Eigenlob stinkt. Und scheppert.

Musikindustrie auf frischer Tat beim ”Viralen Marketing” erwischt

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"Wenn kein Blogger unsere neue Band loben will, dann tun wir das halt selbst", dachte sich Warner Brothers. Nun, wer’s nötig hat…

Gästebücher und Weblogs leiden seit einiger Zeit unter massivem Kommentarspam: Dieselben Schniedel- und Brustvergrößerer und Erektionspillenverticker, die einem schon das Öffnen des E-Mail-Postfachs verleiden, hinterlassen auch jede Menge Kommentare in Weblogs und Gästebüchern, in dem sie entweder direkt ihre Dienste bewerben oder zumindest einen Link auf ihre Website hinterlassen. Die Kommentare werden dabei teils durch Skripte vollautomatisch erzeugt, was dann zu makabren Szenen führt, wenn auf der Gedenkseite für ein an Krebs gestorbenes Mädchen im Gästebuch plötzlich geworben wird "wenn Du bei uns vorbeikommst, wirst Du wieder quicklebendig".

Die Musikbranche, die sich neben den Juristen bislang eindeutig am schwersten mit dem Verständnis des Internet tut, schafft es jedoch auch immer wieder, sich gnadenlos unbeliebt zu machen: Erst verfolgen sie die Tauschbörsler, dann nichtsahnende Ebay-Verkäufer oder Newsseitenbetreiber. Für sie ist das Internet ein reiner Werbekanal.

Spamplage: Marillions "E-Teams"

Negativ fiel dabei bereits die Gruppe Marillion auf, bekannt durch 80er-Jahre-Hits wie "Kayleigh" und "Lavender". In einer koordinierten Internetaktion überzeugten die Briten nicht nur 15.000 Fans die CD direkt per Internet bei der Band vorab zu kaufen, bevor auch nur eine Note komponiert war, sie schafften es auch mit der ersten Single (You're gone) in die offiziellen britischen und niederländischen Top 10 (Platz 7 und 8). Dazu wurden die Fans per E-Mail und Website gebeten, alle drei verschiedenen CD-Single-und DVD-Formate gleichzeitig zu kaufen. Bei hmv.co.uk wurde die Single damit die meistvorbestellte Single aller Zeiten.

All dies klingt ja nun völlig legitim. Ärger gab es dann aber mit den sogenannten "Teams": Die Fans konnten sich zusätzlich "Street Teams" und "E-Teams" anschließen, um bereits im Vorfeld Werbung für die Neuveröffentlichung machen. Die Street Teams wurden von der Band mit Handzettel und Postern versorgt, die dann in den lokalen CD-Geschäften und Fußgängerzonen verteilt wurden. Die E-Teams machten wiederum mit Webbannern, Webreviews, Postings in Musikforen, Ebay-Auktionen und Werbe-Signanturen in E-Mails auf die Band aufmerksam.

Damit war die Band zwar auf den ersten Blick erfolgreich, doch die Sache mit den E-Teams geriet trotz der Aufforderung der Band "Do not spam" außer Kontrolle und die Internetuser schimpften irgendwann nur noch über die "Sch…. Marrillion-Spammer", da alles, ob Gästebuch, Forum oder Weblog von den Fans zugemüllt wurde und die Band sich das alles ja zumindest ursprünglich ausgedacht hatte.

"Also ich finde dieses Buch absolut super!"

Auch andere Künstler haben inzwischen das "virale Marketing" entdeckt. So helfen offensichtlich Bestsellerautoren dem Buchverkauf bei Amazon gerne mal auf die Sprünge, indem sie eine Jubel-Rezension über ihr eigenes Buch schreiben. Peinlich wird das allerdings, wenn Amazon eine Störung hat und mal eben die Klarnamen aller Rezensenten aufdeckt, wie Anfang Februar 2004 bei Amazon Kanada.

"Was Bücherschreiber können, können wir doch schon lange", dachten sich nun Angestellte von Warner Brothers: Erst stellten sie Bloggern kostenlos MP3s von Aufnahmen der Band "The Secret Machines" zur Verfügung, damit diese die Band präsentieren und loben. Doch interessierten sich die Blogleser anscheinend nicht besonders für die neue Band und das Lob blieb aus. Und so schrieben die Warner-Brothers-Mitarbeiter schließlich selbst Lobeshymmnen auf die Band – selbstverständlich direkt vom Arbeitsplatz aus – merkt ja keiner, das Internet ist ja so anonym…

"Wenn uns keiner lobt, dann loben wir uns halt selbst"

Klar, dass Warner Brothers nun betont, dies sei keine offizielle Kampagne der Plattenfirma gewesen, sondern eine Aktion privat von der Band begeisterter Mitarbeiter. Und auch klar, auch Marillion hat ja nicht selbst gespammt. Doch das interessiert nicht wirklich.