Eine "Kette von Indizien"

Die französische Zeitung Le Monde wirft syrischen Regierungstruppen den Einsatz von chemischen Kampfstoffen vor

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Die französische Zeitung Le Monde hat das Thema Giftgas-Einsatz in syrischen Kriegszonen mit Vorwürfen gegen Regierungstruppen erneut in die Öffentlichkeit gebracht. Laut einem Bericht (englische Fassung) der Zeitung, der heute international beachtet wird, waren Mitarbeiter der Zeitung in Syrien angeblich Zeugen von Giftgas-Angriffen gegen Kämpfer der freien Syrischen Armee in einem Vorort von Damaskus.

Gezeichnet ist der Artikel von Jean-Philippe Rémy, der zuletzt vor allem Berichte über Mali verfasst hat. Die aktuelle Reportage aus Syrien stützt sich in der Hauptsache auf Aussagen von Kämpfern der Brigade Tahrir Al-Sham, auf deren Seite Le Monde-Mitarbeiter mehrere Tage lang im April das Kriegsgeschehen im damaszener Viertel Dschubar auf Seiten verfolgten, auf Aussagen anderer Regierungsgegner, die Aussage eines Fotographen und von mehreren Ärzten. Dem Bericht vorausgegangen seien Recherchen und Beobachtungen im Zeitraum von zwei Monaten.

Zunächst beruht der Vorwurf des Einsatzes von chemischen Kampfmitteln durch Regierungstruppen auf Berichte der Tahrir al-Sham-Kämpfer, die Soldaten in syrischen Militäruniformen dabei beobachtet haben, dass sie ihre Positionen verlassen hätten, bevor Männer in Schutzkleidung auf dem Boden "kleinen Bomben, minenähnlich" platziert hätten. Danach sei Gas ausgeströmt. Beweisen könne man dies nicht, die Kämpfer seien keine unabhängige Quelle, kommentiert der Artikel, Zivilisten gebe es in dem Viertel so gut wie keine mehr und auch kaum jemanden, der den Mut dazu habe, solche Anschuldigungen auszusprechen.

Der Nachweis, dass Giftgas eingesetzt wird, stützt sich an dieser Stelle hauptsächlich auf Rückschlüsse aus den Symptomen, die von den FSA-Kämpfern geschildert werden: "Brutaler Husten, brennende Augen, Pupillen, die sich extrem zusammenziehen, das Sehvermögen, das sich verschlechtert, mehr und mehr Atemschwierigkeiten, Erbrechen, Bewusstlosigkeit, Ersticken." Von ganz ähnlichen Symptomen, allerdings in milderem Ausmaß, berichtet dann auch ein Fotograph, der für Le Monde arbeitet und sich in der Nähe eines Kampfschauplatzes aufgehalten hat, an dem Kampfgas eingesetzt worden sein soll. Ob es sich um das Kampfgas Sarin handelt, sei nicht nachzuweisen, hält der Bericht fest.

Seine Hypothese ist, dass ein gefährliches Gas-Gemisch in unterschiedlichen Dosierungen und in unterschiedlicher Häufigkeit an verschiedenen Schauplätzen eingesetzt wird. Seit April - und eindeutig von Seiten der Regierungstruppen. In Kampfzonen, die sich in äußeren Vierteln der Hauptstadt befinden, wie in Dschubar, sei der Einsatz spärlicher; an strategisch wichtigen Fronten außerhalb von Damaskus, in Adra, 40 Kilometer nördlich von Damaskus, und Otaiba, ebenfalls auf dem Land, würde das Gasgemisch öfter eingesetzt.

Als Nachweis dafür dienen vor allem Aussagen von Ärzten an mehreren Orten, die teilweise in inoffiziellen Krankenhäusern tätig sind und die in dem Bericht mehrfach zitiert werden. Für den Vorwurf, dass ein Gas eingesetzt wird, das weitaus toxischer sei als Tränengas, stützt sich der Artikel damit auf eine "Kette von Indizien", ein eindeutiger Beweis ist nicht dabei, wie dies auch deutlich gemacht wird.

Die Veröffentlichungen geschieht, auch das ist bemerkenswert, zu einem Zeitpunkt, an dem die syrische Armee militärisch wichtige Erfolge erzielt hat und die internationale Gemeinschaft, die auf einen Rücktritt bzw. Sturz des Staatspräsidenten drängt, erneut öffentliche Diskussionen darüber hält, ob die Gegner der syrischen Regierung mit ihrer Hilfe waffentechnisch besser gerüstet werden sollen.

Ende April wurden Vorwürfe von israelischer, britischer, französischer und amerikanischer seite laut, wonach man starke Indizien dafür hätte, dass Regierungstruppen in Syrien Kampfgas einsetzen würden (Schlüssige und sichere Beweise liegen nicht vor, Syrien: Explosive Situation). Nachgewiesen wurde das allerdings bislang nicht. Später äußerte die UN-Untersuchungskommissions- Mitarbeiterin Carla del Ponte, dass es Beweise dafür gebe, dass die Rebellen das Kampfgas Sarin einsetzen. Die UN und die USA distanzierten sich umgehend von der Aussage. Die Beweise stehen auch hier noch aus.