Eine Prise DNA gefällig? Für eine tiefgehende soziale Kontrolle?

Staatliche Kontrollwut und Gen-Dateien

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In Frankreich waren Ende 2009 bereits die DNA-Profile von 1,2 Millionen Bürgern in der Nationalen Datei für genetische Abdrücke (Fichier national automatisé des empreintes génétiques) erfasst. Und diese Gendatei wächst und wächst: 1000 neue Einträge pro Tag! Ein Gewerkschafter, der die DNA Entnahme im Zuge seiner Festnahme verweigert hatte, was an sich verboten ist, hat nun von einem Tribunal Recht bekommen. Ein Präzedenzfall, der hoffen macht? Denn immer mehr Franzosen verweigern ihren genetischen Abdruck.

Sehen diese DNA-Verweigerer der ehemals revolutionären Grande Nation, dass unsere Gesellschaften nach und nach in Richtung einer genetischen Diskriminierung abdriften, wie der amerikanische Soziologe Jeremy Rifkin warnt? Die französische nationale automatisierte genetische Datenbank (FNAEG) wurde 1998 von der damaligen sozialistischen Regierung zur DNA-Erfassung von Sexualstraftäter und gefährlichen Kriminellen geschaffen.

Seit Nicolas Sarkozy, am französischen Ruder ist, zunächst als Innenminister und jetzt als Staatspräsident, wurden die Gründe für die Erfassung des genetischen Abdrucks erheblich ausgeweitet. Der Gewerkschafter, der seine Spucke im Zuge einer Festnahme 2009 verweigert hatte, Xavier Mathieu, arbeitete für den Reifenhersteller "Continental" Frankreich, und hatte mit Kollegen im Zuge der Schließung seiner Fabrik aus Protest eine Unterpräfektur ramponiert.

Jetzt sieht er nicht ganz ein, was sein genetischer Abdruck neben denen von Vergewaltigern und vermeintlichen Terroristen verloren haben soll. Wird in Frankreich anno 2011 eine gewerkschaftliche Tätigkeit als Gefahr für die öffentliche Ordnung eingestuft? Oder gar als staatsgefährdend?

Verweigerer

Für die Verweigerung des Wattestäbchens in seiner Mundhöhle zur DNA-Entnahme, drohten dem Gewerkschafter eine Geldstrafe von 4000 Euro und eine bedingte Gefängnisstrafe von einem Jahr. Doch auch das lokale Tribunal hat die versuchte Erstellung des genetischen Abdrucks eines Gewerkschafters für unangemessen erachtet. Ob allerdings die Staatsanwaltschaft nicht noch Einspruch erheben wird, bleibt offen.

Zuvor schon hatten die Verweigerer einer solchen unfreiwilligen DNA-Spende, die wegen der Zerstörung von genetisch modifizierten Maispflanzungen verhaftet wurden, 2010 vom Kassationsgerichtshof, der obersten juristischen Instanz Frankreichs, Recht bekommen.

Die französische Justiz widersetzt sich immer öfter der systematischen DNA-Erfassung von Protestbewegungen und aufmüpfigen Bürgern, die im Polizeigewahrsam gelandet sind, oder genauer gesagt einer Garde à vue (Explizit repressiv), jener berühmt-berüchtigten Spezialität der französischen Polizei. Eine günstige Gelegenheit für die Polizei, einen DNA-Abdruck der Verdächtigen zu erstellen.

Obwohl die französischen Richter mit der herrschenden systematischen DNA-Erfassungswut von schuldigen wie unschuldigen Bürgern offenbar nicht einverstanden sind, scheint das reichlich wenig gegen das neue "Hobby" der Politiker und Polizei auszurichten: 2009 waren bereits 2% der französischen Bevölkerung genetisch erfasst. Und es steht zu befürchten, dass ein weit höherer Prozentsatz im Visier der derzeitigen französischen Regierung ist.

Ob ein möglicher Regierungswechsel 2012 den französischen Genhunger verändern kann, ist alles andere als gewiss. Das Terrorargument hat schon Politikern aller Couleurs für den Erlass von freiheitsbeschränkenden Sicherheitsbestimmungen gedient. Die DNA-Verweigerer anno 2011 erachten derweilen die erzwungene DNA-Entnahme durch die Sicherheitskräfte als Eindringen in ihre Privatsphäre. Mehr noch: in ihre genetische Intimität.

Auch der Bruch des Habeas Corpus wird von den DNA-Verweigerern herbeizitiert. Jenes fundamentale Recht aller Bürger also, eine staatliche Prozedur bis zu einer rechtsgültigen Verurteilung nicht zulassen zu müssen.

Auf bloßen Verdacht hin

Doch die staatliche genetische Kontrollwut wird sich wohl kaum in der Ära Sarkozy, beruhigen. Die Erfassung durch die nationale Gendatenbank, die ursprünglich für Sexualverbrechen vorgesehen war, wurde 2003 mit einem Innenminister namens Sarkozy, auf jede Art von Delikten und Verbrechen ausgeweitet.

So können die genetischen Profile, schon auf bloßen Verdacht hin, von vermeintlichen Gewalttätern, von Personen, die einfacher oder schwerer Diebstähle, der Hehlerei oder Geldwäsche beschuldigt werden, erfasst werden. Auch der genetische Abdruck von Personen, die verdächtigt werden, gegen Gesetze, die für Waffenbesitz gelten, verstoßen zu haben, kann in die genetische Datenbank aufgenommen werden. Auf der Homepage des Innenministeriums, die der nationalen Gendatenbank gewidmet ist, wird die Kontrolle der FNAEG durch die Justiz besonders betont.

Doch wird quasi im selben Atemzug auch die Kompetenz eines Offiziers der Kriminalpolizei anerkannt, um die nationale Gendatenbank mit DNA-Profilen zu versorgen. Eine Prozedur, die es erlauben soll, den Eintrag von genetischen Profilen in die Datenbank zu beschleunigen.

In Frankreich kann man also schon auf bloßen Verdacht hin in der nationalen Gendatenbank landen. Ohne vorhergehenden richterlichen Beschluss. Ein Leutnant der Kriminalpolizei darf DNA-Entnahmen praktizieren. In Deutschland hingegen bedarf es immer einer vorhergehenden richterlichen Anordnung , um in der DNA-Analysedatei zu landen. In der ach so demokratischen Grande Nation gelten die freizügigen Regeln für einen Eintrag in die Gendatenbank für Erwachsene wie für Minderjährige, wie das Kollektiv der DNA-Verweigerer unterstreicht.

Ausweitung der Erfassung

Die Leute von "Refus ADN", DNA auf deutsch, haben übrigens 2007 einen Big Brother Award für ihre genetische Wachsamkeit bekommen. Das Kollektiv weist ausdrücklich darauf hin, dass die DNA-Abdrücke bis zu 40 Jahre lang in der genetischen Datenbank verwahrt bleiben können. Der Umstand, dass zur Zeit versucht wird, Gewerkschafter und Protestbewegungen aller Art, wie u.a. Anti-Werbungdemonstranten, protestierende Studenten, aber auch jugendliche Bewohner der "gefährlichen" Vorstädte, genetisch zu erfassen, ist für das Kollektiv Refus ADN, ein eindeutiger Versuch der Regierung, zivilen Widerstand zu kriminalisieren.

Alle Bürger, die es wagen, öffentlich ein unerwünschtes Verhalten an den Tag zu legen, werden nun in Frankreich genetisch erfasst. Die Gendatenbank will ja schließlich gefüttert werden. Es gibt leider nicht genügend Terroristen, Pädophile, linksextreme Anarchisten, um die Gendatenbank mit einem Maximum an DNA-Profilen anzufüllen. Es müssen eben neue Kandidaten für eine unfreiwillige Genspende gefunden werden. Unschuldig oder nicht, das scheint nebensächlich zu sein. Gilt es die gesamte französische Bevölkerung genetisch zu erfassen?

Zeige mir Deine Gene und ich sage Dir, wer Du bist und was aus Dir wird. Vielleicht...

Eine Hoffnung, die in Frankreich offenbar von zahlreichen Politikern, gehegt wird. Aber auch von zahlreichen Unternehmern, wie z.B. Versicherungen, staatlichen (Gesundheitsversicherungen) wie privaten (Lebensversicherungen), und die dazu führt, DNA-Tests zu verlangen. Gesundheitsunternehmen hoffen, aus der DNA bestehende und veranlagte Krankheiten herauslesen zu können. So könnten manche Unternehmen dazu angetan sein, von künftigen Mitarbeitern DNA-Tests zu verlangen, um zu sehen, ob der Jobanwärter keine Allergien gegen chemische Substanzen hat. Was in manchen Unternehmen ziemlich lästig sein könnte.

In einem hochinteressanten ARTE-Dokumentarfilm berichtet ein Genetiker davon, dass bei ihm Beamte des französischen Innenministeriums vorstellig wurden, um zu erfahren, ob es möglich sei, bei Personen eine nordafrikanische (Maghreb) Abstammung genetisch zu erkennen. Der Genetiker musste allerdings solcherlei sicherheitspolitische Wunschvorstellungen abwinken: Die DNA auf beiden Seiten des Mittelmeers sei zu ähnlich, um eindeutige Tests erstellen zu können. Nun werden also die Gene auch aus ethnischen Motiven herbeigezogen.

Genetische Diskriminierung

Bei dieser DNA-Sammelwut scheint die genetische Diskriminierung nicht mehr weit zu sein. Oder ist sie gar schon da? Die USA haben solcherlei "modernen" Diskriminierungen bereits vorgegriffen: 2008 hat der Senat ein Gesetz gegen genetische Diskriminierungen beschlossen (Genetic Information Nondiscrimination Act, kurz GINA). Die Amerikaner werfen den Europäern vor, mit den DNA-Analysen ihrer Bürger zu freizügig umzugehen.

In Europa verfügen 10 Staaten über Genanalysedatenbanken. Darunter eben Frankreich, Deutschland und Großbritannien. Die Briten gehen offenbar ebenso locker mit den DNA-Profilen ihrer Landsleute um wie ihre französischen Kollegen. Doch das "vorbildliche" amerikanische Gesetz gegen genetische Diskriminierung ist bei näherer Betrachtung nicht mehr so vorbildlich: Ist doch die US-Regierung von den legislativen Regeln, die vom GINA-Act aufgestellt wurden, ausgenommen, wie der amerikanische Wissenschafter David Ewing Duncan betont.

Ein Mann, der sich offenbar viele Sorgen, um die genetische Privatsphäre der Bürger macht. Fragt er sich doch, wann die Bürger selbst die genetische Privatsphäre missachten werden, um z.B. vor einem Rendezvous oder einer geplanten Hochzeit genetische Informationen über einen künftigen Partner zu erhalten. Ein kurzer Blick ins Netz und die Gentests sind natürlich im Handumdrehen gefunden. Duncan, befürchtet zudem, dass die europäischen Regierungen versuchen ihre gesamte Bevölkerung genetisch zu erfassen.

Wie seine genetische Intimität bewahren?

Zunächst einmal kann man auch im genetisch erfassungswütigen Frankreich die DNA-Entnahme kurzum verweigern. Die Justiz hat strafrechtlich unbescholtenen Bürgern, wie man gesehen hat, bislang meist Recht gegeben. Aber es gibt auch präventive Wege, seine DNA-Spuren nicht überall zu hinterlassen, wie eine anarchistische Datenbank, die sich der Verweigerung der systematischen DNA-Entnahme widmet, betont. Die Anarchisten weisen darauf hin, dass bereits ein Nanogramm DNA genügt, um ein genetisches Profil zu erstellen.

Vermutlich, um sich besser zu Wehr setzen zu können, erteilen diese Anarchisten eine kleine DNA-Lektion: So wird die DNA in zwei verschiedene Kategorien geteilt: Die Mitochondrial-DNA, die in vielen Körperzellen vorhanden ist, und die Zellkern-DNA, die es nur in zweifacher (Vater und Mutter) Ausführung gibt. Die Zellkern-DNA, unsere Gene eben, ist für die Erkennung eines Individuums viel zuverlässiger, als die DNA, die in den Mitochondrien enthalten ist.

Schlecht ausgebildete Polizisten und Prozedurfehler

Die Zellkern-DNA erlaubt es, Geschlecht, Hautfarbe, Augen- und Haarfarbe, genetisch veranlagte Krankheiten, usw, zu erkennen. Die französische nationale Gendatenbank hält nicht alle kodierenden Teile der DNA fest. Das Geschlecht wird natürlich auf jeden Fall in die Gendatenbank eingespeist. Die Mitochondrial-DNA erlaubt es nicht, eine Person eindeutig zu identifizieren.

Mit der Zellkern-DNA hingegen, besteht quasi die Gewissheit, eine Person genetisch zu erkennen. Soweit bei der Manipulation der DNA-Probe kein Schlampigkeitsfehler unterlaufen ist. Was häufig der Fall zu sein scheint, wie die DNA-Verweigerer erfreut betonen. Denn wird die DNA mehrerer Personen vermischt, so ist sie unlesbar geworden.

Der DNA-abnehmende Polizist muss bei dieser Prozedur Handschuhe und Mundschutz tragen. Was natürlich in der Eile, die Gendatenbank anzufüllen, natürlich oft nicht der Fall ist. Zudem sind die Sicherheitskräfte für die DNA-Entnahme nicht ausgebildet und vergessen oft beim Speicheltest, fein säuberlich das Innere der Wange abzureiben, um Hautzellen zu erhalten. All diese Prozedurfehler ergeben eine vermischte DNA, die den Gentechnikern rein gar nichts nützt, um die DNA einer Person eindeutig zu erkennen. Eine Information, welche die DNA-Test-Verweigerer zu nutzen gedenken.

So raten diese, Mitgliedern von Protestbewegungen vor einer absehbaren Hausdurchsuchung, ihre Zahnbürsten zu mehreren zu verwenden. Zahnbürsten werden von der Polizei zur genetischen Identifizierung gerne beschlagnahmt. Wer das Pech hat, in Polizeigewahrsam geraten zu sein, muss daran denken, dass er am Wasserglas und den Zigarettenstummeln genetische Spuren hinterlässt. Aber auch an getragener Kleidung lässt sich die DNA ablesen.

Den Genjägern stehen leider viele Mittel zur Verfügung. Nur Schlampigkeit kann ihnen einen Strich durch die Rechnung machen. Bei all diesen Bedenken und Berechnungen bleibt einem doch glatt die Spucke weg! Es gilt nun den Anfängen zu wehren, wenn wir nicht in einer totalitären Überwachungsgesellschaft landen wollen, wie sie im Spielfilm Gattaca so abschreckend dargestellt wird.