"Eine Welt ohne absichtliche Schöpfung ist im Grunde sinnlos"

Seite 2: Hiob und die freie Marktwirtschaft

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Können Sie uns erklären, wie dies alles gerade auf der Basis eines wundertätigen und naturtranszendenten Gottes geschehen sein soll?

Robert Grözinger: Der Versuch, die Welt gänzlich ohne Wunder, das heißt auch ohne das Wunder der Schöpfung zu verstehen, führt buchstäblich ins Nichts. Ein solcher Versuch weicht nämlich der grundlegenden Frage aus, warum es überhaupt etwas gibt und nicht etwa nichts. Wie aus nichts etwas werden kann. Sicher kann man im Alltag eine Weile lang ohne diese Frage oder etwaige Antworten darauf auskommen.

Aber philosophisch-religiöse Grundpositionen haben die "lästige" Angewohnheit, sich langfristig auf das Alltagsleben auszuwirken. Eine Welt ohne absichtliche Schöpfung ist im Grunde sinnlos. Ohne Sinn gibt es für den Menschen keinen Antrieb, die Welt zu verstehen, oder gar sie zu "bebauen und [zu] pflegen". Es gibt in der Geschichte vielleicht Ausnahmen, aber sie waren nicht dauerhaft.

Zudem sind sie oft mit einer ganz anderen Religion verknüpft, die der Ökonom und Autor zahlreicher ökonomischer Kommentare der Bibel, Gary North, unter dem Begriff "Machtreligion" kategorisiert. Darin wird die Trennung von Staat und Kirche aufgehoben.

An der Spitze des Staates steht ein "Gottkönig", dessen Prototyp der Pharao war, dessen Beispiel so mancher Politiker bis heute nachzuahmen versucht. (In den modernen Demokratien ist es selten nur eine Person, sondern eher eine Gruppe gut vernetzter, einflussreicher Personen.) Was auch logisch ist: Wo kein Schöpfer ist, der als Eigentümer der Welt bestimmte Gesetze vorgibt und Verhaltensgrenzen zieht, da kann sich der "rationale" Mensch zum Quasi-Gott aufschwingen und willkürlich eigene Gesetze dekretieren.

Das scheinbar Paradoxe dabei: Mit der Verdrängung eines "wundertätigen und naturtranszendenten Gottes" aus dem Leben der Menschen ist der Glaube an Wundertätigkeit und Naturtranszendenz nicht aus der Welt. Er bricht sich nur neue Bahnen - die die betroffenen Menschen regelmäßig ins Verderben führen. Gerade in unserer Zeit blüht der Okkultismus, und selbst die meisten Menschen, die sich für rational halten, glauben implizit das Versprechen gewisser Magier, dass das Drucken von Papiergeld und die erzwungene Umverteilung ein allgemeines Wohlstandswachstum hervorbringen.

Trotz Abwendung von der Bibel gibt es moderne, nichtbiblische apokalyptische Visionen in Dutzendware, zu deren Abwendung uns die Hohepriester der Machtreligionen anempfehlen, den modernen Gottkönigen noch mehr Geld zu geben und noch mehr Macht zu verleihen. Solche Scharlatanerie hätte keine Chance in einer Kultur, die die Gebote "du sollst nicht stehlen" und "du sollst kein falsches Zeugnis ablegen" als göttlich und somit heilig ansieht.

Zum Punkt der unterschiedlichen Interpretationen: Was oft als Schwäche des Christentums dargestellt wird, ist eigentlich, jedenfalls langfristig, seine Stärke und war im übrigen ein weiterer Faktor in der Entwicklung der modernen Naturwissenschaft. Jesus hat seine Worte nie aufgeschrieben, jedenfalls laut Überlieferung.

Zudem befreite Jesus als Erlöser die Christen - grundsätzlich jedenfalls - von der ewigen Furcht vor dem Regelverstoß. Beides zusammen ermutigte die Theologen, die Bedeutung der überlieferten Aussagen immer wieder zu erörtern. Aus dieser Debatten-Tradition entstand die Scholastik, aus der im Mittelalter die Universitäten hervorgingen. Klar, es gibt unterschiedlichste Interpretationen, aber das heißt nicht, dass alle gleich richtig oder falsch sind. Um die richtig(er)en von den falsch(er)en zu unterscheiden, sind wir aufgefordert, unseren Kopf zu benutzen. Und nicht uns von der Bibel abzuwenden.

Wenn man aber einen Blick in die Bibel wagt, scheint aber der gesellschafts- und naturtranszendente Gott nicht besonders viel von der für den Kapitalismus unabdinglichen abstrakten Gleichheit der Menschen zu halten. Zum Beispiel in dem Gleichnis von Jesus von den Arbeitern im Weinberg des Herrn, in dem er allen Arbeitern einen Dinar gibt, ohne Ansehung wie unterschiedlich lange sie gearbeitet haben.

Weitere Beispiele willkürlicher Behandlung der Menschen ist sein Wohlwollen gegenüber dem betrügerischen Jakob und sein Experimentiereifer für den gerechten Hiob, der nach seinem Ratschlag möglichst viel leiden soll. Wie ein launischer Patriarch gewährt gibt und verweigert er seine Gaben den Menschen. Wie sieht es also nach Ihrer Meinung mit dem göttlichen Gerechtigkeitsbegriff aus?

Robert Grözinger: Die abstrakte Gleichheit im Kapitalismus bezieht sich allein auf die Gleichheit vor dem Recht. Genauer: das Eigentumsrecht einschließlich des Eigentums an der eigenen Person, dem eigenen Körper. Keiner hat das Recht, das Eigentum eines anderen zu verletzen. Das gilt für den Bettler ebenso wie für den Kaiser oder eine sonstige Regierung. Nach christlichem Verständnis sind die Menschen, einschließlich der Kaiser und der Rest der Welt, das Eigentum Gottes.

Wir leben nicht (mehr) im Paradies, und wir können aus eigener Kraft kein Paradies schaffen. Das heißt auch, dass (selbst ohne menschlichen Einfluss) Dinge passieren, die wir für zutiefst ungerecht halten. Und somit kann uns Gott wie ein launischer Patriarch vorkommen.

Die Frage ist jedoch, wer entscheidet, was "launisch" ist? Der Besitzer des Weinberges hat keinen zur Arbeit gezwungen und vorher vertraglich den Lohn festgelegt. Auch wenn man Jakob Betrug vorwerfen will - so eindeutig ist das nicht - so wurde er später in seinem Leben mehrfach von anderen betrogen und hintergangen, also muss man dann konsequenterweise auch hier göttliche Gerechtigkeit sehen.

Zu Hiob: Einerseits sind wir mit einem Verstand ausgestattet, den wir zu gebrauchen haben. Wir sollen Gott nicht nur mit unserem Herzen, sondern auch mit unserem Verstand lieben, heißt es in der Bibel. Das heißt, wir sind aufgefordert, das beste aus den uns gegebenen Umständen zu machen, z.B. durch wissenschaftliche Forschung und technische Entwicklung Krankheiten und Naturkatastrophen beherrschbar machen. Was aber nicht bedeutet, dass wir Gott in Zweifel zu ziehen brauchen. Das ist die erste Botschaft aus der Hiobsgeschichte.

Die zweite ist, dass Menschen, die, wie Hiob, trotz aller Unbill an ihrer Treue zu Gott festhalten und die göttlichen Gesetze achten, reichlich belohnt werden. Das ist natürlich Glaubenssache. Aber, wie man selbst heute nicht ohne Grund sagt, der Glaube kann Berge versetzen. Die Geschichte und die ökonomische Theorie zeigen, dass Versuche, Schicksalsschläge aus der Welt zu schaffen, indem man Unbeteiligte zu Handlungen zwingt, neue Ungerechtigkeiten und größere Ineffizienzen schaffen.

Solche Versuche entstehen aus Ungeduld mit und Zweifel an Gott. Schicksalsschläge und Ungerechtigkeiten werden dauerhaft gemildert oder aus der Welt geschaffen, wenn man den Menschen den größten Freiraum gibt, unter Beachtung göttlicher Gebote dezentrale, auf Freiwilligkeit basierende Lösungen zu finden. Ein anderer Begriff dafür ist freie Marktwirtschaft.

"Hedgefonds-Eigentümer leisten einen sehr nützlichen Dienst"

Ihr Buch heißt "Jesus, der Kapitalist". Könnte er aber heutzutage nach Ihrer Meinung Bankenvorstand oder Hedgefonds-Eigentümer sein?

Robert Grözinger: Ein heutiger Bankenvorstand ist geradezu die Personifizierung des Korporatismus. Er lebt von der Symbiose mit dem Staat. Der Staat macht Schulden, leiht sich aus dem Nichts gezaubertes Geld von den Banken und zahlt ihnen dann darauf Zinsen mit Steuergeld, das er zuvor den Bürgern abgenommen hat, die es im Schweiße ihres Angesichts verdienen mussten. Der Bankenvorstand weiß das und spielt mit. Jesus wäre ganz sicher kein Bankenvorstand.

Hedgefonds-Eigentümer dagegen haben keine Lizenz zum Gelddrucken und versuchen, wie der große Rest, mit den vom Staat vorgegebenen Umständen irgendwie über die Runden zu kommen. Sicher gibt es unter ihnen auch Betrüger und ähnliches, aber die gibt es selbst unter Zimmerleuten - den Berufskollegen von Jesus. Hedgefonds-Eigentümer leisten einen sehr nützlichen Dienst: Sie sind bestens positioniert, all jenen das Leben schwer zu machen, die versuchen, uns mit Bilanz- und Haushalts-Luftnummern zu täuschen, können gegen diese spekulative Angriffe starten und damit die versteckten Schwächen für alle Welt sichtbar machen.

Sie sind damit besser als andere in der Lage, gerade auch Regierungen in die Schranken zu verweisen - und tun das zum Leidwesen der Staaten und der staatsnahen Wirtschaft, und zu unseren Gunsten. Als Hedgefonds-Eigentümer kann ich mir Jesus vorstellen - aber er hätte sicherlich nicht nur BWL oder VWL studiert, sondern auch Theologie und er hätte auch zuvor noch einen praktischen Beruf gelernt.

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