Eine fragwürdige Ehre: Das Regierungsverdienstkreuz

Seite 3: Der "pathologische Umgang der Demokratie mit Krisen"

Der Politikwissenschaftler Joachim Perels hat bereits 1978 von einem "allgemeinen Trend zur Herauslösung des Staates aus den Garantien des demokratischen Verfassungsrechts" geschrieben, der in einem "Exekutivstaat" gipfele.

Seine Diagnose klingt bemerkenswert aktuell:

Die Verfassungsrealität ist gegenwärtig jedoch dadurch gekennzeichnet, daß(!) sich einerseits der Staatsapparat in zentralen Bereichen gegenüber den Schranken und Sicherungen des demokratischen Verfassungsrechts eine eigene, originäre Entscheidungskompetenz anmaßt und daß andererseits gesellschaftliche Privilegienpositionen dem Zugriff des demokratischen Prozesses vorab entzogen werden.

Joachim Perels: Demokratische Republik oder Exekutivstaat

Der treffende Begriff für diesen aus dem demokratischen Gefüge herausgelösten Verwaltungsstaat stammt allerdings von dem berüchtigten Politologen und Nazi-Sympathisant Carl Schmitt.

Telepolis ist an anderer Stelle bereits ausführlich auf den originären modus operandi des Exekutivstaats eingegangen: die Krise, den Notstand, den Ausnahmezustand.

Dazu ein Ausschnitt aus einem Deutschlandfunk-Interview mit dem Schmitt-Experten und Politologen Reinhard Mehring von 2017:

Den Zerfall der Weimarer Republik habe Schmitt als "Übergang von einem parlamentarischen Gesetzgebungsstaat zu einem Exekutivstaat" beschrieben. Diese Analyse sei heute hochaktuell: "So erleben wir ja schon auch eine Entmächtigung etwa von Parlamenten im europäischen Einigungsprozess", meint Reinhard Mehring und verweist als Beispiel auf das "Krisenmanagement hinter geschlossenen Türen" oder das "Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz".

Deutschlandfunk Kultur: Staatsrechtler Carl Schmitt: Gefährlich – aber trotzdem lehrreich?

Die Tendenz zur Verstetigung des Ausnahmezustands hat nach den zahlreichen Krisen der vergangenen Jahre keines weiteren Beweises mehr bedurft.

Und doch zeigte sie sich zuletzt natürlich noch einmal am deutlichsten beim Verfassungsbruch in Bezug auf die Schuldenbremse und den Nachtragshaushalt, den Finanzminister Christian Lindner (FDP) aufgrund einer Notlage – und damit entgegen seiner eigenen vormaligen Beteuerungen – einbringen will.

Der Schmitt-Schüler Ernst-Wolfgang Böckenförde hat das Verhältnis des Staates zum Ausnahmezustand als eine Art krankhafte Dynamik beschrieben, in der die Überschreitung der Rolle des Staates eingeschrieben, also: normalisiert wird, und ihn fortan geradewegs "heimsucht".

Die Regeln bestätigen die Ausnahme, könnte man sagen:

Was Böckenförde seinerzeit mit dem aus der Psychoanalyse entlehnten Begriff der Verdrängung charakterisierte, war also ein seiner Auffassung nach pathologischer Umgang der Demokratie mit Krisen[...]: Der Ausnahmezustand wurde auf dem Weg der Vergesetzlichung in die demokratische Normallage inkorporiert und die Gefahr eines ausnahmegeprägten Normalzustands lag für Böckenförde unmittelbar auf der Hand. Oliver W. Lembcke und Verena Frick: Grenzen der Demokratie – Eine Nachbetrachtung

Dazu scheint es ganz hervorragend zu passen, wenn sich eine demokratische Regierung auf dem (Um-)Weg eines institutionalisierten, aber zum leeren Symbol verkommenen Ehrenzeichen selbst die Absolution für ihr undemokratisches Verhalten erteilt.