Ein neues Gesicht in Hongkong

Das vorläufige Ende einer einzigartig ineffektiven Regierung

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Nach fast acht Jahren als erster postkolonialer Regierungschef erklärt Hongkongs sogenannter "Chief Executive" Tung Chee-hwa seinen Rücktritt. Die Nachricht beendete tagelange Spekulationen und löst gut zwei Jahre vor Ende von Tungs regulärer Amtszeit im Sommer 2007 Unsicherheit über Pekings politische Pläne bezüglich der "Sonderverwaltungsregion" Hongkong sowie eine kleine Verfassungskrise aus. Unklar ist nämlich, ob Tungs in etwa drei Monaten zu wählender Nachfolger nur für den Rest von dessen regulärer Amtszeit, oder für die volle Amtsperiode von fünf Jahren regieren soll. Die Entscheidung über diesen Punkt scheint sich, noch mehr als die weitgehend entschiedene Nachfolge Tungs zu einer Schlüsselfrage in den Beziehungen zwischen Stadtstaat und Zentralregierung zu entwickeln.

Nur der Zeitpunkt der Nachricht kam unerwartet. Bereits Anfang vorheriger Woche mehrten sich die Anzeichen, dass personelle Eruptionen in Hongkongs Innenpolitik unmittelbar bevorstünden. Als Tung Chee-hwa, seit 1996 inoffizieller, seit der Übergabe der britischen Kronkolonie Hongkong nach über 150 Jahren britischer Kolonialherrschaft unter chinesische Souveränität im Juni 1997 als sogenannter "Chief Executive" der de facto-Statthalter Pekings und formeller Regierungschef im komplizierten Hongkonger Verfassungsgeflecht, nach Peking gereist war, mehrten sich die Zeichen des Endes seiner Amtszeit rapide.

Von einem "Machtkampf" in Tungs Kabinett war zwar schon länger die Rede. Konkreter Auslöser der Gerüchte wurde aber erst die Berufung Tungs in den CPPCC, den "Chinese People's Political Consultation Conference", ein vielköpfiges Abnicker-Gremium ohne echten Einfluß, das normalerweise zur Versorgung verdienter Polit-Rentner dient. Tung hatte ihm bereits bis zu seiner offiziellen Ernennung als "Chief Executive" angehört. Am letzten Freitag hat der 67jährige Tung Chee-hwa seinen Rücktritt mit sofortiger Wirkung erklärt, offiziell begründet mit "Gesundheitsgründen".

Ineffizienz, Krisen, Demonstrationen und Ohrfeigen

Tungs Rücktritt ist das vorläufige Ende einer einzigartig ineffektiven Regierung. Seit dem Augenblick der Übergabe 1997 ist Pekings Hongkong-Politik umstritten und wird von der Mehrheit der Hongkonger Bevölkerung überaus misstrauisch beäugt. In der Person Tung Chee-hwas, eines Reeders, der seinen wirtschaftlichen Aufstieg nicht zuletzt massiver Pekinger Finanzhilfe zu verdanken hatte, und der sein Amt kaum politischen Fähigkeiten, um so mehr aber bedingungsloser Loyalität gegenüber Peking auch in den schwärzesten Stunden des Tiananmen-Massakers zu verdanken hatte, kristallisierte sich dieses Misstrauen von Anfang an. Man sah in dem ewig lächelnden, sich selten politisch substantiell äußernden Mann, der der Bevölkerung gegen ihren Willen im Juni 1997 aufoktroyiert worden war, nie mehr als eine Marionette. Hinzu kamen bald objektive Gründe für eine erfolglose Regierung, wie der Ausbruch der asiatischen Finanzkrise im Herbst 1997, der Hongkong heftig traf, eine lange Phase der Deflation und schrumpfender Immobilienpreise - wobei von Tung in sieben Jahren auch keinerlei Initiativen für eine Besserung der Lage ausgingen.

Zur schlimmsten Phase von Tungs Amtszeit wurde der Sommer 2003. Damals hatte Peking den Ausbruch der Lungenkrankheit SARS im Frühjahr zu nutzen gesucht, indem man mit Hilfe von Tung versuchte, ein "Anti-Subversions-Gesetz" durch die Institutionen zu peitschen. In der gereizten Stimmung dieser Tage war das genau der Funke, der das explosive Gemisch entzündete. Eine halbe Million Menschen protestierte am 1. Juli 2003, dem Jahrestag des Souveränitätswechsels, für mehr Demokratie und gegen eine Beschneidung bürgerlicher Freiheiten auf der Straße - und ereichten, dass das Gesetz zurückgezogen wurde. Bereits damals hieß es, Tung habe hinter den Kulissen seinen Rücktritt angeboten.

Doch auch nachdem sich die Hongkonger Wirtschaft von der SARS-Krise wieder fast völlig erholt hat, hielt die Kritik an der Regierung an. Im vergangenen November hatte der chinesische Staatschef Hu Jintao Hongkongs Regierung öffentlich ermahnt, ihre Regierung zu verbessern - im eher subtilen Zeichensystem der chinesischen Politik eine demütigende Ohrfeige für den "chief executive", und der Anfang des unaufhaltsamen Endes seiner Regierung. Kaum etwas dürfte die um stille effektive Machtausübung bemühte Pekinger Führung Tung mehr übel nehmen, als die häufigen, mit deutlich kritischem Unterton geführten Diskussionen um Pekings Einfluß, zu denen er Anlaß bot, und seine Unfähigkeit, seinen Bürgern Pekings politische Positionen angemessen und wirkungsvoll zu vermitteln. Weder war er der lebendigen Opposition, noch der kritischen, britischem Vorbild verpflichteten Hongkonger Presse gewachsen. Stattdessen brachten die vergangenen Jahre eine deutliche Zunahme Peking-kritischer Untertöne in Hongkongs politischem Leben.

Flexibel und loyal: Nachfolger Donald Tsang

Der Rücktritt Tsungs dürfte bereits diese Woche in Kraft treten. Ersetzt wird Tung zunächst verfassungskonform durch seinen direkten Stellvertreter Donald Tsang, den Verwaltungschef und zweiten Mann der Stadtregierung. Nach spätestens 120 Tagen müsste ein 800 Mitglieder starkes Wahlgremium einen Nachfolger für das Amt des "Chief Executive" wählen. Auch hierfür gilt Tsang als klarer Favorit.

Tsang gehört zu den beliebteren Politikern des Stadtstaates und genießt einen moderaten Ruf. Was seine Freunde und Parteigänger als "Flexibilität" und "Verhandlungsbereitschaft" loben, ist für seine Gegner "Opportunismus". Dem 60jährigen Tsang, einem praktizierenden Katholik, der im Krisenjahr 1967 in die Hongkonger Verwaltung eintrat, wird besonders ein gutes Verhältnis zur in Hongkong überaus einflussreichen, zumeist noch kolonial geschulten Beamtenschaft nachgesagt - ein scharfer Gegensatz zu seinem Vorgänger, der gerade in den letzten Jahren seiner Amtzeit unter der Obstruktion eines Regierungsapparats zu leiden hatte, der seiner Politik illoyal gegenüberstand, und manchen von Tungs Maßnahmen offen Widerstand entgegenbrachte, andere einfach still ignorierte.

Gerade diese, langfristig unhaltbaren Zustände, erwartet man von Tsang zu ändern. Lange Zeit galt dieser nicht als Favorit der Pekinger Führung, sah man in Tsang, der bereits vor 1997 unter Londons Gouvaneur Christopher Patten wichtige Ämter innehatte und durch die britische Queen Elisabeth sogar zum "Knight of the Empire" ernannt wurde, doch einen Vertreter des alten kolonialen Establishments. Doch gerade in der Hochzeit der asiatischen Finanzkrise hatte sich Tsang, damals im Amt des Finanzsekretärs, als überaus loyaler Diener der neuen Herren und als geschickter Krisenmanager erwiesen. Indem er einen öffentlichen Fond ins Leben rief, unterstützte er die schwächelnde Börse mit Staatsgeldern - eine Maßnahme, die unmittelbar half, und mittelfristig nach Erholung der Böse zusätzliche Einnahmen in den Hongkonger Haushalt spülte. Bereits in den vergangenen Monaten waren Tsang verschiedene wichtige Aufgaben übertragen worden, die normalerweise dem Staatschef selbst vorbehalten wären.

Tsangs Ernennung lässt sich als Signal verstehen, dass Peking seine Politik gegenüber dem Stadtstaat und die Interpretation der "One nation, two systems"-Formel für die gegenseitigen Beziehungen zu ändern gedenkt - selbstverständlich freilich ohne öffentlich eigene Fehler oder Mängel einzugestehen.

Vor einer Verfassungskrise?

Unklar ist die Länge der Amtszeit des Nachfolgers. Zum Ärger des Pro-Demokratie Lagers in Hongkong deuten Äußerungen nicht namentlich genannter Pekinger Quellen, die in verschiedenen Hongkonger Zeitungen zitiert werden, derzeit deutlich darauf hin, dass die Zentralregierung darauf abzielt, dass Tungs Nachfolger zunächst nur für den Rest von dessen regulärer Amtszeit, und nicht für eine volle neue Amtsperiode von fünf Jahren regieren soll. Dies wäre zumindest eine überaus freie Interpretation des in dieser Frage nicht völlig klaren "Basic Law", der Rumpfverfassung, die einst zwischen den Briten und Peking für die auf 50 Jahre angelegte Übergangsperiode ausgehandelt wurde - von London nicht zuletzt in der Absicht, demokratische Verhältnisse in Hongkong zu gewährleisten.

Wohl weniger aus böser Absicht der Beteiligten, als aus einem handwerklichen Fehler heraus, ist in dem sehr schnell nach zunächst überaus zähen Verhandlungen verabschiedeten "Basic Law" die Möglichkeit eines vorzeitigen Rücktritts des "Chief Executive" nicht ausdrücklich erwähnt. Es findet sich dort nur der Satz, die Amtszeit des Chief Executive betrage fünf Jahre. Vertreter der zuletzt sehr aktiven Hongkonger Demokratiebewegung interpretieren dies als klare Aussage, ein neugewählter Amtinhaber müsse für die volle Amtszeit gewählt werden - und der Wortlaut des Textes scheint ihre Interpretation eher zu stützen. Pekingfreundliche Quellen verweise demgegenüber auf Beispiele anderer Demokratien, etwa das US-amerikanische, wo der Vizepräsident nach Rücktritt oder Tod eines Präsidenten nur für den Rest von dessen Amtszeit die Nachfolge antritt - allerdings ist der nicht neu gewählte, sondern tritt die Nachfolge automatisch an.

"Gerade weil so wenige Leute den 'Chief Executive' wählen und weil Peking hier einen so starken Einfluss besitzt, muss das Amt selbst zumindest unabhängig bleiben, um Hongkongs Autonomie zu sichern." meint Yash Ghai, Verfassungsjurist an der Hongkonger Universität. "Sonst verliert das 'basic Law' alle Legitimität." Unklar ist auch die Frage, ob ein neugewählter "Chief Executive" das Recht besitzen soll, sein eigenes Kabinett zu bilden, oder ob er das Kabinett seines Vorgängers zu übernehmen habe. Im schlimmsten Fall droht über diese Fragen nun eine Verfassungskrise.

Nicht zuletzt die Debatte um die erste Amtszeit verstärkt den Eindruck, dass Tsang von der Zentralregierung an noch kürzerer Leine geführt werden dürfte, als sein Vorgänger. Nicht wenige politische Beobachter sehen in Pekings Beharren auf einer nur zweijährigen Amtszeit auch ein Misstrauensvotum gegenüber Tsang. Man wolle ihn zunächst testen, bevor er die volle Amtszeit regieren dürfte, wird argumentiert.