Ein gekreuzigtes Schwein und das Internet

Darstellung im Internet als Störung des öffentlichen Friedens

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Am 27.6.97 hatte die Staatsanwaltschaft beim Landgericht das aufgrund einer Anzeige des Bischöflichen Ordinariats Regensburg erfolgte Ermittlungsverfahren gegen eine Plattenfirma eingestellt, die auf ihrer Site ein T-Shirt mit einem gekreuzigten Schwein und dem Logo einer Punkband anstelle der Aufschrift "INRI" zum Verkauf angeboten hat. Die Darstellung sei zwar eine "äußerst geschmacklose Beschimpfung" der christlichen Religionen, aber es fehle der Tatbestand einer Störung des öffentlichen Friedens, weil "die inkriminierte Abbildung naturgemäß keiner breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und nur demjenigen bekannt werde, der die Adresse der Firma XYZ anwähle, die bekanntlich nur einer sehr begrenzten Anzahl (von Personen) bekannt" sei. Das Ordinariat war damit nicht zufrieden und erreichte am 23.6.1998 aufgrund eines Klageerzwingungserfahrens" beim Oberlandesgericht Nürnberg, daß der Bescheid über die Einstellung des Verfahrens wieder aufgehoben werde.

Die bayerischen Richter scheinen, was das Internet angeht, die Staatsanwaltschaft überbieten zu wollen, was sich bereits beim Verfahren gegen Felix Somm, dem ehemaligen Geschäftsführer von CompuServe, wegen der Verbreitung pornographischer Inhalte gezeigt hat. Offenbar ganz im Sinne der bayerischen Staatsregierung, die einerseits das Land zur High-Tech-Region entwickeln will, andererseits aber mit aller Schärfe versucht, das Internet "sauber" zu halten, da im Parteiprogramm auch ansonsten der Sicherheitsaspekt im Sinne einer konservativen Law-and-Order-Politik als Wahlkampfpunkt hochgehalten wird, versuchen manche bayerische Richter, diese Politik auszuführen.

Interessant an diesem Fall ist, daß das gekreuzigte Schwein im Internet den Tatbestand einer Störung des "öffentlichen Friedens" gemäß § 166 StGB1 nach dem OLG erfüllt, der das "öffentliche Beschimpfen" von religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnissen unter Strafe stellt. Dafür genügt es schon, daß berechtigte Gründe für die Befürchtung vorliegen, der Angriff werde das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttern, weil Intoleranz gefördert werde, wenn die Beschimpfung nicht geahndet wird.

Das Kreuz ist nach dem OLG das "Glaubenssymbol schlechthin" des Christentums und werde durch die "offenkundig" durch die "beabsichtigte, geschmacklose und bösartige Profanierung" entweiht, zumal das Schwein, weil es als unrein gilt, als Symbol verwendet wird, "wenn es darum geht, andere zu verunglimpfen und herabzusetzen". Der Hauptpunkt allerdings ist, daß die "Beschimpfung" öffentlich und durch Verbreitung von Schriften durch die Benutzung des Internet erfolgte.

Das OLG widersprach der Ansicht der Staatsanwaltschaft, daß die inkriminierte Abbildung keiner breiten Öffentlichkeit zugänglich sei, da das Internet allein Millionen von Deutschen zugänglich sei, "die schon beim sogenannten Surfen im Internet selbstverständlich auch auf die Homepage der Firma XY stoßen können." Mühelos können "Angehörige der Punk-Szene und Fans der Band durch Eingabe entsprechender Suchwörter die Internetadresse der Firma XY direkt anwählen." Auch wenn nur wenige direkt oder zufällig auf das Schweine-T-Shirt stoßen, sei "die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens stets schon dann gegeben, wenn nach den konkreten Umständen damit zu rechnen ist, daß der Angriff einer breiten Öffentlichkeit einer individuell nicht mehr überschaubaren Personengruppe bekannt wird." Es geht also lediglich um die Möglichkeit, daß viele prinzipiell die Abbildung sehen könnten, auch wenn sie nicht wirklich machen. In diesem Fall habe man so damit rechnen müssen, daß die Darstellung auch "Gliedern der Katholischen Kirche" bekannt werde. Selbst wenn die "Störung", wie das Gericht indirekt einräumt, erst durch die "Reaktion der Angegriffenen, hier also der Katholischen Kirche und ihre Gläubigen", verursacht worden ist, sei unerheblich. Das heißt wohl im Klartext, daß das Bischöfliche Ordinariat irgendwie Kenntnis von der Darstellung erlangt hat und durch die Verbreitung und Anzeige sie eigentlich erst einer "breiten Öffentlichkeit" zugänglich gemacht hat. Der vermutlich organisierte "Protest vieler Tausender katholischer Christen gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens" dient dann wieder dazu, die Störung des öffentlichen Friedens durch die Darstellung auf einer Internet-Site zu begründen, die ansonsten wohl mehr oder weniger unbemerkt geblieben wäre.

Um die potentielle Störung des öffentlichen Friedens zu begründen, mußte das OLG begründen, ob Dokumente im Internet eine "Schrift" und welche Seiten einer größeren Öffentlichkeit zugänglich sind. Da die Daten, die über das Internet abgerufen werden können, durch "Speichermedien wie Festplatten" bereitgestellt werden, handelt es sich gemäß & 11 Abs. 3 STGB2 um eine Schrift "in Form einer stofflichen Verkörperung von gewisser Dauer". Etwas Schwieriger ist jedoch die Begründung, warum praktisch jede Seite "einem größeren, durch persönliche Beziehungen nicht zusammenhängenden Personenkreis wahrgenommen werden."

Nicht nur nutzen das "weltweit betriebene Datennetzwerk" immer mehr Menschen, der Anschluß sei auch jedermann möglich, wenn er die nötigen Voraussetzungen besitzt. Allein in Deutschland nutzen, wie das OLG einen Bericht der FAZ zitiert, 4,3 Millionen Menschen das Internet täglich, und überhaupt sei "der Kreis der tatsächlichen Nutzer noch bedeutend größer als derjenigen der angemeldeten, weil häufig bei privaten Anschlüssen Familienangehörige und bei sonstigen Anschlüssen Angestellte ... in der Lage sein werden, hierüber Informationen abzurufen bzw. Suchmaschinen zu starten, um gewünschte Nutzungen zu eröffnen." Weil also so viele Millionen Menschen potentiell Zugang zu der inkriminierten Darstellung haben können, die "jedem Surfer oder gezielt interessierten Nutzer" zur Verfügung gestellt wird, ist der Personenkreis nicht mehr überschaubar und eignet sich die Seite daher zur Störung des öffentlichen Friedens.

Nach diesem Urteil, das allerdings noch keine endgültige Entscheidung darstellt, muß jeder in Zukunft aufpassen, was er auf seiner Homepage als "Schrift" der Welt und den Surfern anbietet, und sind möglicherweise die Provider doch entlastet, denn für den Inhalt ist "in erster Linie der Ersteller, der sich mit dessen Inhalt identifiziert, verantwortlich." Aber was ist, wenn sich der Ersteller nicht damit identifiziert, sondern einen möglicherweise den öffentlichen Frieden störenden Inhalt nur zitiert, aber ihn dadurch veröffentlicht und Anstoß erregt?

Obgleich in diesem Urteil also primär der Ersteller einer Seite verantwortlich gemacht wird, betont das OLG jedoch, daß es nicht dem Münchener Internet-Urteil gegen Felix Somm vergleichbar sei, bei dem es um die Frage ging, ob ein Provider auch für die Inhalte von Seiten anderer verantwortlich ist, da es hier um die Strafbarkeit des für die Seite verantwortlichen Anbieters selbst gegangen wäre. Beides aber hängt doch irgendwie zusammen - oder doch nicht?