Ehegattensplitting: Warum Lindner in diesem Fall die sozialere Position vertritt
Wer die Bedarfsgemeinschaft beim Bürgergeld nicht in Frage stellt, agiert nicht feministisch, wenn er den Steuervorteil für Ehepaare abschaffen will. Ein Kommentar.
Die Ampel-Parteien streiten mal wieder. Dieses Mal über eine mögliche Abschaffung des Ehegattensplittings: Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) ist dafür und sieht die geplante Reform der Steuerklassen bereits als Startpunkt in diese Richtung.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) widerspricht – und leider vertritt er hier ausnahmsweise die sozialere Position. Jedenfalls gilt das innerhalb des Ampel-Spektrums mit den Stellschrauben, die es ansonsten sozialpolitisch gesetzt hat.
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Warum? – Dass Eheleute auch finanziell füreinander einzustehen haben, ist beim Bürgergeld-Bezug überhaupt keine Frage. Verdient einer der Partner genug, gibt es keinen Anspruch auf die Sozialleistung. Auch unverheiratete Paare, die zusammenleben, müssen damit rechnen, in diesem Sinne als "Bedarfsgemeinschaft" definiert zu werden.
Ehegattensplitting: Die Kritik am Ernährermodell
Kritisiert wird das nicht zuletzt von Feministinnen, weil es in vielen Fällen die Abhängigkeit vom männlichen "Ernährer" und den Verbleib von Frauen in unglücklichen oder sogar gewaltvollen Beziehungen fördert.
Aus demselben Grund lehnen viele Feministinnen das steuerliche Ehegattensplitting ab: Es verleite Paare zum "Ernährermodell", weil es sich dadurch für Frauen oft nicht lohne, in Vollzeit zu arbeiten. Die Steuerlast des besserverdienenden Partners verringert sich durch die gemeinsame Veranlagung; dem Paar bleibt also insgesamt mehr Geld.
"Der Abschied vom veralteten Instrument des Ehegattensplittings ist überfällig", sagte Familienministerin Paus der Bild-Zeitung. Damit werde "allein die klassische Ehe steuerlich begünstigt".
Divers: Die Lebensrealität beim Ehegattensplitting
In der Praxis gibt es auch Paare, die das Ehegattensplitting nutzen, um Aus- und Weiterbildungszeiten zu finanzieren – oder die Auszeit des Partners beziehungsweise der Partnerin mit Burnout. Es gibt Frauen, die sich auf diesem Weg miserablen Arbeitsbedingungen in der "freien Wirtschaft" entziehen und lieber Zeit mit ihren Kindern verbringen, ohne deshalb politisch reaktionär zu sein.
Natürlich steht auch und gerade Lindners FDP für Sozialabbau, aber hier geht es um eine Nische, die sie offen lassen will. Wer das nicht will und für die Betroffenen keine bessere Alternative zu bieten hat, sondern lediglich Arbeitsdruck, agiert in diesem Fall noch unsozialer als die FDP.
Ehegattensplitting abschaffen, Ausbeutung fördern?
Wer Bafög-Lücken nicht schließen und die Bedarfsgemeinschaft beim Bürgergeld nicht abschaffen will, um allen Erwachsenen im Fall der Bedürftigkeit einen eigenen Anspruch zuzugestehen, agiert nicht feministisch, wenn er oder sie das Ehegattensplitting abschaffen will.
Er oder sie fördert möglicherweise sogar ausbeuterische Arbeitsverhältnisse. Denn Fachkräfte, die für ihren Beruf "brennen", machen vielleicht gar nicht so leichtfertig vom Ehegattensplitting Gebrauch, um kürzerzutreten oder eine Auszeit zu nehmen – es sei denn, sie sind ausgebrannt und genau darauf angewiesen.
"Nur-Hausfrauen" oder freiwillig in Teilzeit arbeitende Menschen zur Mehrarbeit zu nötigen, hat nichts mit Emanzipation zu tun. Es geht um mehr Steuereinnahmen und die Vorstellung, damit den Fachkräftemangel beheben zu können.
Im Zuge der Haushaltsspardiskussion vor einem Jahr hatte auch SPD-Chef Klingbeil eine Abschaffung des Ehegattensplittings für neue Ehen vorgeschlagen, was Bundeskanzler Olaf Scholz wenig später relativiert hatte. Vermutlich, weil er um den sozialen Sprengstoff weiß.