Ein bisschen Frieden aus Berlin

Der Konflikt um die Kaukasus-Republik Abchasien soll in Deutschland verhandelt werden. Doch ihr Schicksal hängt von Moskau ab

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Nun scheinen Georgien und Abchasien doch zu Verhandlungen bereit. Noch Mitte Juli hatten die beiden verfeindeten Kaukasus-Staaten einen Friedensplan des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier abgelehnt. Der SPD-Politiker war während einer zweitägigen Reise in die Region mit den Konfliktparteien zusammengekommen. Doch sowohl die georgische Regierung in Tiflis als auch die Führung der Autonomen Republik Abchasien hatten den Vorstoß Steinmeiers abgelehnt. Erst die Intervention des russischen Außenminister Sergej Lawrow brachte die Kehrtwende. Moskaus Chefdiplomat machte damit deutlich: Ohne Russland wird einer der großen Konflikte im Kaukasus nicht beizulegen sein.

Steinmeier war mit dem Mandat der "UN-Freundesgruppe für Georgien" in die Krisenregion gereist. Das Bündnis aus den USA, Großbritannien und Russland soll sich im Auftrag der UNO für eine Beilegung der Krise einsetzen, die seit der einseitigen Unabhängigkeitserklärung Abchasiens 1992 währt. Deutschland hat derzeit den Vorsitz der Gruppe inne. In der abchasischen Hauptstadt Sochumi kam Steinmeier deswegen mit dortigen Politikern ebenso zusammen wie in Tiflis und Moskau (Gescheiterte Friedensmission von Außenminister Steinmeier).

Sein Anliegen ist nicht einfach: Seit dem abchasisch-georgischen Krieg 1992 sind die Fronten verhärtet. Obwohl die "Autonome Republik Abchasien" international nicht anerkannt ist, konnte ihre Führung mit russischer Hilfe de facto eine staatliche Struktur errichten, mit der heute umgegangen werden muss. Die Krise um Abchasien ist damit ebenso wie die Auseinandersetzung um die von Georgien beanspruchte Republik Südossetien ein Erbe des Zerfalls der Sowjetunion. Erschwert wird eine Lösung dadurch, dass die Region knapp zwei Jahrzehnte später ebenso im Visier Russlands als auch der NATO, also der USA, steht. Es darf deswegen bezweifelt werden, ob es Deutschland gelingt, das Problem im allseitigen Einverständnis zu lösen.

Unübersichtliche Positionen

Zunächst aber überwiegt die Zuversicht. Denn zunächst hatte alles nach einem Scheitern der Steinmeier-Reise ausgesehen. Nach Berichten von Nachrichtenagenturen hatte auch die Führung Südossetiens den Vorschlag des deutschen Außenministers als "ungeeignet" abgelehnt. Der stellvertretende Ministerpräsident des von Georgien beanspruchten Landes kritisierte vor allem, dass die Situation der allein in dieser Region rund 80.000 Vertriebenen nicht hinreichend berücksichtigt wurde. Aber auch in Abchasien traf der Plan auf Ablehnung. Georgiens Präsident Michail Saakaschwili lehnte zentrale Elemente des Vorhabens ebenso ab.

Abchasien fordert vor der Aufnahme jedweder Gespräche den vollständigen Rückzug georgischer Truppen vom eigenen Territorium. Georgien besteht zunächst auf die Rückkehr der Flüchtlinge, deren Zahl auf 250.000 geschätzt wird. Im Verlauf des Krieges waren alleine 200.000 Georgier vertrieben worden. In Anbetracht der jüngsten Spannungen besteht Russland als Schutzmacht indes auf ein Abkommen zum Gewaltverzicht. Eine schwierige Gemengelage für eine diplomatische Lösung.

Dass nach Lawrows Intervention zumindest im Konflikt zwischen Abchasien und Georgien die Konfliktparteien bereit sind, sich an einen Tisch zu setzen, zeigt den großen Einfluss Russlands in der Region. Nach einem Treffen mit Steinmeier in Moskau bezeichnete der russische Außenminister den deutschen Plan als "sehr hilfreich" und "umfassend". Ende August bereits könnten in Berlin die Gesandten aus Sochumi und Tiflis zusammenkommen, um über einen Drei-Punkte-Plan zu verhandeln. Zunächst sollen dabei die militärischen Konflikte beigelegt und das Flüchtlingsproblem gelöst werden. In weiteren Schritten sind Wiederaufbauprojekte vorgesehen. Und schließlich sieht die Initiative Steinmeiers Gespräche über den völkerrechtlichen Status Abchasiens vor - das wohl schwierigste aller Unterfangen.

Kosovo im Kaukasus

In der Region wird das Projekt mit einer Mischung aus Hoffnung und Skepsis verfolgt. "Viele in Moskau und Tiflis trauern heute den versäumten Möglichkeiten für eine Lösung des Problems nach", schrieb unlängst der georgische Journalist Arno Chidirbegischwili in einem Kommentar für die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Auch Chidirbegischwili weist auf die Polarisierung zwischen Russland und dem Westen hin. Moskau betreibe heute in Abchasien Aufbauhilfe, als ob es sich um eine russische Region wie Tschetschenien handelte, während die Führung in Sochumi offen auf einen Anschluss an Russland orientiere. Georgien hingegen beziehe Abchasien in die NATO-Beitrittspläne ein - ohne Rücksprache mit der Regionalführung gehalten zu haben und vor allem: ohne aus der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) ausgetreten zu sein. Es ist nicht der einzige Punkt, den Chidirbegischwili an der Politik von Tiflis kritisiert: Wenn sich die Krise zwischen den USA und Iran entspanne - dafür gebe es derzeit immerhin vage Anzeichen -, könnte das Interesse Washingtons an der Partnerschaft mit Georgien schlagartig erlöschen. Und dann stehe Tiflis alleine da.

Trotz der Ablehnung durch die georgische Regierung ist Russland derzeit auf internationalem Parkett gestärkt. Paradox ist, dass dies nicht einmal den eigenen Leistungen, sondern der westlichen Balkan-Politik zu verdanken ist. Denn nach der international nach wie vor höchst umstrittenen Anerkennung der südserbischen Provinz Kosovo durch die EU und die USA kann sich Moskau auf dieses Beispiel berufen. Wenn sich das Kosovo von Serbien lossagen konnte, weshalb soll Abchasien und Südossetien ihre Eigenstaatlichkeit verweigert werden? Russlands Außenminister und die Führung Abchasiens können den Verhandlungen in Berlin vor diesem Hintergrund also gelassen entgegensehen. Man darf gespannt sein, wie die deutschen Gastgeber und die Vertreter aus den USA sowie Großbritannien sich aus dieser Zwickmühle zu befreien versuchen.