Ein genereller Positionswechsel der Amerikaner in der Rüstungskontrolle ist zu erwarten

Gespräch mit Angelika Beer, der rüstungspolitischen Sprecherin der Grünen

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Rückblick ins Jahr 1988. Der Bonner Bundestag debattiert über die Kontrolle biologischer Waffen. Wie selten fallen in dieser Debatte des deutschen Parlamentes kritische Bemerkungen zu der Erforschung biologischer Kampfstoffe. An das Rednerpult tritt auch Angelika Beer für die Grünen-Fraktion.

"Meine Damen und Herren", sagt sie, "wo es keine B-Waffen mehr gibt, wo es vertraglich keine B-Waffen mehr geben darf, brauchen wir auch keinen Schutz und keine Schutzforschung dagegen. Wir fordern die Bundesregierung auf, diesen Tätigkeitsbereich der Bundeswehr stillzulegen."

Heute sieht die Lage anders aus. Angelika Beer ist rüstungspolitische Sprecherin der Grünen in der Bundesregierung und somit auch für deutsche Soldaten im Einsatz verantwortlich. Eine Abschaffung ist nicht mehr in der Diskussion, nun gilt es die Verifikation, also die Überwachung von Laboren und Depots zu sichern. Mit dem Rückzug der Vereinigten Staaten aus der Verhandlung zur Stärkung der Biowaffenkonvention sind diese originären Ziele des Abkommens in Frage gestellt. So wie die gesamte Sicherheitspolitik seit den siebziger Jahren.

Am vergangenen Mittwoch, einen Tag nach den Anschlägen in den USA, erneuerte Angelika Beer sie die Kritik. Die Politik müsse zur Kenntnis nehmen, dass die bisherigen Sicherheits- und Stabilitätskriterien nicht mehr gälten. Sie habe Bedenken, so Beer im Hinblick auf die Anschläge, dass "aus der Hilflosigkeit einer im Herzen getroffenen Weltmacht" möglicherweise Reaktionen folgen könnten, die eine neue Spirale der Gewalt auslösen würden, sagte Beer in der ARD.

Mitte Juli dieses Jahres haben die USA erklärt, sich aus den Verhandlungen zur Stärkung der Biowaffenkonvention in Genf zurückzuziehen, weil die Verifikationsmechanismen nicht ausreichen würden. Inzwischen ist jedoch bekannt geworden, dass in den USA seit 1997 Forschung an veränderten Milzbranderregern betrieben wird. Nach den terroristischen Anschlägen in den Washington, New York und Pennsylvania am vergangenen Mittwoch ist die verstärkt unilaterale Ausrichtung der US-amerikanischen Rüstungspolitik wahrscheinlicher geworden. Haben diese Verträge, - etwa über biologische oder chemische Waffen - überhaupt noch Bedeutung?

Angelika Beer:: Natürlich haben die Konventionen weiterhin Bedeutung. Worauf es nun entgegen der Situation vor den Angriffen ankommt, ist das langfristige Überleben der Rüstungskontrolle zu sichern. Dazu gehört zum einen, dass alle Staaten, die an einer internationalen Rüstungskontrolle ein Interesse haben, an den Verträgen festhalten. Zum andern müssen wir weiterhin versuchen, die USA davon zu überzeugen, dass multilaterale Rüstungskontrolle ihre nationale Sicherheit erhöht und der Vorteil den relativ geringen Verlust des Handlungsspielraumes bei weitem aufwiegt.

Im Fall der Vereinigten Staaten sind natürlich die vorgeschobenen Begründungen zu kritisieren. Entgegen allen Erklärungen in Genf ist deutlich geworden, dass die USA in einem Grauzonenbereich Waffenforschung an biologischen Kampfstoffen betreiben. Nach der Konvention sind ausschließlich Forschung und Erstellung von Stoffen zum Schutz von B-Waffen genehmigt. Die nun vorliegenden Information deuten darauf hin, dass die USA an veränderten Erregern forschen. Das ist als Unterlaufen der Konvention zu werten.

Lässt die Erklärung Gerhard Schröders über "uneingeschränkte Solidarität" nicht vermuten, dass die Kritik unterbunden wird oder zumindest untergeht?

Angelika Beer: Die Solidarität, die wir und die internationale Staatengemeinschaft jetzt, nach den furchtbaren Terroranschlägen, üben, ist eine Selbstverständlichkeit.

Das Auswärtige Amt hatte vor wenigen Wochen die US-Position unterstützt. Es ist also davon auszugehen, dass die Haltung trotz den jüngsten Geschehnissen überdacht wird?

Angelika Beer: Davon ist auszugehen, weil damals mit fehlender Verifikation argumentiert wurde, der Hintergrund aber ein anderer war. Die rot-grüne Koalition versucht mit ihren Mitteln auch weiterhin, die Konventionen, die Rüstungskontrolle und Abrüstung zu stärken. Dass die Verhandlungen in Genf stagnieren, liegt aber an mehreren Staaten, die die Vorteile multilateraler Politik nicht anerkennen. Deutschland ist seit langem treibende Kraft, Überprüfungen im Bereich B-Waffenschutzforschung durchzusetzen. Deswegen war die Kritik der Amerikaner, die vorliegenden Vorschläge würden nicht ausreichen, aus unserer Sicht eine positive Kritik. Wir haben sie in dem Versuch unterstützt, noch eine weitere Verschärfung durchzusetzen. Inzwischen wissen wir aber, dass der Hintergrund der Amerikaner offensichtlich nicht eine beabsichtigte Verschärfung der Verifikation, sondern eine Verhinderung der Verifikation ihrer eigenen Forschungen war.

Eine Verschärfung wäre aus der Sicht der Bundesregierung also notwendig?

Angelika Beer: Wir brauchen zunächst überhaupt erst einmal Verifikationsmechanismen, und diese sollten stärker sein als bislang formuliert. Es hat sich gezeigt, dass NATO-Staaten und vielleicht auch andere Unterzeichner der Konvention, sich nicht an die Vereinbarungen halten.

Mit welchen Konsequenzen muss Washington jetzt von Seiten der Mitunterzeichner rechnen?

Angelika Beer: Das wird erst einmal innerhalb derjenigen diskutiert werden, die bereits die B-Waffenkonvention ratifiziert haben. Es wird sicherlich im Vorfeld der kommenden Überprüfungskonferenz zu Vorschlägen und diplomatischen Vorstößen kommen. Das sind aber Mechanismen, die im diplomatischen Bereich laufen.

Gespräche werden zunächst in Genf selber geführt werden?

Angelika Beer: Dort und auf anderer Ebene. Unsere Angst in Deutschland ist, dass die Amerikaner sich immer weiter aus der multilateralen Rüstungskontrolle herausziehen. Wir haben diesen Konflikt derzeit und aktuell ja auch mit dem Raketenabwehrschirm. Insofern ist zu befürchten, dass die Amerikaner in bezug auf unterschiedliche Rüstungskontrollmaßnahmen einen generellen Positionswechsel einleiten.

Eine Kritik, die auch von dem Hamburger Sunshine-Projekt und der Naturwissenschaftler-Initiative formuliert wurde. Wäre es auch denkbar, wie bei Kyoto, dass man ohne die USA weitermacht?

Angelika Beer: Das würde ich erst einmal für den denkbar schlechtesten Prozess halten, denn es würde bedeuten, dass man den USA grünes Licht gibt und auf der anderen Seite die Staaten, die ratifiziert haben, ihre eigene Verpflichtung nicht mehr ernst nehmen. Deswegen muss alles getan werden, die Amerikaner wieder ins Boot zu holen anstatt zu drohen, dass man ohne sie genauso weit kommt. Praktisch brauchen wir gerade bei den Staaten, die technologisch am ehesten in der Lage sind, eine neue B-Waffengattung zu erstellen, Versuche, sie einzubinden und nicht auszustoßen.

Die Bedenken in anderen Teilen der Welt scheinen zu steigen. Afrikanischen Staaten haben zeitgleich zum US-Rückzug ein Modellgesetz zur Ahndung von "genetischen Veränderungen zuungunsten von Mensch, Natur und Sachwerten" vorgestellt. Tut sich hier mit dem Rückzug der USA aus diesen sicherheitspolitischen Vereinbarungen auch eine neue Kluft zwischen den Industriestaaten und Ländern der sogenannten Dritten Welt auf?

Angelika Beer: Nein, ich sehe zunächst eine Chance darin, dass die OAU sich selber positioniert hat und eigenständige Definitionen vornehmen. Das ist vielmehr eines der Mittel, den Amerikanern zu zeigen, dass sie mit dem versuchten Ausbruch aus geltenden Konventionen allein stehen. Die Amerikaner haben ein sicherheitspolitisches Interesse, auch im Rahmen von Rüstungskontrolle im südafrikanischen Raum. Deswegen ist eine solche Positionierung der OAU eher hilfreich denn kontraproduktiv.

Wird das von der EU unterstützt werden?

Angelika Beer: Das werden die Diskussionen zeigen. Das kann ich Ihnen als Bundestagsabgeordnete nicht sagen.

Betreibt Deutschland Forschungen an biologischen Kampfstoffen?

Angelika Beer: Deutschland betreibt Forschung zur Abwehr von biologischen Angriffen, das heißt, es wird eine B-Waffenschutzforschung betrieben, die sich meines Wissens in geltendem internationalen gesetzlichen Rahmen bewegt. Wir sehen sehr wohl das Problem, dass immer mehr Staaten versuchen, gerade im Bereich des Nahen Ostens, über eine Kombination von Erstellung von B-Waffen und Erweiterung der Reichweite eine reelle Bedrohung darzustellen. Da darf man nicht drüber hinwegsehen. Die Antwort darauf muss aber sein, international verstärkte Kontrolle und Verifikation zu etablieren.

Ein totaler Rückzug aus der Biowaffenforschung kommt nicht mehr in Frage?

Angelika Beer: Die Situation hat sich geändert, denn wir haben Soldaten im Einsatz. Derzeit auf dem Balkan, zukünftig womöglich woanders. Wir haben ein Recht auf den bestmöglichen Schutz, das heißt auch einen B-Waffenschutz. Und ich erwarte, und das haben wir bei den Debatten Ende der achtziger Jahre erreicht, dass eine Transparenz gegenüber dem Parlament hergestellt wird. Wir haben damals erfolgreich die Initiative ergriffen, dass Parlamentarier zu den entsprechenden B-Waffenschutzprogrammtagungen eingeladen werden.

Wäre eine breitere Diskussion in der Gesellschaft aber nicht anstrebenswerter?

Angelika Beer: Grundsätzlich ist in außen- und sicherheitspolitischen Fragen eine gesellschaftliche Debatte erwünscht und erforderlich. Das findet auch in Deutschland viel zu wenig statt. Wir sind für die offene Diskussion über die reale Risikoanalyse. Das kann dann dazu beitragen, eine effektive Rüstungskontrolle und Abrüstung zu stärken.

Im Endeffekt werden aber doch auch durch defensive Programme nur Soldaten geschützt. Deckt sich das mit dem sicherheitspolitischen Mandat, die gesamte Bevölkerung zu schützen?

Angelika Beer: Es deckt sich mit dem Mandat, solange die Bundesrepublik Deutschland sich an die Vorschriften hält, das heißt, keine eigenen B-Waffen erstellt. Deutschland versucht nur über die bakteriellen Kenntnisse zu verfügen, um im Ernstfall Stoffe zu entwickeln, die unsere Bevölkerung und unsere Soldaten schützen.