Ein Frauenmord ist kein "Beziehungsdrama"

Frauenrechtlerinnen fordern, die Kategorie "Femizid" als Straftatbestand ins Strafgesetzbuch aufzunehmen

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Professorin Kristina Wolff, Initiatorin der Petition "Stoppt das Töten von Frauen #saveXX", dokumentiert "Femizide", d. h. Morde an Frauen, die von einem Mann umgebracht wurden, schlicht weil sie Frauen sind. Mit dem Stichtag 18. August 2020 zählte die von ihr erstellte Liste 127 getötete Frauen und Mädchen; die meisten wurden von ihrem (Ex)-Partner umgebracht.

Zum Vergleich: Für das gesamte Jahr 2018 weist die Polizeiliche Kriminalstatistik Partnerschaftsgewalt (PKS) 122 weibliche Mordopfer aus. In der öffentlichen Wahrnehmung finden diese Taten gar nicht statt, oder werden als "Beziehungsdrama" bagatellisiert. Die Professorin wie auch die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes fordern, die Kategorie "Femizid" als Straftatbestand in Strafgesetzbuch aufzunehmen.

127 tote Frauen und Mädchen in 219 Tagen, das bedeutet, durchschnittlich alle 1,7 Tage oder ca. alle 41 Stunden, wurde im Jahr 2020 bislang eine Frau von einem Mann, häufig ihr (Ex)-Partner, umgebracht. Das sind die Fälle, die bekannt wurden. Die Polizei gibt bei schweren Gewaltverbrechen nicht grundsätzlich eine Pressemitteilung heraus.

Passieren diese im häuslichen Rahmen wird aus Rücksicht auf die Betroffenen und die Hinterbliebenen davon abgesehen. Auch Medien berichten nicht über jeden einzelnen Fall und wenn, dann sind es häufig nur Dreizeiler im Lokalteil einer Regionalzeitung. So ist es möglich, dass bei der Veröffentlichung der PKS "Partnerschaftsgewalt" für das Jahr 2020 am 25. November 2021 die Zahl sogar noch höher ist.

Mangelhafte Statistiken zur Partnerschaftsgewalt

Zu den eingangs erwähnten Mordopfern im Jahr 2018 kommen noch die Opfer von Körperverletzung mit Todesfolge hinzu. Eine genaue Zahl wird in der Statistik nicht genannt. Insgesamt wurden im Berichtszeitraum 17.247 Personen Opfer von schwerer Körperverletzung und Körperverletzung mit Todesfolge. Der Anteil der weiblichen Opfer daran beträgt knapp 80%. Über die Zahl derer, die diese Angriffe nicht überlebten, schweigt die Statistik sich aus. Frauen sind es offensichtlich nicht wert, dass Verbrechen an ihnen genau aufgelistet werden.

Laut Bundeskriminalamt (BKA), das die PKS "Partnerschaftsgewalt" erstellt, ist die Zahl der registrierten Gewaltdelikte seit 2015, seitdem diese Statistik veröffentlicht wird, kontinuierlich gestiegen: So waren es 2014 126.230, 2015 127.457, 2016 133.080, 2017 138.893 und 2018 140.755 Fälle. Das bedeutet nicht, dass es 140.755 Opfer gab, denn die Taten werden einzeln gezählt, auch wenn ein Opfer in dem Berichtszeitraum mehrfach betroffen ist. Mordopfer werden logischerweise nur einmal gezählt.

Der Anteil der weiblichen Opfer unter der Rubrik "Partnerschaftsgewalt", gemessen an der Gesamtzahl der in dieser Gruppe registrierten Gewaltdelikte, betrug 2018 33,9%, die von Männern 5,3%. d. h., jede dritte Frau, die Opfer einer Gewalttat wird, erlebt diese im Rahmen ihrer Partnerschaft oder nach deren Ende.

Insgesamt wurden 421 Personen wurden im Jahr 2018 Opfer von Mord und Totschlag im Rahmen der "Partnerschaftsgewalt", etwa ¾ davon Frauen, 142 Personen überlebten diese nicht: 118 Frauen, allein in NRW 16, und 24 Männer.

Überproportional viele Nicht-Deutsche betroffen

In etwa 70% der insgesamt registrierten Delikte waren die Opfer Deutsche, bei den Ex-Partnern waren 75,2 aller Opfer Deutsche und bei den Ehepaaren 58,1%. Sowohl bei den weiblichen wie den männlichen Opfern mit migrantischem Hintergrund belegten die Türkei und Polen die Plätze 1 und 2. Bei den Frauen gefolgt von Syrien, bei den Männern Italien.

Von den insgesamt erfassten Tatverdächtigen hatten 67% die deutsche Staatsangehörigkeit, bei den männlichen Tatverdächtigen waren es 77,7%, bei den weiblichen 22,3%. Auch hier auf den ersten drei Plätzen Türkei, Polen und Syrien. Die Statistik sagt nichts über die Verteilung der einzelnen Straftaten auf die genannten Gruppen, verheiratet oder Ex-Partner, aus. In fast allen Medien - und auch von Professorin Wolff - wird darauf hingewiesen, dass also überwiegend Deutsche eines Gewaltdelikts in einer Partnerschaft verdächtig werden.

Das stimmt, aber im Umkehrschluss heißt das, dass Nicht-Deutsche allgemein zu 33% zu Buche schlagen, in der Kategorie "Ex-Partner" etwa 25% und bei Delikten zwischen Ehepaaren zu mehr als 40% - bei einem Bevölkerungsanteil von etwa 20%.

Grundsätzlich ist es egal, ob die Opfer Deutsche sind oder Migrantinnen und Migranten, ebenso die Tatverdächtigen. Wer aber an den bestehenden Verhältnissen tatsächlich etwas verändern möchte, braucht genaue Zahlen und jede Angabe ist wichtig, auch die Altersklassen.

So sind die meisten Opfer von Partnerschaftsgewalt zwischen 30 und 39 Jahre alt und zwar männlich wie weiblich. Ab 50 sinkt die Zahl der Delikte - und das Geschlecht der Opfer gleicht sich zunehmend an. Oberflächlich betrachtet bedeutet das, dass ältere Paare Konflikte anders zu lösen imstande sind als jüngere, und ältere Frauen öfter gewalttätig werden - oder sich häufiger wehren.

Der politische Wille fehlt

Um diese Zahlen genau auswerten zu können, wären Angaben zu den Tatverdächtigen, den Lebensumständen der Paare, Beziehungsstatus und auch Staatsangehörigkeit wichtig. Aber offensichtlich fehlt es am Willen, an diesen Verhältnissen etwas zu ändern. So weigert sich Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Franziska Giffey, Femizide als Straftatbestand ins Strafgesetzbuch aufzunehmen.

Dieser Tage wird viel darüber geredet, Opfern von Antisemitismus und Rassismus bessere Hilfestellung zu geben, Hatespeech ist in aller Munde - nur leider wird dabei Gewalt gegen Frauen, verbal, bis hin zu der brutalsten Form, dem Femizid, vergessen. Als wir 2018 Strafanzeige gegen die beiden Rapper Farid Bang und Kollegah wegen deren frauenverachtender Texte stellten, bescheinigte uns die Staatsanwaltschaft Düsseldorf, dass Gewalt, Gewaltverherrlichung und insbesondere Misogynie sozusagen das Markenzeichen des Gangsta-Rap seien.

Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf sah diese durch die künstlerische Freiheit gedeckt. Somit wurde das Recht auf Verbreitung von Frauenhass juristisch besiegelt. Das Recht auf Verbreitung von Frauenhass steht über dem Recht, davor geschützt zu werden.

Die Folgen davon bekommen Frauen und Mädchen überall zu spüren: Sexualdelikte sind sprunghaft gestiegen oder zumindest die zur Anzeige gebrachten Sexualdelikte, Messerangriffe und andere Formen der Gewalt finden zunehmend öffentlich statt. Opfer von Sexualdelikten sind fast ausschließlich weiblich, die Tatverdächtigen männlich.

Gewalt findet zunehmend im öffentlichen Raum statt

Grundsätzlich werden Männer häufiger Opfer von Gewaltdelikten, in den meisten Fällen bei Auseinandersetzungen, wenn aus einem Streit Handgreiflichkeiten entstehen. Aber immer öfter werden auch Männer Opfer von Gewaltverbrechen in aller Öffentlichkeit, ohne dass sie eine wie auch immer geartete Beziehung zum Tatverdächtigen hatten.

In der Dokumentation "Messerland Deutschland" werden drei Fälle geschildert, bei denen Männer Opfer von Messerangriffen in aller Öffentlichkeit wurden; in einem Fall ging eine Drohung voraus, in den beiden anderen geschilderten Fällen kannten Opfer und Täter einander nicht. Frauen aber werden nicht nur Opfer von Gewaltverbrechen in der Öffentlichkeit - dem gehen sie häufig aus dem Weg, indem sie Öffentlichkeit meiden - sondern in ihrem Zuhause.

Oder sie werden Opfer eines Gewaltverbrechens ausgeübt von einem Mann, mit dem sie ihr Zuhause in der Vergangenheit teilten. Das bedeutet, sie haben keine Möglichkeit, sich vor dieser Gewalt zu schützen. In vielen Fällen ermordeter Frauen wird bekannt, dass sie im Vorfeld der Tat um polizeilichen Schutz baten. Dieser wird ihnen jedoch verwehrt.

Was tun?

Das Frauenmagazin emotion veröffentlichte Tipps, wie Außenstehende Betroffenen helfen und was Betroffene selbst tun können:

Was man tun kann, um Betroffenen zu helfen:
Solidarisch reagieren und zuhören, wenn sich jemand anvertraut. Schuldzuweisung von Betroffenen nehmen: Jemand der Gewalt erlebt, ist nicht selbst Schuld daran!
Ermutigen, Hilfe zu holen (z.B. Polizei rufen, eine Anzeige erstatten oder per Telefon/im Internet professionelle Hilfe holen) oder selbst Hilfe holen bzw. sich informieren.
Über das Thema reden und nicht wegschauen oder schweigen, sondern immer wieder klar machen, dass Gewalt in einer Partnerschaft nicht akzeptiert werden sollte, niemals!
Sich engagieren bei Organisationen, die sich für Frauen einsetzen, die Gewalt erleben.
Petitionen unterstützen, wie z. B. die Petition Stoppt das Töten von Frauen #saveXX auf change.org.
Was Betroffene tun können:
Sich trauen, Hilfe zu holen, auch wenn es schwer fällt. Zunächst hilft es vielleicht, sich einem anderen Menschen anzuvertrauen und sich Unterstützung zu holen.
Geschlagen, gestoßen, verprügelt oder mit Waffen bedroht zu werden ist nicht normal und sollte nie akzeptiert werden! Menschen, die anderen Menschen so etwas antun bzw. androhen, machen sich strafbar und müssen angezeigt werden.
Für Gewalt, die man erlebt, trägt man selbst keine Schuld. Schuld hat derjenige, der gewalttätig wird. Wenn es einmal passiert, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder passieren. Gerade wenn Kinder involviert sind, sollte man Hilfe holen und die Situation nicht hinnehmen.
Das kann auch bedeuten, dass man denjenigen räumlich verlassen muss und entweder zu Verwandten/Freunden geht, denen man vertraut oder in einem Frauenhaus Schutz sucht.

emotion

Wer Professorin Wolff sowie TdF helfen möchte, Ministerin Giffey zu überzeugen, die Kategorie "Femizid" als Straftatbestand auszunehmen, kann die Petition unterzeichnen.