Eine Odyssee durch die Welt des Geldes

Biografische Notizen zu den Themen "Finanzkrise" und "Alternative Gelder"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Global denken, lokal handeln: Der Spruch mag etwas abgegriffen erscheinen, aber mit den wirtschaftlichen und politischen Umwälzungen dieses Herbstes gewinnt er wieder an Bedeutung. Schwere Finanzkrisen sind auch ein Indiz für große Umbrüche; die Schaffung neuer Geldsysteme jenseits von Euro, Dollar und anderer nationaler Währungen kann als Chance begriffen werden. Die Diskussion dieser Perspektive sollte nicht allein jenen Alchimisten überlassen bleiben, die im Zinseszins die Ursache allen Übels sehen.

Der Retter in der Krise: "Lender of Last Resort"

Und die Verluste wurden in einer solch rücksichtslosen und dümmlichen Art und Weise gemacht, dass ein Kind wohl besser Geld verleihen kann als die Profis der Londoner City. Vertrauen darf man in dieses System nicht haben .... Nur wenige Jahre nach dieser letzten Panik ist die Erinnerung daran schon wieder verblasst.

Nein, diese Bemerkungen stammen nicht aus dem 21., sondern dem 19. Jahrhundert. Walter Bagehot schrieb sie 1873 in der Einleitung seines Buches "Lombard Street". Mehr als hundert Jahre später, 1986, las sie ein deutscher Student, der an einer englischen Universität seine Abschlussarbeit über die Geschichte des „Lender of Last Resort“ schrieb. Die Übersetzung dieses Begriffes ist ein wenig schwierig, aber heute, zweiundzwanzig Jahre später illustrieren die Milliarden schweren staatlichen Finanzpakete für den Finanzsektor was es wirklich bedeutet ultimativer Leihgeber oder letzte Kreditquelle zu sein.

Schon als Schüler hatte sich der Student mit den rasanten Berg- und Talfahrten der Finanzgeschichte beschäftigt. So hatte sich in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden eine große Spekulationsblase gebildet, die nach einiger Zeit zerplatzte. Tulpenzwiebeln waren damals das Objekt der Begierde. Aber in den Jahrzehnten der Nachkriegszeit schien dieses Kapitel der Wirtschaftsgeschichte abgehakt zu sein. Das Krisenmanagement während des Zusammenbruches der Herstatt-Bank im Jahre 1974 wurde eher als Bestätigung verstanden, dass es keinerlei Grund mehr für Paniken gäbe. Unser Student hatte in dieser Zeit das Handwerk vom Geld von der Pike auf gelernt. Er arbeitete in einer Sparkasse als eines Tages eine betagte Frau an den Schalter seiner Zweigstelle kam, um ihre gesamten Ersparnisse abzuheben. Kurze Zeit später zahlte sie die Summe wieder ein und bemerkte: Ich habe nur sehen wollen, ob das Geld noch tatsächlich da ist. Wenige Jahre später war die Reaktion auf diese kleine Anekdote schon ein nachdenklicher geworden. Souveräne Staaten wie Mexiko, deren Bankrott Banker für unmöglich erklärt hatten, standen vor der Zahlungsunfähigkeit.

Diese wie auch spätere Zusammenbrüche in der Finanzwirtschaft entfachten mehrere Wellen wissenschaftlichen Forschungseifers. Es entstanden eine ganze Reihe sowohl empirischer wie auch theoretischer Arbeiten. Meist kamen sie zu der Schlussfolgerung, dass es sich bei diesem Phänomen um eine Form des Marktversagens handele, dem mit entschlossenem staatlichem Handeln zu begegnen sei. Unser Student zeigte in seinem historischen Rückblick, dass die Trennlinie zwischen Staat und Markt allerdings nicht ganz klar und eindeutig zu ziehen sei.

Insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert übte die Bank von England die Rolle als internationaler „Lender of Last Resort“ aus. Allerdings handelte es sich bei dieser Institution keineswegs um eine Zentralbank im heutigen Sinne des Begriffes. Sie wurde kontrolliert von einer recht überschaubaren Gruppe Londoner Privatbankiers, die in ihrem Geschäft die Qualität zum Akzept eingereichter Wechsel kontrollierten. Damit beantwortete man das so genannte „Moral Hazard“ Problem; die Finanzaufsicht oblag eben nicht einer öffentlichen Behörde. Zugang zur „letzten Kreditquelle“ und Kontrolle des Systems waren in einem hierarchischen, teils öffentlichen, teils privaten System eng miteinander verbunden. In diesem Regime fester Wechselkurse mit der durch Gold garantierten Leitwährung des Pfund Sterlings agierte die Bank von England in gewisser Weise als internationaler "Lender of Last Resort". Dieses System funktionierte alles andere als erschütterungsfrei, aber es funktionierte. In der Peripherie des Weltwirtschaftssystems, in den USA etwa oder in Argentinien kam es jedoch immer wieder zu spektakulären Zusammenbrüchen mit tief greifenden sozialen Folgen. Der Crash des Jahres 1906 läutete das Ende dieser Ära ein.

Gegenüber den Aktienbanken hatten die Privatbankiers an wirtschaftlichem Gewicht eingebüßt, Großbritannien hatte seine wirtschaftliche Dominanz insbesondere gegenüber dem Deutschen Reich und den USA verloren. Auch die Krisen der späten zwanziger und der achtziger Jahre hatten durchaus realwirtschaftliche Ursachen. Für die Reparationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg oder die plötzlich drastisch erhöhten Öleinnahmen gab es eben keine wirtschaftlich sinnvollen Investitionsmöglichkeiten. Finanzkrisen waren die Folge.

Die Suche nach Alternativen

Die Arbeiten des Studenten waren wohl nicht ganz schlecht gewesen; jedenfalls wurde ihm angetragen seine Studien fortzusetzen. Es lockte das Angebot eines Think Tanks aus Washington D. C. Hier jedoch nimmt die Geschichte eine unverhoffte Wendung. Voller Skepsis erkannte er, dass es wohl niemals gelingen würde der Dynamik des globalen Marktes das eigentlich notwendigen Pendant eines global politischen Akteurs zur Seite zu stellen. Gab es nicht einen anderen Weg? Eigentlich war er ein Idealist mit einem Gespür für die schweren sozialen Verwerfungen, die diese Finanzkrisen nach sich zogen. Andererseits war er Realist genug, um zu erkennen, dass der vorgezeichnete Karrierepfad ihn in das Geflecht der so genannten Sachzwänge führen würde, wo von dem idealistischen Impetus nicht viel übrig bleiben würde. In dieser Zeit der Frustration kam er zurück auf alternativwirtschaftliche, meist genossenschaftliche Ansätze, mit denen er sich während seines ersten Studiums beschäftigt hatte. Dabei machte er eine Neuentdeckung. Er stieß auf das Manuskript eines gewissen S. Flor, der das Szenario einer Dualwirtschaft entworfen hatte, einer Geldordnung, die nicht mehr allein von der Totalität des globalen Kapitalismus diktiert war.

Im Jahre 2029, so Flor, gäbe es auf regionaler Ebene Märkte, auf welchen mit Währungen gewirtschaftet würde, die nicht umtauschbar seien gegen Dollar, Deutsche Mark oder andere etablierte Währungen. Auch untereinander seien diese neuen Gelder voneinander abgegrenzt. Die Leistung eines lokalen Anbieters könne danach entweder in traditioneller Währung oder aber in Lokalwährung entgolten werden. Letzteres sei lukrativ, weil die lokale Ökonomie steuerlich privilegiert sei. Dies allerdings nur insoweit als Einkünfte und Ausgaben im Verlauf eines Jahres ausgeglichen seien. Die Zahlungen würden als Gut- bzw. Lastschriften über Konten abgewickelt. Für den Saldo dieses Kontos, also die Differenz zwischen lokalwirtschaftlichen Einkünften und Ausgaben zum 31. Dezember eines jeden Jahres werde die herkömmliche Einkommens- oder aber die Umsatzsteuer erhoben. Die Beschreibung Flors enthielt noch eine Reihe weiterer Details. Für unseren Studenten war diese Perspektive eines Wirtschaftens jenseits des etablierten Geflechtes von Markt und Staat so verlockend, dass er den vorgezeichneten akademischen Karriereweg nicht beschritt und statt dessen den Möglichkeiten zum Aufbau lokaler oder regionaler Wirtschaftssysteme nachging.

Tatsächlich gab es bereits damals einige historische Erfahrungen mit derartigen Systemen, und es wurden Modelle für die Entwicklung neuer Einrichtungen dieser Art diskutiert. Es dauerte eine Weile bis der Student, der inzwischen zu einem unabhängigen Scholaren geworden war, dieses Material verarbeitet hatte und ein halbwegs konsistentes Gedankengebäude präsentieren konnte. Für ihn war es wohl keine glückliche Fügung, dass just zu dieser Zeit, man schrieb bereits das Jahr 1989, die öffentliche Aufmerksamkeit für alternativwirtschaftliche Visionen kaum zu gewinnen war. Mit dem Fall der Berliner Mauer wurde eine neue Epoche in der Geschichte der Grenzenlosigkeit eingeleitet.

Der Kontostand des Scholaren wurde inzwischen in tiefroter Farbe geschrieben. Also musste er sich den praktischen Aspekten des Themas Geld widmen. Wer nichts wird, wird Betriebswirt, und ist es damit nichts gewesen, geht man ins Versicherungswesen. Er begab sich auf das elegante Parkett der internationalen Rückversicherung, ein Markt, wie er erstaunt feststellte, der über mehr als ein Jahrhundert weit gehend ohne staatliche Unterstützung funktioniert hatte. Faszinierend war es konkret mitzuerleben (und nicht nur darüber zu lesen) wie Versicherungskonzerne die unterschiedlichen steuerlichen und regulativen Rahmenbedingungen in einzelnen Ländern ausnutzten, um, wie es so schön hieß, ihre Ergebnisse zu optimieren. Aber auch in dieser Zeit blieb er seinem eigentlichen Thema treu und verfolgte das Aufblühen neuartiger Geldsysteme.

Tauschsysteme bzw. Komplementärwährungen

„Biete Umzugshilfe, suche gebrauchtes Fahrrad“ – mit solchen oder ähnlichen Überschriften haben in den vergangenen Jahren vor allem die Tauschringe ein gewisses Medienecho erzielt. Inzwischen gibt es in vielen Ländern derartige Einrichtungen der privaten Nachbarschaftshilfe. Manche Leser mögen an dieser Stelle stutzen, dass ein Autor von der milliardenschweren Finanzindustrie den Sprung zur Kleinstökonomie der privaten Nachbarschaftshilfe wagt. Aber auch hier zeigt die Geschichte, dass wirkliche Innovationen am Anfang belächelt werden. Viele prominente Wissenschaftler wie etwa Eric Helleiner oder Benjamin Cohen weisen inzwischen darauf hin, dass die Ära des Monopols der monolithischen, miteinander verbundenen Nationalwährungen zu Ende geht. Es gab und gibt eben nicht nur Tauschringe, sondern eine große Vielfalt unterschiedlicher Geldysteme, die jeweils in ihrem sozialen Zusammenhang verstanden werden müssen.

Sie finden sich in Schulen oder in psychiatrischen Einrichtungen. Tauschringe im Internet gehen zwar über den lokalen oder regionalen Bereich hinaus, sind aber dann erfolgreich, wenn sie sich auf einzelne Produkte wie Bücher und andere Medien beschränken. In der Schweiz zeigt das bereits seit Jahrzehnten bestehende Beispiel der WIR-Bank, einem Barter (Tausch) Service für Geschäftsleute, dass die Wirtschaftsaktivität einer solchen Einrichtung genau gegenläufig zur großen Konjunktur der Weltwirtschaft verläuft (vgl. hierzu Stodder): gerade in der Rezession boomt hier das Geschäft. Die Liste der Beispiele ließe sich noch lang fortsetzen, wirtschaftlich wirklich bedeutsame finden sich dabei allerdings kaum. Eine kurzzeitige Ausnahme waren die Trueque-Netze in Argentinien. Nach einem Crash wurden die Sparguthaben in den Banken des Landes eingefroren. Die Angehörigen des argentinischen Mittelstandes standen damit plötzlich vor dem Nichts. In dieser Situation boten diese bereits zuvor gegründeten Tauschnetze Abhilfe: Für einige Monate wurde der Handel mit lebensnotwendigen Gütern über diese Einrichtungen abgewickelt. Leider erwiesen sich die Strukturen dieser Einrichtungen als zu schwach. Gefälschte Noten dieses alternativen Geldes erschütterten auch das Vertrauen in ihre Tragfähigkeit. Immerhin sicherten sie in den entscheidenden Monaten der Krise das bare Überleben und demonstrierten wie wichtig derartige Rettungsboote sind.

Aber ist es wirklich möglich aus den Erfahrungen dieser häufig mehr schlecht als recht organisierten Systeme zu lernen, um auch ökonomisch bedeutsame Alternativen aufzubauen?

Was bleibt für die Zukunft?

Kürzlich traf ich den mittlerweile schon ein wenig in die Jahre gekommenen Scholaren wieder. Ich fragte ihn zunächst nach dem gegenwärtig sehr großen Interesse am Thema Geld.

„Nach der Finanzkrise ist das allzu verständlich. Aber nimm zum Beispiel den gerade angelaufenen Film Let‘s make Money. Geld ist hier die Klammer für eine umfassende Kritik am Neo-Liberalismus und an der Globalisierung. Wenn jedoch alles und jedes kritisiert wird, dann wird die Botschaft eigentlich inhaltsleer. Hinter den bunten Bildern schimmert dann die Kritik am Zinseszins als der Wurzel allen Übels durch. Tauschsysteme oder, wie sie in diesen Kreisen meist genannt werden, Komplementärwährungen werden dann als Patentrezept zur Überwindung der Knappheit des Geldes interpretiert.“

"Aber selbst die in diesem Dunstkreis entstandenen Regiogelder sind doch ein Schritt in die richtige Richtung. Und," so fügte ich hinzu, "es gibt auch ernst zu nehmende Wissenschaftler, die sich mit diesen und mit anderen Komplementärwährungen beschäftigen."

"Beides ist richtig. Die Regiogeldexperimente sind ein allerdings recht kleiner Schritt in die richtige Richtung. All diese Systeme sind aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet worden. So wie man die Vielfalt unterschiedlicher Alternativen dieser Art nicht über einen Kamm scheren darf, so gibt es inzwischen auch eine Vielfalt unterschiedlicher theoretischer Interpretationen zu diesen sozialen Innovationen. Übrigens, auch der gerade gekürte Nobelpreisträger Paul Krugman hat sie immer wieder erwähnt."

"Apropos Washington: Hast du es eigentlich nie bereut, damals nicht nach Amerika gegangen zu sein? Gerade jetzt spürt man dort doch den ‚Wind of Change‘ – die Dinge ändern sich."

Er lachte. "Nein, wirklich nicht. Dann säße ich heute vielleicht an einer kleinen Universität im Mittleren Westen und würde gelangweilten Studenten etwas über die Unmöglichkeit erzählen einen internationalen "Lender of Last Resort" einzurichten. Aber ganz allgemein gesprochen: All die Sachen, die jetzt im Mainstream diskutiert werden beziehen sich auf das existierende institutionelle Gefüge. Davon müssen wir uns befreien. Existenzgeld, Wissensallmende und eben auch alternative Geldsysteme – das sind die wirklich spannenden Entwicklungsfelder, die über den alten, zu eng gewordenen Rahmen hinaus gehen.

"Aber der Finanzcrash wird doch wohl Konsequenzen haben?"

"Schwere Finanzkrisen sind immer auch ein Indiz für tiefgreifende Probleme in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Sie signalisieren, dass wir uns, wie der Ökonom Schumpeter es beschrieben hat, in einer Wendeepoche befinden. Das kann aber nur bedeuten, dass wir uns von dem langweiligen Pingpongspiel der Apologeten einer freien Marktwirtschaft einerseits und den Befürwortern orthodoxer staatlicher Regulierung andererseits emanzipieren.“

"Krise bedeutet eben auch Chance. Was muss passieren, damit es zur Entwicklung einer Wirtschaft jenseits des herkömmlichen Struktur von Markt und Staat kommt?"

"Erstens, Markt muss man im Plural denken; wir haben die Chance uns aus der Totalität des einen, des globalen Marktes zu befreien. Zweitens, die Einrichtung solcher Systeme kostet! Wer aber wirklich die sozialen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit ernst nehme, dem falle die Begründung dieser Kosten nicht schwer. Schwieriger ist der dritte Aspekt: Angesichts der Grenzenlosigkeit der etablierten Weltwirtschaftsordnung handelt es sich bei den Regionalökonomien um Versuche Grenzen neu zu definieren. Um ehrlich zu sein, gerade der letzte Punkt zeigt, dass das Szenario von S. Flor kein Blaupause ist, die man unmittelbar umsetzen kann."

"In einem anderen Punkt hat dieses Szenario auch nicht gestimmt," entgegnete ich augenzwinkernd, "bereits für 2004 hatte er einen weltweiten wirtschaftlichen Kollaps, ausgehend von den Märkten Ostasiens beschrieben. Fünf Jahre später sollte es dann zur Gründung der Regionalmärkte kommen."

"Nun ja, wir sind ein wenig im Rückstand."