Ein Visionär, ein Ideologe und ein Praktiker

Anatomie einer Partei: Wer hat die besten Karten beim Kampf um den CDU-Vorsitz? Ein "close reading" der Kandidaten (Teil 2)

Ein Bruch mit Angela Merkel in dieser Zeit wäre töricht. Und deshalb müssen wir gut über diese 15 Regierungsjahre reden und trotzdem neue Ideen in die Zukunft entwickeln. Und das wird genau die Aufgabe sein eines neuen Parteivorsitzenden.

Armin Laschet

Ich bin davon überzeugt, dass die CDU selber erneuerungsbedürftig, modernisierungsbedürftig ist. Es muss wieder Politik Einzug halten, es muss interessant werden, auch für Außenstehende. Wir sind als Partei sozusagen ein Instrument des Wahlkampfes, aber zu wenig ein Körper, ein Organismus, der selber lebt und in dem es auch interessant ist, mitzuwirken.

Norbert Röttgen

Ich bin eigentlich gar kein Politiker.

Friedrich Merz

Um die derzeitige innerparteiliche Debatte der CDU ( Teil 1: Die Partei der Alternativlosigkeit sucht einen neuen Vorsitzenden) besser zu verstehen und die verschiedenen Ausrichtungen der Kandidaten zu erkennen, war die erste der beiden live übertragenen Kandidatenrunden vor Weihnachten gut geeignet. Dies war natürlich kein journalistisches, kritisches, unabhängiges Format.

Aber umso mehr, da man hier im geschützten Raum und ohne offenen Streit aufeinandertraf, bot sich die Gelegenheit zu einer Anatomie der CDU im Corona-Jahr. Alles war erkennbar darauf angelegt, dass am Ende keiner der Drei mit Blessuren aus dieser Runde heraus ging. Aber es sind Unterschiede und unterschiedliche Akzentuierungen deutlich geworden.

Vorab aber noch eine Bemerkung zur Moderation. Die Moderatorin Tanja Samrotzki wurde zur größten Belastung der Runde - vor allem durch verkrampfte Gutgelauntheit und den generellen Adventskaffeeklatschton, mit dem sie moderierte. Wie eine spießige Kindergärtnerin, tendenziell nervös und überfordert, aber immer gut drauf.

Hinzu kamen unfreiwillig komische Fragen und Versprecher, von denen der, dass Merz seinen "Ring in den Hut wirft" noch der harmloseste war. Als nach "Verweiblichung der CDU" gefragt wurde, gab Samrotzki die Frage mit der Bemerkung an Armin Laschet weiter: "Die Rolle des Partners an ihrer Seite ist ja schon besetzt mit Jens Spahn - wo bleibt dann noch Platz für mehr Frauen?"

Der Kandidaten, drei Haltungen

Der größte Unterschied der drei Kandidaten liegt nicht in ihren Antworten zu Einzelfragen, sondern in der generellen Haltung und im Auftreten: Laschet und Röttgen duzten sich mehrfach gegenseitig, Merz wurde von ihnen dagegen nie direkt adressiert; er war als Außenseiter auch durch die immer erkennbare große Distanz zu den beiden anderen markiert.

Wie von selbst schälten sich bereits nach wenigen Minuten der Debatte dann drei klar verschiedene Rollen heraus: Norbert Röttgen, mit 55 der jüngste, gibt den Visionär, den Mann der Zukunft, den Kandidaten der Jungen, der Sieg wie Niederlage kennt. Armin Laschet betont seine Regierungserfahrung, das Kleinteilige, Pragmatische, er will vor allem "zuhören", und er habe gezeigt, wie man Wahlen gewinnen und Mehrheiten formen kann.

Friedrich Merz, auf den beider Verweis auf die Wahlen zielt, ist in dem Trio der Ideologe, wobei er sich zugleich große Mühe gibt, den Inhalt dieser Ideologie weitgehend unsichtbar zu machen. Was heute in seinen Reden vom Neoliberalismus und der Steuererklärung auf dem Bierdeckel noch übrig bleibt, ist die "Schuldenbremse", die bereits 2022 "wieder in Kraft treten" soll - eine utopische Forderung, in einer Situation, die Merz selbst als "vergleichbar mit 1945" charakterisiert. Daneben Wolkiges wie die Feststellung: "Wir leben zu viel im Hier und Jetzt und Heute."

Der Autopilot

An Friedrich Merz fällt in der Dreierrunde vor allem auf, wie unverbindlich er bleibt: In hochtrabenden Worten redete er von "staatspolitischer Verantwortung", von "europäischem Gestaltungsanspruch", von "großen Herausforderungen", ohne diese Schlagworte je substantiell zu füllen. Nicht einmal nahm er dagegen den Begriff "Klima" in den Mund und oder den Begriff "digital".

Ein Beispiel für viele: Auf die Frage, wie er nach Ende der Corona-Pandemie Deutschland wieder aus der Krise steuern wolle, antwortete Merz wörtlich zitiert (bei Minute 53.00): "Es wird eine schwierige Zeit. Darauf muss man vorbereitet sein. Und das müssen wir früh beginnen. Und deswegen ist diese Zeit jetzt von Januar an bis zur Bundestagswahl ziemlich kurz."

Nach diesen vier kompletten Nullsätzen stellt Merz fest, es seien "zwei Dinge zu berücksichtigen. Das erste ist: Natürlich bleibt das Umwelt-Thema [damit umschreibt Merz die Klimakrise, die er im Unterschied zu Röttgen und Laschet nicht beim Namen nennen will] eine große Herausforderung, auch wenn wir jetzt eine Wirtschaftskrise, eine Rezession haben. Deswegen steht die ökologische Erneuerung der Marktwirtschaft ganz oben auf der Agenda. Aber eben auch soziale Marktwirtschaft, nicht Planwirtschaft. Der zweite Punkt ist: Wir müssen in dieser Situation die nächste Generation im Blick behalten. Und deswegen mache ich ganz konkret den Vorschlag für einen neuen Generationen-Vertrag."

Ein Minute ist vergangen, Merz hat nichts gesagt. Aber er hat komplett unvermittelt den Begriff "Planwirtschaft" in die Runde geworfen. Wer ist da gemeint? Laschet? Habeck? Honecker? Lenin? Oder das ganz persönliche "back to the roots" der Erinnerung an das vom Wehrmachts-Hauptmann und CDU-Stahlhelmer Alfred Dregger erdachte CDU-Wahlkampfmotto 1976: "Freiheit statt Sozialismus" - Merz' erster Bundestagswahl?

Friedrich Merz gelingt es immer wieder, mit aufgeplusterten Backen komplette Banalitäten so auszusprechen, als handle es sich um tiefste philosophische Erkenntnisse: "Die Welt geht auch morgen nicht unter." Seine Arroganz steht ihm zusätzlich im Weg: Achtziger-Jahre-Sätze wie "Ich habe an dieser Stelle keinen Nachholbedarf" hört man von den anderen beiden nicht. Oder: "Mein Team ist der gewählte Bundesvorstand der CDU. Und ich werde in diesem Bundesvorstand keine Parallelstrukturen einrichten." Im Klartext: Ich bin nicht teamfähig und habe auch kein Interesse daran, es zu werden.

Wenn er dann hinzufügt: "Da gibt es im Vorstand auch keinen herausgehobenen Stellvertreter von fünf", geht das vor allem gegen Laschet bzw. Spahn, die immer als Team auftreten.

Wenn Merz sagt: "Ich habe konkrete Ideen, ich habe einen Plan, wie wir diese Partei, aber auch dieses Land nach vorne bringen", dann glauben ihm das viele in der CDU. Für nicht wenige aber klingt es wie eine Drohung.

Der gute Hirte

Armin Laschet hingegen hat vermutlich keinen Plan. Dafür hat er eine Haltung. Es ist die des Vermittlers und Versöhners, des Konfrontationsabbauers, des Teamplayers, der "konkrete Politik" macht, "jeden Tag, für die Menschen".

Armin, der Mensch. Die CDU ist in der Welt des Armin Laschet "die letzte verbliebene Volkspartei." Sie müsse "den Zusammenhalt der Gesellschaft garantieren. Der ist gerade jetzt wieder gefährdet". Die Fähigkeit der CDU "war immer, Soziales und Wirtschaftliches zusammen zu bringen. Wie können wir Industrieland bleiben und die grünen Fragen richtig beantworten?" Klimaneutralität und Industrie-Gesellschaft müssten versöhnt werden, auch Stadt und Land, Deutschland und Europa.

"Und hier immer wieder zuzuhören und eine Position erarbeiten, die wir als führende Partei dann auch mehrheitsfähig in Deutschland machen" - dieser Satz umschreibt das Denken Armin Laschets am besten; seine konkrete, sich jeden Tag, jede Stunde, bei jedem Feuerwehr- oder Mastbetriebstermin neu erfüllende Gestaltungsfreude, wie seinen kleinteiligen Politikstil einer vorsichtigen, bedachtsamen wie bedächtigen Schritt-für-Schritt-Politik, die tatsächlich nahe am Lebensgefühl vieler seiner Wähler sein dürfte.

Die Liebe zur Provinz, die er "Heimat" nennt, die Welt als ein größeres NRW (Motto: "Wer dort regiert, der kann auch Kanzler"); die Welt als Auenland und Armin Laschet als der Bilbo Beutlin der CDU.

Laschet setzte sich dabei in der Kandidatenrunde immer wieder ganz klar von Merz ab und gab sich zugleich Mühe, auch zum konservativen CDU-Flügel Signale der Versöhnung zu senden. So redete er ungefragt von "innerer Sicherheit" und "bezahlbarem Strom". Laschet blinkte auch allzu eindeutig nach rechts, als er vom "Null-Toleranz-Prinzip" sprach, "gegen Clankriminalität, gegen Kindesmissbrauch, gegen alle die Dinge, wo man jahrelang nicht richtig hingeschaut hat. Und das muss auch eine neue CDU/CSU geführte Bundesregierung zu ihrem Kernprofil machen: Bei innerer Sicherheit klare Kante und keine Kompromisse mit einem Koalitionspartner zu Lasten der Sicherheit unserer Bürger".

Mit Laschet, das ist sein Versprechen an die CDU-Mitglieder, und es ist zugleich eine Drohung, wird die generelle Linie der letzten 20 Jahre Angela Merkel fortgesetzt. In langsamem Tempo gilt auch bei klarem Wetter das Prinzip "Fahren auf Sicht": "Wenn ich manchmal höre, in den letzten Jahren sei die Achse der Partei in irgendeine Richtung verschoben worden - nein! Sie hat eine Antwort gegeben auf eine gesellschaftliche Anforderung."

Der Überflieger

Damit ist Norbert Röttgen noch nicht zufrieden. Wo Laschet auf Sicht fährt und zuhört, Merz taubblind auf Autopilot geschaltet hat, ist er immer noch der nach allen Seiten offene Überflieger. Der einstige Lieblingssohn der Kanzlerin ("Muttis Klügster") wurde als Umweltminister und Kronprinz verstoßen, weil er zu großen eigenen Ehrgeiz mit fehlendem Instinkt kombiniert hatte.

Persönlich mag er sich für die erlittene Kränkung revanchieren wollen, aber längst hat er genug Buße geübt und über acht Jahre lang im Bundestag diszipliniert und klug die Politik der Regierung und der CDU-Vorsitzenden vertreten; inhaltlich ist er sowieso immer noch ein Merkel-Mann und es fehlt ihm auch die destruktive Leidenschaft zum Racheengel.

In der Kandidatenrunde war es dann gar nicht so überraschend Röttgen, der am ehesten ein Konzept und die Vorstellung einer erneuerten CDU formulieren konnte, und der Mängel benannte:

Ich kandidiere, weil es mich umtreibt, was alles auf dem Spiel steht, wie alles ins Rutschen gerät, und zwar seit Jahren. Es ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Sind wir als Land darauf vorbereitet? ... Wir müssen über das, was wir bislang als Volkspartei haben, hinausgehen.

Die Partei müsse weiblicher, jünger, digitaler werden, zugleich politischer, interessanter, spannender. "Wir können nicht akzeptieren, dass wir erst bei den Über-60-Jährigen auf Platz 1 liegen."

Um jüngere Wähler zu erreichen, müsse die CDU anders kommunizieren, aber sich eben auch anderer Themen annehmen: "Das definierende Thema der jungen Generation ist der Klimaschutz." Es gehe nicht mehr um Lippenbekenntnisse:

Ich bin für Klima, das sagen ja jetzt alle. Worum es geht, ist, dass wir klimapolitische Glaubwürdigkeit haben. Die jungen Leute müssen uns glauben, dass wir es wirklich ernst meinen, und nicht nur eine taktische Aussage, weil man es machen muss. Und dann müssen wir diese Glaubwürdigkeit, für die Personen stehen - und ich glaube ich tue es -, mit marktwirtschaftlicher Kompetenz verbinden. Klima muss nach CDU klingen. Und zwar nach konkretem Fortschritt. Wir haben es erreicht, dass 2020 in Deutschland die CO2 Emissionen um 40 Prozent reduziert sind - nicht die Grünen.

Norbert Röttgen

Das soll mit Innovationen gelingen und einer "nationalen Kraftanstrengung" in den Schlüsseltechnologien des Digitalisierungs-Sektors.

Daneben stellte Röttgen besonders seine Arbeit als Außenpolitiker der Union heraus: Die "Führungs. und Gestaltungsidee der CDU" sei der Zusammenhalt Europas. Man erlebe die Rückkehr von Großmächte-Politik. Aber nach vier Jahren Trump-Präsidentschaft sei Europa "uneinig und zerbrechlich". Aus Röttgens Skizze hört man die Sehnsucht nach einer eigenständigen europäischen Sicherheitspolitik heraus.

Am Schluss variierte Röttgen den konservativen italienischen Schriftsteller Tommaso Di Lampedusa: "Wir müssen bewahren, was wir sind: Volkspartei sein. Aber dazu müssen wir uns verändern."

Nicht Laschet oder Merz, sondern Röttgen oder Spahn

Alle drei Haltungen kristallisieren sich perfekt an den Antworten zur Frage des CDU-Mitglieds Jana Isabell Richter aus Dresden danach, wie sich der Frauenanteil in der CDU steigern ließe. Der liegt im Augenblick bei 27 Prozent.

Laschet wird hier konkret und fordert eine konsequent paritätische Besetzung der Führungsämter in Regierung wie Partei. "Mehr Frauen in Parlamenten, mehr Frauen in Führungspositionen." Er betont die Ämter und das Praktische, Konkrete.

Röttgen widerspricht nicht, kritisiert aber Laschet trotzdem: "Mein Ansatz ist, dass wir es dann auch tatsächlich machen. Die zweite Person in meinem Team wird eine Frau sein. Es ist eine Sache von Parität zu reden, die andere Sache ist, sie einfach zu praktizieren. Der Wahrheitstest ist nicht die Ankündigung, sondern die Tat." Die CDU sei nur ein stark introvertiertes Biotop, das für sich diskutiert, sie müsse aber Kommunikationskanäle in die Gesellschaft legen. Man brauche eine Veränderung der Kultur. Röttgen ist deshalb ohne Wenn und Aber für eine Quote. Die Partei laufe sonst in Gefahr, ganze Generationen zu verlieren.

Merz gibt sich Mühe, nicht gereizt zu wirken:

Ich habe zum Thema Quote meine Meinung gesagt. Das Beste wäre, wenn wir von unten, aus der Mitgliedschaft, mehr weibliche Mitglieder bekommen. Die Quote ist die zweitbeste Lösung; ich werde nicht gegen eine Quote stimmen, aber ich wünsche mir, dass wir noch mehr tun. Ich könnte es auch an Beispielen sagen.

Friedrich Merz

Dann kommt er auf seine zwei Töchter, die beide - reiner Zufall! - Stipendiatinnen der Adenauer-Stiftung seien. "Die sind dann umgezogen, die CDU hat sie völlig aus dem Blick verloren." Dieses Beispiel zeigt, dass auch Friedrich Merz den Blick verloren hat für das Geschmäckle von Nepotismus, das auch viele CDU-Sympathisanten bei dieser Anekdote empfinden werden. Ob Jana Isabell Richter aus Dresden, die Frau, die die Frage gestellt hat, nun Merz wählen wird?

So zeigte die CDU-Kandidatenrunde: Es geht bei der CDU-Vorsitzwahl nicht allein um die Entscheidung zwischen "Mitte" und "Konservativ". Daneben geht es auch um die Wahl zwischen Zukunfts- und Vergangenheitsorientierung. Die eigentliche Frage, die sich die CDU-Delegierten bei ihrer Wahlentscheidung stellen müssen, lautet nicht Laschet oder Merz. Beide sind allein schon durch ihr Alter - Merz ist 65, Laschet wird in wenigen Wochen 60 - Männer des Übergangs. Die eigentliche Entscheidung, die die CDU treffen muss, lautet: Röttgen oder Spahn.