Ein fatales Jubiläum

Der genau 100 Selbstmordanschlag in Israel

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Statistiken haben ja eigentlich etwas Beruhigendes. Auch oder gerade weil man sie nach Belieben fälschen oder interpretieren kann. Die Statistik, die die Nachrichtenagentur AP in einer längeren Meldung vorgelegt hat, ist allerdings alles andere als beruhigend. Der Versuch, Schrecken, Terror und Tod in einem Zahlenwerk zu erfassen, hat vielmehr etwas Irritierendes.

Ordentlich aufgelistet werden nämlich in dieser Statistik die Selbstmordattentate der letzten Jahre in Israel. Zahlen und Fakten, die offenbar aus zumeist israelischen Geheimdienstquellen stammen. Demnach gab es vergangenes Wochenende in Israel ein fatales Jubiläum: den genau 100. Anschlag eines Selbstmordattentäters. Der Name des erst 17-jährigen Mannes ist Ahmed Daraghmeh, und er war der Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns aus Tubas/West Banks.

Die Attentatsserie begann im Jahre 1993 - nach den Friedensgesprächen zwischen der PLO und Israel. Anschließend folgten insgesamt 75 "erfolgreiche" Anschläge, 25 dagegen scheiterten zum Glück. 66 Attentäter stammten nach AP-Angaben aus den Reihen der radikalen Hamas-Organisation und 34 werden zur Islamic Jihad gezählt.

Auch ein Täterprofil enthält die Statistik. So waren fast alle Selbstmordattentäter jünger als 30 Jahre alt. 68 gehörten sogar zur Altersgruppe der 17- bis 23-Jährigen. Unter den Attentätern war außerdem keine einzige Frau. Mord und Terror sind in diesem Konflikt also immer noch reine Männersache, zumindest was die Täter angeht. Und die meisten der Terroristen waren zudem unverheiratet und in der Regel gut ausgebildet. 46 besuchten ein College, 31 hatten einen Highschool-Abschluss und nur 23 waren Schulabbrecher. Da die Täter sowohl aus armen wie auch aus wohl situierten Elternhäusern stammten, behauptet ein von AP befragter Experte, dass weder der Bildungsstand noch der soziale Status bei der Entscheidung für ein Selbstmordattentat eine größere Rolle spielen würde. Ausschlaggebend sei dagegen die Religion oder vielmehr der religiöse Fanatismus der Kreise, in denen sich die jungen Leute bewegten.

Dass soziale Faktoren dabei eher nebensächlich sind, bestätigt auch der von AP zitierte palästinensische Politikwissenschaftler Ali Jerbawi: "Wenn man auf der West Bank oder in Gaza lebt, wird man schon deswegen dazu gebracht, ein Selbstmordattentäter zu werden, wenn man die Straßensperren sieht und bemerkt, wie die israelischen Soldaten die Palästinenser an den Kontrollpunkten behandeln." Unter diesen Blockaden und den anderen Maßnahmen der israelischen Armee würden alle sozialen Gruppen der Gesellschaft gleichermaßen leiden. Der soziale Statuts spiele daher kaum eine Rolle, betont Jerbawi.

Wie bedrückend und hoffnungslos diese Zustände seien müssen, zeigt eine Meinungsumfrage. Im vergangenen Juli unterstützen 58 Prozent der befragten Palästinenser Selbstmordattentate. Mehr als doppelt soviel als noch vor vier Jahren.