EU-Außengrenzenschutz: Neuer Regierungschef in Tripolis installiert

Der Chef der neuen Einheitsregierung kam per Boot. Die selbst eingesetzte bisherige Regierung in Tripolis wirft der UN einen Coup vor

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Nun hat Libyen drei Regierungen. Über den Seeweg ist der neue von der UN eingesetzte Regierungschef Faiez Serraj von Tunesien nach Tripolis gekommen und hat dort im Marinehafen eine Pressekonferenz abgehalten. Zu seinen ersten Ankündigungen gehörte, dass die neue Regierung Schritte unternehmen werde, um staatliche Institutionen wie die National Oil Corporation (NOC) und die Zentralbank Libyens (CBL) wiederzuvereinigen.

Faiez Serraj bei der Pressekonferenz

Es geht um viel Geld, nach Schätzungen von Beobachtern um rund 100 Milliarden Euro, eine erkleckliche Summe. Es geht auch um die Sicherung der EU-Außengrenzen vor Libyens Küste. Die Zeit drängte, der Frühling ist da und damit bessere Überfahrtsbedingungen nach Italien. Der französische Verteidigungsminister Le Drian sprach kürzlich von 800.000 Flüchtlingen, die in Libyen warten. Aus Italien kamen Nachrichten, dass zuletzt wieder mehr Flüchtlinge aus dem Meer aufgegriffen wurden.

Und dann gibt es noch den IS in Libyen, als nach Außen vermittelten Hauptgrund, weshalb die Sache der offiziell anerkannten Regierung mit derartiger Eile und dünner Legitimation betrieben wurde. Welcher Druck hier herrschte, hatte die italienische Verteidigungsministerin Roberta Pinotti schon Ende Januar deutlich gemacht:

Wir können es uns nicht leisten und den Frühling kommen lassen, ohne in Libyen zu intervenieren. Im letzten Monat haben wir intensiv mit den Amerikanern, Franzosen und Briten zusammengearbeitet.

Der Chef der offiziell nicht anerkannten GNC (Allgemeiner Nationalkongress) -Regierung in Tripolis, Khalifa al-Ghwell, sprach gesetrn von einem "Staatscoup der UN". Er kündigte Widerstand an. Das hatte er schon zuvor betont. Weswegen die Unterstützer der neuen offiziell anerkannten Regierung, wie zum Beispiel der UN-Sonderbeauftragte Martin Kobler, mit Führern der Milizen in Tripolis sprachen, um die Ankunft der nationalen Einheitsregierung in Tripolis vorzubereiten. Man hatte mit Kämpfen gerechnet. Der GNC hat die Unterstützung großer Milizen in Tripolis.

Überraschungscoup

Der Überraschungscoup, den neuen Regierungschef übers Meer in die Hauptstadt zu bringen, diente dazu, gewalttätigen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Die Schnellboote wurden angeblich von der italienischen Küstenwache gesichert. Zumindest wurden in der Begleitung Serrajs italienische Sicherheitskräfte erkannt.

Gestern wurden nur vereinzelte Scharmützel in der libyschen Hauptstadt gemeldet. (Einfügung: Von besonderem Interesse ist dabei die Erstürmung des Satelliten-TV-Senders Al-Nabaa in Tripolis. Laut Aussage eines al-Nabaa-Mitarbeiters durch Unterstützer der neuen Regierung).

Die UN, die USA und die EU legen großen Wert darauf, dass Serraj und seine Regierung in Tripolis residieren, selbst wenn das nur pro forma in einem abgesicherten Viertel am Meer der Fall ist.

Mit der Installierung der von der UN anerkannten Regierung kann einiges in Gang gesetzt werden: die eingefrorenen Gelder aus der Gaddafi-Zeit werden der neuen Regierung zur Verfügung gestellt, sie soll wieder Zugriff auf die Zentralbank und die Ölgesellschaft bekommen (mittlerweile gab es Parallelgründungen) - und die Einheitsregierung kann - und soll - andere Staaten um Hilfe bitten. Italien wartet darauf, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und die USA.

Dünne Legitimation

Von einem "Staatscoup der UN" zu sprechen, wie der islamistisch gefärbte mit dubiosen Milizen agierende GNC, der seinerseits überdeutliche Legitimationsdefizite hat, ist Ansichtssache einer Partei. Von einer Farce kann man aber sprechen, angesichts der Vorgeschichte des Zustandekommens der neuen Einheitsregierung. Die Fallhöhe zwischen den hehren Ansprüchen der UN und dem tatsächlichen Agieren in der Sache ist beträchtlich.

Die Einheitsregierung basiert auf Legitimationsmanövern, die einem Schurkenstaat vorgehalten würden. Das zeigte sich bei den monatelangen Verhandlungen zum politischen Prozess Libyens, als (mehrmals) Einverständnis der Gesprächspartner proklamiert wurde, das es formell nicht gab. Das setzte sich fort am Ende, als man, statt auf ein zunächst gefordertes Einverständnis des Parlaments in Tobruk zu warten, plötzlich einen Brief mit 100 Unterschriften der Parlamentarier als Legitimationsnachweis vorlegte.

Dies hatte Abgeordnete des HoR (Repräsentantenhaus) empört. Dort sieht begreift man sich weiter als offizielles Parlament Libyens mit einer offiziellen Regierung. So lange die Einheitsregierung (GNA) nicht die Zustimmung des HoR bekomme, werde man die Macht nicht übergeben, erklärte Abdullah al-Thanis Regierung. Die Konflikte sind längst nicht beendet. Das hat man beispielsweise im fernen Indien erkannt. Dort erwägt die Regierung die Evakuierung von 1.800 Indern aus Libyen wegen bevorstehender Kämpfe.