Eisbein, kalte Füße und faule Äpfel

Ein eher absurd wirkendes Argument gegen Namensschilder für Polizisten bringt derzeit mehr Gelächter als echtes Nachdenken mit sich

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Ich möchte kein Eisbein sein

Es mutet absurd an, wenn die geplanten Namensschilder für Polizisten als Schneidewerkzeuge für Stelzen (oder Eisbeine) genutzt werden um die Gefährlichkeit eben dieser Namensschilder zu demonstrieren. Auch der zweite Beweis der Scharfkantigkeit, dargebracht durch einen beherzten Schlag gegen einen Bogen Papier, wirkt eher komödiantisch oder satirisch.

Doch bei allem Amüsement darf nicht vergessen werden, dass hier kein Kabarettist am Werk ist, sondern Bodo Pfalzgraf, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft in Berlin. Wenn die Namensschilder wirklich so scharfkantig sind, dann stellt sich die Frage, wieso vom Hersteller nicht vor der Auftragsvergabe ein Modellnamensschild angefordert, begutachtet und bewertet wurde, anstatt zu warten, bis die 200.000 Exemplare fertig und in Rechnung gestellt sind.

Ebenso bleibt die Frage offen, wieso nicht auf bereits vorliegende Lösungen gesetzt wurde, die derartige Problematiken nicht mit sich bringen. Namensstreifen mit Klett wären eine solche (auch kostengünstige) Lösung. So aber entsteht die Vermutung, dass es weniger darum geht, eine Fehlkonstruktion zu kritisieren, als vielmehr, erneut die Gelegenheit beim Schopfe zu packen, Namensschilder als solche als gefährlich zu verdammen.

Betrachtet man die Stelzenangelegenheit näher, so gibt es im Falle eines Einsatzes mehrere Möglichkeiten:

  1. jemand hat so direkten Kontakt mit dem Polizisten, dass er in der Lage ist, das Namensschild abzureißen und als Waffe zu nutzen (so argumentiert Bodo Pfalzgraf, wenn er sagt, dass so die Halsschlagader eines Polizisten verletzt werden könnte)
  2. jemand hat keinen direkten Kontakt zum Polizisten und ist daher auch nicht in der Lage, das Namensschild abzureißen und als Waffe zu nutzen

Im ersten Fall wäre der Täter in der Lage, jegliches Gerät als Waffe zu nutzen. Unter diesem Aspekt müssten sämtliche Werkzeuge, die in die Nähe der Person kommen und als Waffe genutzt werden könnten, verboten beziehungsweise dürften beim Einsatz nicht mit sich getragen werden. Es ist wenig nachvollziehbar, dass hier scharfkantige Namensschilder, nicht aber Waffen oder selbst so banale Dinge wie ein Kugelschreiber angesprochen werden. Dazu kommt natürlich auch die Frage, inwiefern sich eine solche Argumentation (so sie den Namen verdient) nicht auch auf die Dinge auswirken würde, die jemand während Demonstrationen und so weiter mit sich führen darf. Sind insofern Namensschilder für Ordner und so weiter per se als gefährlich anzusehen? Im zweiten Fall ist das Namensschild (genauso wie andere Gegenstände jeglicher Art) ungefährlich.

Helden von heute

Diese Demonstration der "Gefährlichkeit" von Namensschildern weicht zwar von der bisherigen Argumentation ab (die weniger auf die Ausführung, denn auf die möglichen Auswirkungen von Namensschildern abzielt), bildet aber einen erneuten Tiefpunkt in der Debatte um die Identifizierbarkeit von Polizisten. Während diejenigen, die die Namensschilder fordern, sich der Debatte stellen, sind die vehementen Ablehner stets auf der Suche nach neuen (und offenbar immer absurderen) Pseudoargumenten, um die eigentliche Debatte im Keim zu ersticken. Stetig wird suggeriert, es ginge bei der Kennzeichnungspflicht um Namensschilder, die den tatsächlichen Namen des Polizisten aufzeigen (oder sogar mehr) und dass die Forderung nach der Identifizierbarkeit eine Respektlosigkeit gegenüber der Superpolizei sei.

So startete die Junge Polizei Bremen eine Fotokampagne, die neben stereotypen Bildern von Kindesvergewaltigern und Terroristen auch einen Polizisten zeigte, auf dessen T-Shirt sowohl der Name als auch die Schuhgröße, die Blutgruppe usw. zu sehen waren. Ebenso stereotyp war die Reaktion auf die Kritik: Zwar gab man eine halbherzig klingende Stellungnahme ab, ließ aber gleichzeitig die Bilder entfernen, sodass nunmehr lediglich eine Fehlermeldungzu finden ist und forderte dokumentierende Webseiten unter Hinweis auf das Urheberrecht unmissverständlich dazu auf, die Bilder zu entfernen.

Doch die Junge Polizei ist keineswegs allein mit ihrer Übertreibungsrhetorik. Die Gewerkschaft der Polizei Niedersachsen beispielsweise bemüht all jene Begriffe, die von Kritikern des überbordenden Datensammlungsbestrebens durch Regierung und Strafverfolgung genutzt (und allzu gerne von eben diesen als übertrieben abgestempelt) werden, wenn sie von "Generalverdacht" und "Kontrollwahn" gegenüber den Ausübenden des Gewaltmonopols spricht:

Es darf keinen Kontrollwahn gegen die Polizisten geben, die unter Einsatz ihres Lebens und trotz der schlechten Rahmenbedingungen für einen größtmöglichen Schutz der Bürgerinnen und Bürger sorgen. Ihnen sollte mehr volles Vertrauen entgegengebracht werden. Es ist inakzeptabel, dass Einsatzkräfte für angeblich mehr Bürgernähe unter Generalverdacht gestellt werden.

Deutlich wird ihre Ablehnung der Kennzeichnungspflicht damit begründet, dass einerseits jeder Beamte doch bereits identifizierbar sei, andererseits auch die unbegründeten Vorwürfe bereits ohne Kennzeichnungspflicht zu negativen Auswirkungen für die Beamten führen würden:

Bereits jetzt ist im normalen Streifendienst und in geschlossenen Einsätzen jede Beamtin und jeder Beamte über den Einsatzort und Anlass und oft auch über das freiwillig getragene Namensschild zu identifizieren. Auch hier mehren sich bereits haltlose Vorwürfe und Beschwerden. Die Polizei und jeder einzelne Beamte sieht sich seit Jahren aggressiven Tendenzen und Aktivitäten von Gewaltbereiten ausgesetzt, denen durch eine Kennzeichnung alle Wege für vermeintliche Klagen eröffnet werden. Hier muss der Dienstherr seine Pflicht zum Schutz der Beamtinnen und Beamten wahren und eine Identifizierungspflicht unterbinden.

Pikanterweise werden als diese negativen Folgen nicht nur eine Rufschädigung des Beamten, sondern auch die Sperre der Beförderung angeführt, was Udo Vetter in seinem Lawblog treffend kommentierte.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft klagt gegen die Verpflichtung der Berliner Polizeibeamten, während des Dienstes Namensschilder zu tragen sogar vor dem Verwaltungsgericht und spricht davon, dass es zu Repressalien gegenüber den Beamten und ihren Familien kommen könnte. Auch hier wird der Eindruck erweckt, der Polizist werde zum Freiwild für Kriminelle, ohne zu erwähnen, dass ein "Namensschild" nicht den Realnamen zeigen muss, sondern auch Dienstnummern, Pseudonyme oder Ähnliches auf den Schildern zu sehen sein können. Eine Lösung, gegen die auch Simon Davis von Privacy International nichts einzuwenden hat.

Doch auch gegen eine Pseudonymisierung wird wenig logisch argumentiert. So scheut man nicht davor zurück, die Pseudonymisierung durch deutlich sichtbare Einsatz- oder Dienstnummern als Stigmatisierung der schlimmsten Art zu bezeichnen. Ein Protestbriefschreiber verglich sie (in offenbarer Unkenntnis von Godwin's Law) sogar mit den Nummern der KZ-Häftlinge, denen Polizisten "gleichgestellt" würden, indem man sie "unter Verlust [ihres] sozialen Wert- und Achtungsanspruchs in der Gemeinschaft" zu einer "Nummer" und einem "Objekt" degradiert.

Polizisten wissen, was zu tun ist

Die Beispiele zeigen, wie die Diskussion um die Identifizierbarkeit von Polizisten sich durch die stete Erwähnung von "Namensschildern" längst von der eigentlichen Thematik entfernt hat. In fast paranoid anmutender Weise stellen diejenigen, die eine solche Maßnahme ablehnen, all jene, die sie befürworten, in eine Reihe mit nur nach Gewalt gegen die harmlosen Vertreter der Staatsgewalt lechzenden Kriminellen, denen der Polizist mit Namensschild schutzlos ausgeliefert wäre. Die Polizisten werden als unschuldige Opfer dargestellt, die sich sowieso auf Verlangen zu erkennen geben würden, als käme die Verweigerung der Angabe der Dienstnummer nur in bedauernswerten Einzelfällen vor. Der Polizist wird (entgegen der sich häufenden Berichte von Polizeigewalt gegen Demonstranten oder Unbeteiligte) weiterhin als hundertprozentig integer und vertrauenswürdig dargestellt.

Teil 2: Von Einzelfällen und Pauschalierungen

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