Eine fragwürdige Ehre: Das Regierungsverdienstkreuz
- Eine fragwürdige Ehre: Das Regierungsverdienstkreuz
- Ordenträger: Von Glaubenskämpfern zum Machtritual
- Der "pathologische Umgang der Demokratie mit Krisen"
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Dekoriert sich der Staat selbst mit den Verdienstorden? Sie häufen sich, wenn Ausnahmezustände herrschen, und sie stärken eine übermäßige Exekutivgewalt, kommentiert unser Autor.
Frank-Walter Steinmeier (SPD) trägt es schon seit 2017. Der Bundespräsident wird in Deutschland qua Amt mit dem Großkreuz, der höchsten Stufe des Bundesverdienstkreuzes, ausgezeichnet. Am vergangenen Freitag hat Steinmeier sechs amtierenden und einem ehemaligen Ministerpräsidenten ebenfalls die Ehre (in Form des Großen Verdienstkreuzes) zuteilwerden lassen.
Es freuten sich: die Parteigenossen Marie-Louise Dreyer (Rheinland-Pfalz), Dietmar Woidke (Brandenburg), Stephan Weil (Niedersachsen) sowie deren Amtskollegen Winfried Kretschmann (Grüne, Baden-Württemberg), Bodo Ramelow (Linke, Thüringen), Reiner Haseloff (Sachsen Anhalt, CDU) und Bayerns ehemaliger Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU).
Glanzvoll ging die Verleihung im Schloss Bellevue vonstatten – nur einen Schönheitsfehler hatte die Zeremonie: Denn anders, als der Bundespräsident behauptete, haben die Dekorierten mehr miteinander gemein, als dass sie sich im entscheidenden Moment der größten Krise "für das Gemeinwohl" eingesetzt haben.
So haben sich die glorreichen Sieben mitunter auch schwerere politische Vorwürfe eingefangen, abgesehen von der Proklamation einer "Pandemie der Ungeimpften", die der Gemeinschaft mehr Spaltung als "Wohl" hinzugefügt hat, etwa Verantwortungslosigkeit, die Marie-Louise Dreyer nach der Ahrflut vorgeworfen wurde.
Oder die Verängstigung der Bevölkerung durch das sogenannte "Panik-Papier" des ehemaligen Bundesinnenministers Horst Seehofer, dessen Behörde in der Corona-Krise Wissenschaftler zu "maximaler Kollaboration" einspannte, um "hartes politisches Handeln zu legitimieren".
Statt eines Rücktritts machen die ausführenden Politiker der berüchtigten MPKs (Ministerpräsidenten-Konferenz, auch als Bund-Länder-Konferenz bezeichnet) aus der Corona-Zeit nun einen Schritt nach vorne.
Dass die Geehrten sich, wie Steinmeier lobte, um einen demokratischen Dialog mit Andersdenkenden bemüht haben sollen, ist ein schlechter Witz.
Die Corona-Politik war für sie schlichtweg "alternativlos".
Der Exekutivstaat erteilt sich selbst die Absolution?
Die Auszeichnung ruft ein Motiv, über das an dieser Stelle schon mehrmals berichtet wurde, erneut auf den Plan: Das eines Staates, der nicht mehr sein soll als seine Regierung. Beziehungsweise das einer Regierung, die für sich beansprucht, die Rolle des Staats – und schließlich: des Souveräns – selbst zu spielen.
Ein solcher "Exekutivstaat" (siehe Joachim Perels, näheres dazu weiter unten im Text) stört sich eher an der demokratischen Mitbestimmung der Bevölkerung. Bei "schlüssigen Gesamtkonzepten" haben ihn einzelne "Sorgen und Nöte" nicht mehr zu interessieren. Deshalb ist es nur konsequent, wenn er sich selbst die Absolution erteilt.
"L’etat – ce sommes nous"
Es ist nicht das erste Mal, dass mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Personen ausgezeichnet werden, die nach Auffassung des Autors dieses Beitrags einer übermäßig agierenden Exekutive das Wort geredet oder sie als Politiker weiter verstärkt haben.
Noch während der Corona-Krise wurde bekanntlich (zum zweiten Mal in seinem Leben) dem Virologen Christian Drosten, der Youtuberin Mai Thi Ngyuen-Kim und den Polizisten des sogenannten Reichstags-Sturms der Orden angeheftet. Ganz zu schweigen von der Sonderausfertigung des Großkreuzes am Bande für die bei großen Teilen der Bevölkerung in Misskredit geratene Dauer-Krisen-Koordinatorin Angela Merkel 2021.
Hätte man nur ahnen können, wie sich der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier oder der langjährige Leiter des Berliner Stasimuseums Jörg Drieselmann gegenüber der Corona-Politik verhalten würden, so wäre ihnen vielleicht die Ehre erspart geblieben.
Auf die Idee, dass die jüngste Segnung durch die Regierung das Ehrenzeichen "entwerte", kommt von den parlamentarischen Vertretern – bedauerlicherweise – nur die AfD, in diesem Fall in Gestalt ihres stellvertretenden Bundesvorsitzenden Stephan Brandner:
Die Verleihung ist längst ein Akt völliger Beliebigkeit und ohne jeden Wert und erfolgt nun gleich fast im halben Dutzend. Die Ministerpräsidenten haben nichts für Deutschland getan, was über das Normalmaß ihrer gut besoldeten Arbeit auch nur ansatzweise hinaus geht.
Stephan Brandner
Dabei fällt auf, dass die Kritik an der Vergabe des Ordens einem ähnlichen Wandel unterliegt wie die Auswahl der Würdenträger selbst.
Denn Anfang Februar 2022 schrieb selbst die Süddeutsche Zeitung noch Folgendes über den "Proporzorden", der seit 1990 in jeder Legislaturperiode Abgeordnete des Bundestags gemäß ihrer Fraktionsstärke dekorierte:
Warum sollen Abgeordnete überhaupt auf diese Weise ausgezeichnet werden? Sie erhalten für ihre Tätigkeit jeden Monat mehr als 10.000 Euro. Sie bekommen Büros gestellt und Mitarbeiter bezahlt. Und sie erwerben Pensionsansprüche in einer Geschwindigkeit, von der normale Beschäftigte nur träumen können. Ihr Einsatz für das Gemeinwohl ist also - anders als bei den Millionen Ehrenamtlichen - bereits ordentlich entgolten.
Robert Roßmann: Der Proporzorden, SZ
Gut, dass der Artikel vor der Stellungnahme der AfD erschienen ist. Gut auch, dass der Bundespräsident im November 2022 gelobte, dem "Proporzorden" fortan abzuschwören und nur noch ehemalige Abgeordnete als Kandidaten zuzulassen.
Der Druck war allerdings auch groß, wie die SZ seinerzeit rekapitulierte:
Bereits im März 2021 hat der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim der SZ gesagt, ihm erscheine diese Vergabepraxis als "ein weiterer Fall von politischer Selbstbedienung und eine Perversion des Sinnes von Verdienstorden".
Und im Februar 2022 verurteilte Jan Korte, der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, das Verfahren als einen "bizarren" Brauch. "Politische Eliten sollen sich nicht gegenseitig Orden umhängen", schimpfte Korte. Die geltende Regelung sei "Quatsch" und müsse weg.
Robert Roßmann, Steinmeier schafft Proporzorden ab, SZ
Auch wenn der Proporz nun Geschichte ist, stellt sich weiterhin die Frage, warum Politiker neben zivilgesellschaftlich engagierten Bürgern geehrt werden sollen, die nicht in den Genuss jener stolzen Besoldungen kommen.
Vielleicht kann ein kurzer Blick in die Geschichte der Ordensverleihung Aufschluss darüber geben.