Elektronische Fesseln für Jugendliche

Britisches Innenministerium will mit dem elektronisch überwachten Hausarrest die steigende Jugendkriminalität bekämpfen und die Erziehungsheime entlasten

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Der britische Innenminister David Blunkett hat angekündigt, dass jugendliche Straftäter mittels elektronischer Erkennungsmarken zur Einhaltung von Ausgangssperren gezwungen werden sollen. Die Maßnahme soll Jugendliche zwischen 12 und 16 betreffen, die schwerer Straftaten verdächtigt werden und auf Kaution aus der Untersuchungshaft freigelassen wurden. Dadurch sollen sie in der Zeit bis bis zum Beginn ihres Prozesses von der Ausführung weiterer Delikte abgehalten werden.

Die Jugendlichen sollen die "Tags" am Hand- oder Fußgelenk tragen. Auf Kaution auf freiem Fuß befindliche Kids würden sich laut Blunkett häufig als "Untouchables" betrachten. Bereits eines Verbrechens verdächtigt aber noch nicht rechtskräftig verurteilt, begehen sie oft neue Straftaten. Deshalb werden von den Gerichten weitreichende Ausgangssperren gegen solche Jugendlichen verhängt. Mit den elektronischen Fesseln soll die Einhaltung des Ausgehverbots überwacht werden. Verstoßen sie dagegen, geht bei ihnen zu Hause ein Alarm los, der per Telefon automatisch die Nachricht an die nächste Polizeistation weitergibt. Innenminister Blunkett weigerte sich, die Kosten des von einer privaten Sicherheitsfirma organisierten Projekts bekannt zu geben, das im April getestet und im Juni landesweit eingesetzt werden soll. Es wird erwartet, dass jährlich bis zu 6000 Kids von der Maßnahme erfasst werden könnten.

Die Möglichkeit, elektronische "Tags" einzusetzen, war bereits kurz nach der Wahl New Labours 1997 eingeführt worden, da das Gefängnissystem in Großbritannien schwer überlastet ist. Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung sitzen in Großbritannien mehr Menschen im Knast als in China. Seit 1999 können Häftlinge mit einer Strafe zwischen drei Monaten und vier Jahren bis zu zwei Monate früher entlassen werden, wenn sie für die Öffentlichkeit kein Risiko darstellen und eine elektronische Fessel tragen. Aber offenbar wurde von den dafür verantwortlichen Gefängnisdirektoren diese Möglichkeit bislang noch wenig benutzt (Massentest für elektronische Fessel). Die Maßnahme wird als Fehlschlag bewertet, trotzdem will man einen neuen Anlauf nehmen.

Das Innenministerium nannte ein scharfes Ansteigen der Straßenkriminalität in den letzten Monaten als Grund für die Einführung der Maßnahme. Alleine in London hat die Straßenkriminalität gegenüber dem Vorjahr um 49 Prozent zugenommen. Dabei seien es in den von den höchsten Verbrechensraten betroffenen Bezirken von London und Manchester häufig die gleichen Täter, etwa 20 bis 30 Personen pro Polizei-Bezirk, welche die meisten Delikte begehen. "Die Menschen", so Blunkett. "sind sauer, wenn sie wieder unbeaufsichtigt auf die Straßen kommen und dort das weiter treiben, was sie zuvor getan haben."

Verbrechensstatistiken der letzten Jahre zeigen einen Rückgang bei schweren Verbrechen, jedoch einen Anstieg bei Diebstahl und Straßenraub. Vor allem der Diebstahl von Mobiltelephonen wird als ein Grund für diesen Anstieg angegeben. Im vergangenen Jahr waren sie der Anlass für 28 Prozent aller Raubüberfälle auf offener Straße. Dabei sind die Täter ebenso wie die Opfer größtenteils Jugendliche. Überfälle wegen eines Handys oder der Geldbörse verlaufen meist ohne körperlichen Schaden für das Opfer, solange dieses die Beute freiwillig herausrückt. Doch die schiere Zahl der Fälle und von der Skandalpresse in Erinnerung gehaltene Einzelvorfälle - z.B. der des zehnjährigen Damilola Taylor, der mit einer zerbrochenen Flasche so schwer verletzt wurde, dass er an den Folgen der Verletzung starb - vermitteln der Bevölkerung ein hohes subjektives Unsicherheitsgefühl.

Als New Yorks Ex-Bürgermeister Giuliani kürzlich London besuchte, wurde daher gefordert, dessen "Null-Toleranz"-Politik gegenüber Verbrechen und Delikten jeder Art zu folgen. Wie das BBC-Programm Newsnight jedoch zeigte, ist der Erfolg von Zero Tolerance nur von relativer Natur. Zwar ist New Yorks Kriminalitätsrate deutlich gesunken, aber immer noch höher als die Londons. Kritiker bezweifeln auch die Sinnhaftigkeit elektronischer Tags. Der harte Kern der immer erfindungsreichen Londoner Straßenkids würde die Armbänder möglicherweise wie ein kriminelles Ehrenabzeichen tragen, anstatt sie von ihren Umtrieben abzuhalten.

In Deutschland wird die elektronische Fußfessel in Hessen getestet. Nach zwei Jahren kam das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, das das Modellprojekt wissenschaftlich begleitet, in einer Zwischenbilanz zu einem positivem Ergebnis. Letztes Jahr entschied das Landgericht Frankfurt am Main, dass auch hierzulande die elektronische Fußfessel weder gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verstoße, noch dessen Recht auf Freiheit der Person unzulässig einschränke (Den Fuß in der elektronischen Fessel).