auf der Kippe

Trump hatte zuvor dafür plädiert, Nato-Partnerstaaten, die nicht wie vereinbart zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung (BIP) für Rüstung und Militär ausgeben, im Fall eines Angriffs von außen keinen Beistand zu leisten.

Bisher wollte die SPD allerdings für die Nichtverbreitung von Atomwaffen eintreten.

SPD schrieb sich Welt ohne Atomwaffen auf die Fahnen

Eine Welt ohne Atomwaffen ist und bleibt das Ziel sozialdemokratischer Außenpolitik. Zu einer abrüstungspolitischen Offensive gehört, dass bestehende Vereinbarungen über Rüstungskontrolle und Abrüstung unbedingt gerettet sowie die Verpflichtungen aus dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) umgesetzt werden.

Aus dem Zukunftsprogramm der SPD zur Bundestagswahl 2021, S. 63

Hohn und Galgenhumor: Kritik an Bomben-Aussage

Barley erntete für ihre Aussage zu einer möglichen EU-Atombombe unter anderem Hohn und Spott aus CDU-Kreisen. Der Europaparlamentarier Dennis Radtke hielt der SPD vor, sie habe sich im Europwahlkampf vor fünf Jahren über die christdemokratische Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer lustig gemacht, die das Zwei-Prozent-Ziel der Nato einhalten wollte.

Die Absage des heutigen Bundeskanzlers und damaligen Finanzministers Olaf Scholz sei von der SPD "bejubelt" und die CDU "als Kriegstreiber verschrien" worden.

Nun diese Töne? Vermutlich wie bei der Zeitenwende: nur Blendwerk.

MdEP Dennis Radtke (CDU)

Mit Galgenhumor reagierte die Ex-Sprecherin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich, die auf der Plattform X schrieb, sie fühle sich "mega sicher durch eine Atombombe", um dann klarzustellen, ihre Sicherheit sei "durch viele Dinge in Europa deutlich akuter bedroht als durch einen Angriff von außen".

Sind Grüne noch Anti-Atom-Partei?

Die knapp 23-Jährige hatte sich unter anderem in der Klimabewegung und gegen Rassismus engagiert, von dem sie aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe auch selbst betroffen ist. In ihrer Jugend waren die Grünen zwar längst nicht mehr als pazifistische Partei aufgetreten, aber zumindest als Anti-Atom-Partei, zu der Äußerungen wie die von Fischer nicht passten.

Unser Anspruch ist noch immer nichts Geringeres als eine atomwaffenfreie Welt.(…) Wir wollen ein Deutschland frei von Atomwaffen und einen Beitritt Deutschlands zum VN-Atomwaffenverbotsvertrag. Eine Welt ohne Atomwaffen gibt es nur über Zwischenschritte. Als ersten Schritt sollte Deutschland als Beobachter an der Vertragsstaatenkonferenz teilnehmen.

Aus: Deutschland. Alles ist drin.Bundestagswahlprogramm der Grünen 2021, S. 249

Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter hatte am Montag im ARD-Morgenmagazin zwar keine EU-Atombombe, dafür aber ein weiteres 100-Milliarden-Paket für konventionelle Aufrüstung in Deutschland gefordert. Dafür soll seiner Meinung nach die Schuldenbremse ausgesetzt werden – sowohl um weitere Militärhilfe für die Ukraine leisten zu können, als auch zur Stärkung der Bundeswehr.

100 oder 300 Milliarden extra für Waffen und Militär?

Die Schuldenbremse sei zum "Sicherheitsrisiko" geworden, weil in den USA Milliarden für die Ukraine-Militärhilfe auf Eis lägen, sagte der Vorsitzende des Europa-Ausschusses. Er gab sich überzeugt, dass "die Gefahr massiv zunimmt, dass Russland weitere Länder angreift", wenn Deutschland nicht sehr viel Geld für die Ukraine-Waffenhilfe mobilisiere.

Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter (CDU) sprach sich mit sinngleicher Argumentation dafür aus, gleich 300 Milliarden Euro locker zu machen.

Aufrüstungswettbewerb: Linke kritisiert Militärausgaben

Die Vorsitzende der Partei Die Linke, Janine Wissler, warf der Ampel-Koalition und der CDU daraufhin einen Überbietungswettbewerb in Sachen Aufrüstung vor:

Der Grüne Anton Hofreiter fordert weitere 100 Milliarden für die Rüstung, Roderich Kiesewetter (CDU) gleich 300 Milliarden Euro für neue Waffen und Katharina Barley, die Spitzenkandidatin der SPD zur Europawahl, will Atomwaffen für die EU – die Aufrüstungsfantasien von Ampel und CDU haben offenbar jedes Maß verloren. Nach dem Motto "Wer bietet mehr?" übertrifft man sich gegenseitig mit dreistelligen Milliardenbeträgen.

Janine Wissler, Ko-Vorsitzende der Partei Die Linke

Wissler erinnerte daran, dass gerade ein Bundeshaushalt beschlossen wurde, "der drastische Kürzungen im Sozialbereich bedeutet". Die Verteidigungsbudgets seien in den letzten Jahren weltweit deutlich gestiegen, auch in Deutschland. Das habe die Welt nicht friedlicher gemacht - "im Gegenteil".

Union will Scholz festnageln: Ja oder Nein zu EU-Atomwaffen?

Von einer "Zeitenwende" hatte Bundeskanzler Scholz in einer Regierungserklärung am 27. Februar 2022 gesprochen, als er drei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr angekündigt hatte.

Die Unionsfraktion im Bundestag fordere Scholz nach Barleys Äußerung am Dienstag auf, sich auch zum Thema atomare Bewaffnung der EU zu positionieren.

"Da diese Äußerung von der früheren Justizministerin und gerade gewählten Spitzenkandidatin der SPD stammt, muss Kanzler Scholz für Klarheit sorgen", sagte Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) dem Tagesspiegel. Scholz müsse klarstellen, ob dies die offizielle Position seiner Partei und der Bundesregierung sei.

CDU betont Wichtigkeit glaubwürdiger Abschreckung

Die CDU hatte 2021 in ihrem Wahlprogramm "eine Welt, in der nukleare Waffen als Abschreckung nicht mehr nötig sind" als ihre "langfristige Vision" bezeichnet. Zugleich wird darin betont, dass "glaubwürdige Abschreckung" wichtig sei, solange es Staaten mit Atomwaffen gebe "die unsere Wertegemeinschaft aktiv herausfordern".

Allerdings war hier die Rede von der "nuklearen Teilhabe" Deutschlands und dem "Schutzschirm der USA" für Europa, den Trump nun in Frage gestellt hat.