Emil und der Liebestod

Seite 6: Sieg Heil!

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Virchow geht ab, vorbei an den Leichen in der Pathologie, und dann erfahren wir, dass Fritz einen Blutsturz erlitten hat. Wir hören nur davon, denn so etwas ist hässlich anzuschauen. Die jungen Leute, die in diesen Filmen ein Opfer bringen, sollen einen schönen Tod haben, um ihn den Adressaten im Publikum schmackhaft zu machen. Also hat Schwester Else das Blut und eventuell ausgehustetes Gewebe weggewischt, wenn Fritz erwacht und Dr. Koch am Bett des Kranken sitzt, um ihm mitzuteilen, dass Virchow gesagt habe, was er sagen musste, und zwar "der ganzen Welt". "Das ist der Sieg", flüstert Fritz. Weißt du noch, fragt Koch, wie ich damals in Wollstein den Erreger entdeckte: "Wir beide, du und ich, wir haben ihn zuerst gesehen." Dafür lohnt es sich doch, zu sterben. "Es war wert, gelebt zu haben", flüstert Fritz. "Das war es, Fritz", bestätigt Koch. Der glaubt fest an sein Idol: "Sie werden noch Großes schaffen, vieles entdecken und den Menschen … helfen." "Das verspreche ich", sagt Koch. "So ist es nicht umsonst gewesen", sagt Fritz mit letzter Kraft. "Jetzt bin ich unsagbar glücklich." Die Kamera fährt auf ihn zu wie ein schamloser Voyeur. Dabei ist zu berücksichtigen, dass wir in der Logik des Films nicht einen qualvollen Tuberkulosetod sehen müssen (oder dürfen, je nachdem), sondern einen Glücksmoment.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Fritz macht die Augen zu und stirbt. Draußen vor der Tür wartet brav und geduldig Schwester Else, die Frau, die ihn liebt und mit der er verlobt ist. Wer sich darüber nicht mehr wundert hat schon viel von dem geschluckt, was er schlucken sollte. Mit Robert Koch den Erreger sehen und im Beisein des Führers sterben, etwas Schöneres gibt es nicht. Bis hierhin finde ich es noch halbwegs erträglich. Die optischen Effekte allerdings, die als Girlande um den schönen Tod gewunden werden, halte ich für misslungen. Das mag daran liegen, dass ich mich nicht für eine Ideologie begeistern kann, die verlangt, dass man an einen Führer glaubt, sich selbst aufopfert und die Feinde vernichtet. Nicht mein Ding. Die Apotheose von Heini Völker in Hitlerjunge Quex finde ich, trotz gleicher Botschaft, viel besser. Ein Film, der vorgibt, vom Jahr 1882 zu erzählen, kann aber nicht die Hitlerjugend aufmarschieren und die Hakenkreuzfahne flattern lassen. Steinhoff entschied sich dieses Mal für die Abstraktion.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Die Effekte scheinen mir vom "Lichtdom" inspiriert zu sein, den Albert Speer zuletzt 1938 beim Nürnberger Reichsparteitag installierte, mit Hilfe von Flakscheinwerfern. Im monumentalen Rahmen des Parteitagsgeländes wirkt das anders als in einer im Grunde intimen, wenn auch propagandistisch überhöhten Sterbeszene. Für mich sehen die Formen, die den toten Fritz umgeben wie ein über das ganze Bild verteilter Strahlenkranz, aus wie die Gitterstäbe eines Vogelkäfigs, aus denen eine Art Raumschiff wird, mit dem er in den Himmel fliegt. Eine Inspirationsquelle könnte auch die Halle mit den Lebenslichtern der Menschen in Langs Der müde Tod gewesen sein. So oder so kann ich mit der Apotheose wenig anfangen. Die leicht wagnerisierende Verklärungsmusik, die Wolfgang Zeller dazu komponiert hat, mag ich auch nicht. Sorry. Schöner Tod und gemeinsames Erregergucken mit dem Führer - mit mir ist da kein Geschäft zu machen.

Das Mysterium des Schöpferischen

Wir haben jetzt eine Handlung, die mit dem Tod des kleinen Marthelchens beginnt und mit dem Tod des jungen Fritz von Hartwig endet. Daran kann man studieren, wie genau der Film gearbeitet ist. Koch verhilft dem Mädchen zu einem schönen Tod (Euthanasie). Am selben Tag kehrt Fritz zurück nach Wollstein und assistiert Koch bei der Sektion, um dem Erreger auf die Spur zu kommen. Am Schluss stirbt auch Fritz den schönen Tod, weil er sich im Kampf gegen den Tuberkelbazillus selbst infiziert hat. Der Einzelne, der sich für die Gemeinschaft opfert, ist ein fester Bestandteil in der Propaganda totalitärer Ideologien. Hart ist so ein Ende mit Opfertod aber auch. Also schließt sich eine Coda an.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Von den Apotheoseeffekten wird auf einen prächtigen Lüster überblendet (doch abstrahierte Lichtstrahlen und keine Gitterstäbe). Robert Koch wird geehrt. "Das ist der Sieg eines unerschütterlichen Glaubens an die einmal erkannte Sendung", schreit der Laudator ins Publikum (bei "Sieg" überschlägt sich seine Stimme), während uns die Kamera die Zuhörer im Saal zeigt. "Unvorstellbarer Fleiß und geniale Intuition sind die Voraussetzungen einer solchen Leistung, wie sie Robert Koch uns allen als Vorbild geschaffen hat. Dass dieser Mann vom Schicksal dazu ausersehen ist, dafür bietet das von ihm bisher Geleistete eine kostbare und untrügliche Gewissheit."

Nicht schlecht. In drei Sätzen sind neun Begrifflichkeiten verpackt, die NS-Propagandafilme am Beispiel des Helden immer wieder durchdeklinieren: Sieg, unerschütterlicher Glaube, unvorstellbarer Fleiß, geniale Intuition, Leistung, Vorbild, Schaffen, vom Schicksal ausersehen, untrügliche Gewissheit. Der Robert Koch des Films ist damit genauso beschrieben wie Adolf Hitler als strahlender Propagandaheld. Die "Sendung" habe ich nicht dazu addiert, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich das Wort in Filmen tatsächlich so oft gehört habe wie ich glaube. Vielleicht ist es ein originärer Hellmuth Unger, in dessen Euthanasieroman Sendung und Gewissen mit "Sendung" gemeint ist, dass der Arzt unheilbar kranken Menschen den "Gnadentod" gewährt (was "unheilbar krank" heißt bestimmt der Arzt durch Erforschung seines Gewissens).

Beim Tod des jungen Fritz ist Koch allein mit ihm im Zimmer, ganz wie beim kleinen Marthelchen, das am Anfang sterben muss, weil die Propaganda es so will. Falls sich jemand fragen sollte, ob er Fritz mit einer Überdosis Morphium beim Sterben hilft wie Dr. Terstegen seinen Patienten im Roman von Dr. Unger: Einen von Steinhoff platzierten Hinweis darauf gibt es nicht (anders als beim Marthelchen). Warum auch? Das erste Gebot der verdeckten Propaganda lautet: Du sollst nicht übertreiben. Die Euthanasie ist ein mit großer Vorsicht aufbereitetes Thema beim Tod des Marthelchens. Damit ist das abgehakt. Wir sind jetzt beim Kampf gegen den Tuberkelbazillus. Dafür wird Dr. Koch gewürdigt. Für die gesellschaftliche Anerkennung der Euthanasie wurde auf deutschen Leinwänden erst zwei Jahre danach gekämpft. Das erledigte Paul Hartmann als Prof. Dr. Heyt in Liebeneiners Ich klage an.

Heyt ist Wissenschaftler wie Robert Koch. Er versucht verzweifelt, ein Heilmittel für seine Frau zu finden (betont wird die Erkrankung der Atemwege, wie bei der Tuberkulose). Als das nicht gelingt gibt er ihr Gift, damit sie ohne Schmerzen sterben kann. Von Jannings als Robert Koch ist das nicht so weit entfernt. Er bekämpft Erreger und macht nicht einen einzigen Tuberkulosepatienten gesund. Bei Kochs Ausflügen in die Kriegsrhetorik gerät völlig ins Hintertreffen, dass Ärzte heilen sollten. Der Krankheit vorzubeugen, indem man umbringt, vernichtet, ausmerzt und gegen den Feind zu Felde zieht, war für die NS-Propaganda viel reizvoller, als sie zu behandeln. Seinem Vater gegenüber begeistert sich Fritz von Hartwig dafür, dass in Kochs Labor "eine neue Wissenschaft" entstehe: "Kannst du dir etwas Schöneres denken, als der Mitarbeiter eines Genies zu sein? Stell dir das doch nur vor, Vater. Als Pionier der Wissenschaft vorzudringen in unerforschte Welten, bis dahin, wo das Mysterium beginnt. Das Mysterium des Schöpferischen! Das ist doch eine Lebensaufgabe!"

Das klingt, als wolle er Gynäkologe oder Genforscher werden. Koch sucht aber den Tuberkelbazillus. Das "Schöpferische" besteht darin, dass man den Parasiten vernichtet, den das Genie in der unerforschten Welt entdeckt. Dafür wird Koch am Schluss geehrt. Es sei die Leidenschaft des im Dunkeln schmarotzenden Bazillus, schreibt Unger in Helfer der Menschheit (als Buch zum Film in einer Neuauflage mit 35.000 Exemplaren verbreitet, mehr als 100.000 Stück waren da schon gedruckt), "gesundes Leben zu vernichten". Und dann: "Nein, er liebt es gar nicht, daß man Gleiches mit Gleichem vergilt und ihn angreift." Der Erreger wird zur handelnden Person. Man kann das damit rechtfertigen, dass Unger versucht, eine möglichst dramatische Geschichte zu erzählen, kriegt aber doch ein mulmiges Gefühl, wenn man liest: "Aber das Schmarotzen ist seine Bestimmung, ebenso wie der Trieb, sich zu vermehren."

So steht es in allen drei Versionen der Biographie. Unger hielt es nicht für nötig, Stellen wie diese für die entnazifizierte Fassung zu ändern. Das alte Feindbild vom "Juden" kann man für den Tuberkelbazillus genauso einsetzen wie ein sehr aktuelles. Die Feinde wechseln ihren Namen, die Zuschreibungen bleiben einander gleich. In Ungers Buch versucht der Bazillus, Koch selbst zu infizieren und zu töten, um das "große Massensterben" (der Erreger) zu verhindern. Das Genie ist auf der Hut. Fritz ist es nicht und steckt sich an. Sein gesundes Leben wird vernichtet. Gleiches mit Gleichem zu vergelten heißt, dass auch der Bazillus zerstört werden muss. Aus dem Tod des Assistenten wird die Verpflichtung zum Vernichtungsfeldzug gegen die Bazillen (und andere "Schädlinge" im deutschen Volkskörper). Wie schon bemerkt, sorgten die Wirklichkeit des Dritten Reichs und seine "neue Wissenschaft" für eine tragische Fußnote zur Szene mit Fritz und seinem Vater. Paul Otto, der Darsteller des Landrats, beging 1943 Suizid, weil jemand seine jüdische Abstammung entdeckt hatte. Paul Otto kam so der Deportation in ein Vernichtungslager zuvor.

Vom Glück der Arbeit

Erstaunlich viele Interpreten gehen davon aus, dass Robert Koch am Schluss den Nobelpreis erhält. Demnach wären wir im Jahre 1905, in dem der Preis dem echten Koch verliehen wurde. Das ist aber ein Propagandafilm von 1939. Der Held kann unmöglich an einer Veranstaltung zur Verleihung des Nobelpreises teilnehmen, weil sich in diesem Film die Gegenwart spiegelt, gekleidet in historische Kostüme. Deutschen war es seit 1937 verboten, den Nobelpreis anzunehmen. In einer ansonsten bestens informierten Quelle habe ich gelesen, dass Koch im Reichstag geehrt werde. Der Reichstag ist das aber auch nicht. Es könnte sich um die Fehlleistung eines Autors handeln, der die vom Film praktizierte Gleichsetzung von Medizin und Politik unbewusst übernommen hat. Das erste Gebot gilt jedoch auch hier. Wenn Bismarck im Reichstag auftritt, um dem Ausland und seiner Lügenpresse mit der Rechnung zu drohen, die Deutschland demnächst präsentieren werde, sollte Koch nicht am selben Ort zum Kampf gegen den von außen kommenden Tuberkelbazillus aufrufen. Übertriebene Deutlichkeit ist zu vermeiden.

"In der Aula der Universität wird der jetzt zu Weltruhm gelangte Robert Koch stürmisch gefeiert", steht in der vom Propagandaministerium abgesegneten Inhaltsangabe des Illustrierten Film-Kuriers (das ist der mit der nackten Frauenleiche auf dem Titelblatt). "In einer mitreißenden Rede fordert er die ihm gläubig lauschende Jugend auf, den Kampf gegen den heimtückischen Feind, die Tuberkulose, fortzusetzen bis zum siegreichen Ende." Ich sehe in dieser Aula Männer aller Altersgruppen, keine Frauen. Schwester Else braucht man nur im Krankenhaus, und beim noblen Verzicht auf das private Glück. Die Jugend trägt Anzug oder die Uniform der Corpsstudenten. Das ist insofern interessant, als es 1939 eine gegen die Studentenverbindungen gerichtete Verbotswelle gab, weil die Gleichschaltung und das Einschwören auf das Führerprinzip nicht so vorangekommen waren wie von den Nazis erwartet. Hinweise auf eine subversive Absicht kann ich nicht erkennen. Vielmehr wird ein Idealbild von der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft inszeniert. Die weibliche Jugend glänzt durch Abwesenheit, weil sie sich nicht um die Wissenschaft zu kümmern hat, sondern um Heim und Herd (und um die Kranken, wenn die ewige Aufopferei wie bei Schwester Else verhindert hat, dass sie dem Staat Kinder schenken konnte). Die männliche Jugend lauscht gläubig ihrem Führer.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Robert Koch tritt ans Rednerpult und spricht: "Man hat meine Arbeit hier ein Verdienst genannt. Ich tat nur meine Pflicht! Und empfing dafür ein Glück, wie ich bisher kein größeres kennenlernte! Von diesem Glück der Arbeit lassen Sie mich sprechen, und von dem Glauben an den Sinn aller Erneuerungen unseres Wissens durch den ewig forschenden Menschengeist. Wir alle sind sterblich und können irren! Aber nichts darf uns abhalten, den Weg unserer Pflicht zu Ende zu gehen, der einzig und allein dem Wohl der leidenden Menschheit geweiht ist! Arzt und Helfer der Menschheit zu sein - diese Tat hat nichts mit lautem Ruhm zu tun - sie ist still und namenlos - wie die Opfer, die ihretwegen gebracht wurden. Ihr jungen Menschen, ihr werdet mich verstehen, wenn ich sage, dass es kein Leben und kein Vorwärts zu großen Zielen gibt, ohne Opfer! Ich weiß, dass alles Große und Gute in euch weiterlebt in eurem Geist, in euren jungen Herzen! Wenn einmal die Fackel aus unseren Händen gleitet, reißt ihr sie wieder hoch - und tragt sie in den neuen, schöneren Tag hinein."

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