Ehen mit Minderjährigen: Andere Länder, andere Sitten
- Ehen mit Minderjährigen: Andere Länder, andere Sitten
- Was bedeutet Ehe nach Scharia-Recht?
- Viel Kritik an dem Urteil
- Schwangerschaft Todesursache Nr. 1
- Verständnis statt konsequente Haltung
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Das Oberlandesgericht Bamberg erkennt eine nach Scharia-Recht geschlossene Frühehe an - und löst damit eine heftige Debatte aus
Die Welt ist ein Dorf. Das wussten schon unsere Großeltern. Globalisierung und weltweite Migration - auch ohne Flucht und Vertreibung - bestätigen tagtäglich diese alte Binsenweisheit. Mit unbestreitbar vielen Vorteilen. Doch manchmal stellt uns "Multi-Kulti" auf eine harte Probe. Dann nämlich, wenn mit den Menschen Traditionen zu uns kommen, die unseren Vorstellungen und unserer Moral, unseren Sitten und Gebräuchen diametral entgegenstehen. Und deren Akzeptanz ganz nebenbei Ergebnisse sozialer Kämpfe um Jahrzehnte zurückwerfen würden.
Zum Beispiel, wenn in den Flüchtlingsunterkünften auffallend viele Ehepaare registriert werden, die in einem muslimischen Land nach dem Scharia-Recht getraut wurden, zu einem Zeitpunkt, wo die Braut nach hiesiger Gesetzeslage noch nicht volljährig war. Nicht selten noch im Kindesalter. Da stellt sich dann die Frage: Was nun? Das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg entschied am 12. Mai 2016 in einem solchen Fall, dass die Ehe anzuerkennen sei.
Organisationen wie das "Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa" (EZIRE) und Terre des Femmes (TdF) kritisierten die Entscheidung und fordern die verbindliche Festlegung des Heiratsalters auf 18 Jahre ohne Ausnahme. Zumal das Problem der sogenannten Zwangs- und Frühehen nicht nur verstärkt im Zusammenhang mit den neu ankommenden Flüchtlingen auftaucht, sondern auch hier lebende Minderjährige - Mädchen größtenteils - werden in religiösen und kulturellen Zeremonien verheiratet.
Gute Zeiten - schlechte Zeiten
Es gibt gute Ehen. Es gibt schlechte Ehen. Und es gibt Ehen, in denen es gute und schlechte Zeiten gibt. Es gibt allerdings gesetzliche Grundlagen für die Schließung einer Ehe; und zwar aller Ehen. Die sind im §13 EGBGB geregelt.
Um hierzulande eine Ehe schließen zu können, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, u.a. die Ehemündigkeit. Das heißt, in der Regel tritt die Ehemündigkeit mit Eintritt der Volljährigkeit ein. Allerdings gibt es die Möglichkeit, eine Ehe im Alter ab 16 Jahren einzugehen, wenn eine der beiden ehewilligen Personen volljährig ist, und das Familiengericht eine Befreiung von der Voraussetzung der Volljährigkeit erteilt hat.
Nach der bis 1974 geltenden früheren Regelungen im BGB erlangte der Mann die Ehemündigkeit mit Vollendung des 21. Lebensjahres und die Frau mit Vollendung des 16. Lebensjahres. Der Frau konnte durch das damalige Vormundschaftsgericht Befreiung von dieser Vorschrift erteilt werden.
Die Änderung ging einher mit der Herabsetzung der Volljährigkeit von 21 auf 18 Jahre, die am 1.1.1975 in Kraft trat. In dem Zusammenhang wurde auch das Heiratsalter angehoben. Diese Änderungen entsprangen keiner Laune der damaligen Regierung, sondern waren das Ergebnis politischer Auseinandersetzungen, das Ergebnis sozialer Kämpfe. U. a. auch den Kämpfen von Feministinnen um gesetzliche Gleichstellung.
Internationales Privatrecht versus Ordre Public
Da wir, wie eingangs erwähnt, in Zeiten der Globalisierung und weltweiter Migration leben, wurden unterdessen Mechanismen entwickelt, die garantieren, dass in einem Land der Welt nach geltendem Recht geschlossene Ehen auch in anderen Staaten anerkannt werden. Selbst wenn die Gesetze des Staates eine solche Ehe nicht erlauben - gleichgeschlechtliche, bi-nationale oder inter-religiöse Ehen z.B. - im Zweifelsfall können ausländische oder bi-nationale Ehepaare sich hierzulande auf das Internationale Privatrecht, oder auch Kollisionsrecht berufen:
Internationales Privatrecht (Abkürzung IPR; auch Kollisionsrecht) nennt man im Rechtswesen die Gesamtheit der Rechtssätze des nationalen Rechts, die festlegen, welche von mehreren möglichen internationalen Privatrechtsordnungen in einem Kollisionsfall angewandt wird. Ein Kollisionsfall liegt vor, wenn ein Sachverhalt eine Auslandsberührung aufweist. In diesen Kollisionsfällen beantwortet das internationale Recht die Frage, ob inländisches Recht oder ausländisches Recht anwendbar ist oder gegebenenfalls welches ausländische Recht innerhalb mehrerer kollidierender ausländischer Rechte anwendbar ist.
Mit anderen Worten: Es ist durchaus möglich, im Ausland geschlossene Ehen als legal anzuerkennen, selbst wenn diese nach bundesdeutscher Gesetzeslage nicht hätten geschlossen werden können.
Allerdings: "Nicht angewendet werden dürfen ausländische Rechtsregeln, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen deutschen Rechts (insbesondere den Grundrechten) offensichtlich unvereinbar ist (ordre public, Art. 6 EGBGB 2 ).
Also stehen sich im Zweifelsfall zwei Rechtsgrundsätze gegenüber. Was uns wieder zurück zum OLG Bamberg und dessen Entscheidung in Bezug auf die Frühehe führt.
Das Jugendamt griff ein
Ende August 2015 wurde im September 2015 in einer Flüchtlingsunterkunft in Aschaffenburg ein syrisches Ehepaar registriert. Das Pikante an dieser Verbindung: Er war zu dem Zeitpunkt 20 Jahre alt, sie noch keine 15. Die beiden, Cousin und Cousine, waren im Februar 2015 in ihrer Heimat von einem Scharia-Gericht getraut worden, hatten seither "wie Mann und Frau zusammen gelebt" und sich auch gemeinsam auf die Flucht begeben.
Das Jugendamt Aschaffenburg entschied sich einzugreifen, die Vormundschaft für die junge Frau zu übernehmen, vom Aufenthaltsbestimmungsrecht Gebrauch zu machen und das Paar zu trennen. Um die junge Frau vor dem sexuellen Zugriff und insbesondere einer Schwangerschaft zu schützen. Zwar wurde das Paar über Verhütungsmöglichkeiten aufgeklärt, doch die Methode, für die sie sich entschieden, hätte erst Wochen später Schutz geboten. Außerdem sah das Jugendamt "eine Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung" bei der jungen Frau als "nicht gegeben".
Sie wurde in einer Unterkunft für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in Nürnberg untergebracht. Dem Paar wurde erlaubt, sich drei Stunden pro Woche in Anwesenheit Dritter zu sehen.
Dagegen klagte der junge Mann. Der Fall kam vor das Familiengericht Aschaffenburg, welches entschied, dass die getrennte Unterbringung beibehalten werde, das Paar aber die Wochenenden von jeweils Freitags 17h - Sonntags 17h gemeinsam verbringen könne. Genau das wollte das Jugendamt indes verhindern und beschritt deshalb den Rechtsweg. Der Fall gelangte also in die nächste Instanz, dem OLG Bamberg.
Dort wurde am 12. Mai 2016 ein Urteil gesprochen - allerdings ein völlig anderes, als das Jugendamt sich erhofft hatte: Die Bamberger Richter erkannten die in Syrien nach dem Scharia-Recht geschlossene Ehe als rechtsgültig an. Somit kann die junge Frau selbst entscheiden, wo sie leben möchte.
Das Jugendamt Aschaffenburg wird die rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen und gegen dieses Urteil Beschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe einlegen. Zu einer Stellungnahme war die Behörde indes nicht bereit. Es würden keinerlei Auskünfte über ein schwebendes Verfahren erteilt, hieß es auf Nachfrage von Telepolis.
Streitpunkt Aufenthaltsbestimmungsrecht
Für Jugendliche unter 18 Jahren liegt das Aufenthaltsbestimmungsrecht bei den Eltern, bzw. beim gesetzlich bestimmten Vormund. Im Falle, dass eine minderjährige Person heiratet, geht das Aufenthaltsbestimmungsrecht an sie selbst über: Sie kann - zwar im eingeschränkten Maße - selbst darüber entscheiden, wo sie leben möchte. Entweder zuhause oder in einer gemeinsamen Wohnung mit dem Ehemann.
"Voraussetzung ist allerdings, dass Minderjährige wirksam verheiratet sind", erläutert Leander Rößler, Sprecher des OLG Bamberg, gegenüber Telepolis. Der syrische Ehemann hatte bei Gericht einen Zivilregisterauszug mit dem angegebenen Familienstand "verheiratet" sowie eine Bestätigung der Eheschließung seitens des syrischen Scharia-Gerichts eingereicht. "Die Richter des OLG standen vor der Frage: Welche Norm gilt?" so Rößler.
Welches Recht muss bei diesem Fall mit Auslandsbezug geprüft werden. Das Gericht gelangte schließlich zu der Ansicht, dass syrisches Recht angewendet werden muss.
Allerdings, räumt Rößler ein, wäre es durchaus möglich, dass diese Ehe auch nach geltendem syrischen Recht anfechtbar sei, weil sie evtl. unter Verstoß gegen das Ehemündigkeitsalter geschlossen wurde.
Offiziell liegt das Heiratsalter in Syrien für Frauen bei 17 Jahren, für Männer bei 18. Ausnahmen werden jedoch geduldet. Vor allem in den konservativen, mehrheitlich sunnitischen Landgebieten kommen sie vor.
Allerdings, so Rößler, müsse die Ehe in Syrien angefochten werden.
Eheleute können hierzulande bei der zuständigen Verwaltungsbehörde binnen eines Jahres - in bestimmten Fällen binnen drei Jahre - einen Antrag auf Annullierung stellen. "Beim Verstoß gegen die Ehemündigkeit besteht allerdings keine Antragsfrist", stellt Rößler klar.
Das würde für die junge Syrerin bedeuten, dass sie mit Erreichen der Volljährigkeit die Annullierung beantragen könne. Oder auch die Anerkennung, falls der BGH das Bamberger Urteil kassiert.
Die Frage, ob das OLG Bamberg durch die Hintertür Scharia-Recht in die bundesdeutsche Rechtsprechung eingeführt habe, beantwortete Rößler ausweichend mit:
Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Der Fall geht zum BGH, und letztendlich liegt die Entscheidung bei den Richtern dort.
Fast klingt es, als sei der Jurist froh, dass der Kelch an Bamberg vorbei gegangen ist, und der Staffel-Stab nun nach Karlsruhe übergeben werden kann.
Fälle wie diesen werden bundesdeutsche Gerichte künftig vermutlich häufiger zu verhandeln haben. Irgendwann - in vermutlich nicht allzu ferner Zukunft - wird sich die Frage der Annullierung stellen. Irgendwann wird die Rechtslage in einem Staat, der gar nicht mehr existiert, Gegenstand einer Gerichtsverhandlung werden.