EU-Chefdiplomat Borrell: "Wir sind ein Garten, der Rest der Welt ist ein Dschungel"
Eine rassistische Analogie und die Drohung, die russische Armee vernichten zu wollen – Borell bringt das neue Selbstverständnis der EU zum Ausdruck. In den USA stößt das auf Interesse.
Wenn man von jemandem sagen kann, er sei ein alter, weißer Mann, dann ist es Josep Borrell. Der 75-jährige Spanier ist bekannt für markige Worte, die immer wieder für Irritationen sorgten. In der Vergangenheit trug ihm das mitunter den Vorwurf ein, seine Sprache sei herablassend und von kultureller Arroganz geprägt.
Am Wochenende zeigte das der Chefdiplomat der Europäischen Union einmal mehr. Während einer Veranstaltung der European Diplomatic Academy in Brügge verglich Borrell Europa mit einem Garten, während der Rest der Welt ein Dschungel sei.
Keine Mauer und kein Zaun der Welt werde den Garten schützen. Der Dschungel wachse zu schnell und die Mauer werde deshalb nie hoch genug sein. Die Europäer müssten deshalb in den Dschungel hinein. "Andernfalls wird der Rest der Welt auf andere Weise und mit anderen Mitteln in uns eindringen."
Diese Worte klingen wie aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Damals begründeten unter anderem die Engländer, Franzosen und US-Amerikaner ihr kolonialistisches Streben mit ähnlichen Worten: "Wir bringen Kultur und Zivilisation, und die Barbaren haben kein Recht, sich ihrer Zivilisierung zu widersetzen".
Der italienische Philosoph Domenico Losurdo hat diese Haltung in seinem Buch "Freiheit als Privileg" eingehend untersucht.
Borrells Worte blieben nicht unbeachtet. In sozialen Medien kritisierten etwa Politikwissenschaftler den Unterton der Rede als imperialistisch und rassistisch.
Ein Kritiker ist der Politikwissenschaftler Mohammadbagher Forough vom German Institute for Global and Area Studies in Hamburg. Eine solche Wortwahl führe dazu, dass die Länder des Globalen Südens die Sanktionspolitik gegen Russland nicht vollumfänglich unterstützen würden.
Die Garten-Dschungel-Analogie erinnere sie stattdessen an globale Ungerechtigkeiten, Rassismus und Kolonialismus – Erfahrungen, die sie in den vergangenen Jahrhunderten durch die "Gärtner" erfahren mussten.
Borrell ist allerdings nicht der Schöpfer dieser Analogie, sondern hat sie sich wahrscheinlich von dem US-amerikanischen Neokonservativen Robert Kagan entliehen. Dieser hatte sie in seinem Buch "The Jungle Grows Back: America and Our Imperiled World" benutzt, um die weltweite Dominanz der USA und das Einmischen in die inneren Angelegenheiten anderer Länder zu begründen.
Aber noch eine andere Aussage von Borrell hat für Schlagzeilen gesorgt: Sollte Russland in der Ukraine taktische Atomwaffen einsetzen, dann werde es eine starke militärische Antwort seitens der EU, der USA und der NATO geben. Sie werde zwar nicht nuklear sein; aber sie werde so mächtig ausfallen, dass die russische Armee vernichtet werde.
Das Ergebnis eines solchen Schrittes wäre mit Sicherheit der Atomkrieg. Ob sich Borrell dessen bewusst ist, ist nicht bekannt. Aber unter Diplomaten riefen seine Worte Kritik hervor.
Laurence Norman, ein Journalist vom Wall Street Journal, hat von einem hochrangigen europäischen Diplomaten erfahren: Borrell sei nicht befugt, von einer "starken militärischen Antwort" des Westens zu sprechen.
Ohne einschlägige Referenzen sprach er über Reaktionsmöglichkeiten, für die er nicht verantwortlich ist, mit Fähigkeiten, die er nicht hat. Wir können also nur rätseln.
In den USA wurden Borrells Worte dagegen mit Interesse aufgenommen. Viele hätten in der Vergangenheit die EU als Schwächling wahrgenommen, heißt es in der Washington Post, doch nun scheine die EU zu einem geopolitischen Machtspieler werden zu wollen. Es fehlen nur noch die militärischen Fähigkeiten, um "Bedrohungen aus Russland und China" entgegenwirken zu können.
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