Ein Bond für Angela Merkel

Seite 3: Eine großartige Viertelstunde

Stattdessen Wokeness allerorten, verbunden mit dem naiven guten Gewissen all jener Jungen, die die alten Filme nicht kennen, aber behaupten, Bond sei "ein Sexist", "ein Vergewaltiger" und dergleichen mehr. Darum freuen sich manche Feuilletonisten, dass es im neuen 007 eine schwarze Frau gibt (gespielt von Lashana Lynch), die nun die Nummer 007 trägt.

Irgendwann steht sie in Bonds Schlafzimmer und zieht ihre Perücke aus. "Ich hätte nicht gedacht, dass es das ist, was du als Erstes ausziehst", fällt dem blonden Bond nur ein stuller Spruch ein. Die junge Kritik freut sich dagegen über den Einfallsreichtum dieser Szene. Pech nur, dass es sich um ein Zitat aus "Leben und sterben lassen" handelt, wo auch schon eine schwarze Frau im weißen Kleid im Schlafzimmer ihre Perücke fallen lässt.

Nur einmal, für eine großartige Viertelstunde, in der Episode, die auf Kuba spielt, darf im neuen Film der alte Hedonismus aufleben und es wird angedeutet, wie eine neue 007-Zukunft aussehen könnte. Schnell und witzig, mit Lässigkeit und Kampfkunst und Ironie. Und wenn es wirklich mal einen weiblichen James-Bond geben sollte, muss ihn die Spanierin Ana de Armas spielen - ihr Auftritt als MI-6-Agentin auf Kuba ist phänomenal, und man versteht auch sofort, warum diese Frau demnächst Marilyn Monroe spielen wird.

"Joker"-Abklatsch

Ansonsten geht es für Bond diesmal gegen einen weiteren gefährlichen Verrückten mit dem allzu sprechenden Namen Lyutsifer (Rami Malek als "Joker"-Abklatsch) und einen bösen Virus, einen biologischen Kampfstoff, der die ganze Welt bedroht, und sich in die DNA einzelner Menschen für immer einsetzt. "Man lebt nur zweimal" lautete schon früh eine alte James-Bond-Weisheit. Aber in diesem actionreichen, längsten Bond-Film aller Zeiten stirbt 007 auch mehr als einmal. Das ist abwechslungsreich, aber größtenteils auch erwartbar.

"James Bond will return"

Zumindest alle Craig-Skeptiker werden aufatmen, dass jetzt endgültig Schluss ist mit seinem James Bond, und dass 007 wieder einmal neu erfunden werden wird. Das wird todsicher geschehen.

Denn - und hier müssen jetzt spätestens alle zu lesen aufhören, die sich die Schlussüberraschung nicht nehmen lassen wollen - es gibt in diesem Film nicht nur eine zweite Nummer 007, die den Rentner ersetzt. Sondern am Ende geschieht etwas, was alle Bond-Filme bisher vermieden haben: Der Held geht in einen Raketenhagel als selbstloses Selbstopfer (das aber auch wieder ein individualistisches Motiv hat! Weib und Kind sollen gerettet werden und der Gefühlsmensch Bond könnte es, würde er überleben, nicht schaffen, ihnen fernzubleiben).

Trotzdem heißt es im Abspann: "James Bond will return." "No Time To Die" behauptet, dass Individualität ein Trugschluss sei. Der König ist tot, es lebe der König.

Alles in allem erzählt uns dieser Film damit mehr als jeder James Bond zuvor etwas über Austauschbarkeit. Die Austauschbarkeit von Freund und Feind, von Lebensmodellen, von Menschen. Selbst die eines James Bond.

Ein Märchen

Statt dass Bond am Ende mit einem Wodka-Martini am Pool endlich mal ausspannt, erzählt eine Psychologin, die so heißt, wie das wichtigste Gebäck bei Proust und deren Vater ein Killer war, ihrer Tochter, die von einem Mann gezeugt wurde, der auch ein Killer war, und damit uns allen ein Märchen: "Once Upon a Time there was a Man. His name was James Bond..."

Das versetzt uns selbst in die Rolle eines Kindes, dem die Mutter ein Märchen erzählt, und das langsam einschläft, und dies enthüllt uns irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit, dann doch noch die wahre Natur dieses Helden, der immer eine Wunscherfüllungsphantasie war, und das auch nach Daniel Craig wieder werden wird...