Engagiert und couragiert, feudal und bigott
Seite 4: Wie das "grüne" Waging Erdgasvorzeigegemeinde wurde
- Engagiert und couragiert, feudal und bigott
- Ungerechtigkeit im Gewand der Gerechtigkeit
- Eine Million Euro Freibetrag kann kein Gutverdiener ansparen
- Wie das "grüne" Waging Erdgasvorzeigegemeinde wurde
- Schonung der eigenen Wähler als Erfolgsgarantie
- Auf einer Seite lesen
Im Sommer 1995 besuchten zwei junge Ingenieure eines Nachbardorfes einen ebenso jungen Landwirt im Weiler Nirnharting, der zur Gemeinde Waging zählt. Sepp Daxenberger (1962-2010) kandidierte für die Grünen als Bürgermeister des wohlhabenden Kurortes Waging. Die beiden Ingenieure legten dem "Daxei", wie er in der Gegend kollegial genannt wurde, einen faszinierenden Plan vor. Darin zeigten sie, dass die Gemeinde Waging sich durch ein Fernwärmesystem ganz durch heimische Holzabfälle versorgen könne. Daxei war sofort begeistert und fand im Gemeinderat eine Mehrheit dafür, die beiden Ingenieure mit einer Machbarkeitsstudie zu beauftragen.
Deren Ergebnis: Da sich mitten im Ortszentrum von Waging auch noch die Käserei Bergader befand, die einen hohen Prozesswärmebedarf besitzt, könnten nicht nur Rathaus, Hotels und Schule, sondern auch die Wohngebiete problemlos auf heimische Biomasse umgestellt werden. 1996 wurde Daxenberger zum ersten grünen Bürgermeister Deutschlands gewählt. Als die Ingenieure nach seiner Wahl bei ihm vorbeischauten, beschied er sie, die Entscheidung sei doch sehr komplex.
Zu diesem Zeitpunkt wurden in Südostbayern große Erdgasleitungen gelegt. Eine davon führte direkt an Waging vorbei. Am 9. Januar 1992 wurde vom Wirtschaftsministerium die "Verordnung über Konzessionsabgaben für Strom und Gas" erlassen. In Gemeinden unter 25.000 Einwohnern - also allen Gemeinden Südostbayerns außer Burghausen - können durch diese Verordnung je verbrauchten Kubikmeter Erdgas 0,51 Cent von der Gemeinde berechnet werden.
Wie der Haushaltsplan der Gemeinde Waging zeigt , konnte diese 2005 bereits 223.000 Euro aus der Konzessionsabgabe lukrieren, während die Zuweisungen des Freistaates Bayern nur 182.000 Euro betrugen. Da nicht nur in Waging der Großteil der Gemeindeausgaben Personalausgaben, Gebäudekosten und Kreisumlagen sind, ermöglicht die Konzessionsabgabe eine Haushaltsflexibilität ohne unangenehme und kontroverse Umverteilungen und Sparmaßnahmen. Die Erdgaspenunze ist sozusagen lokales Spielgeld, mit dem man Vereine und Brauchtum, Sport und Kultur großzügig sponsern kann.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Bürgermeister Daxenberger anstelle des kommunalen Holzheizwerkes als ersten Amtsakt das Erdgas einführte. Erdgas war und ist ein Angebot, das man als Wahlbeamter nicht ablehnen möchte und sollte. Indes gewannen die Ingenieure die nahegelegene Gemeinde Burgkirchen an der Alz für ein heute noch laufendes 4-Megawatt-Holzheizwerk. Dort regierte die CSU.
Ein sinnloses Gas-BHKW bringt die doppelte Konzessionsabgabe
Allerdings ging Daxenbergers Erdgas-Engagement weit über seinen kommunalen Pragmatismus hinaus. So fuhr er ab 2008 demonstrativ ein Erdgasauto und stand noch 2010, kurz vor seinem Tod auf der Rednerliste eines Erdgas-Lobbykongresses. Sein Thema, für das ihn die Manager der Greenfield-Group, der Erdgaslobby und E.ON offenbar für besonders kompetent hielten: "Die zukünftige Rolle der Biomassenutzung". Zu diesem Zeitpunkt war er bereits Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bayerischen Landtag.
In Waging ging 2009 in einem Altersheim sogar ein Blockheizkraftwerk zur Stromerzeugung durch Erdgas ans Netz, nach Ansicht von Fachleuten eine der unwirtschaftlichsten und unökologischsten Nutzungen von Erdgas, wenn es keine Prozesswärmeabnehmer für Dampf und Kühlung oder zumindest eine hohe Grundlast gibt.
Allerdings zeigt die Lektüre der Verordnung über die Konzessionsabgabe, dass diese auch auf jedes Kilowatt Strom erhoben wird. Die Gemeinde steigert also durch das absurde Werk, dessen Kosten auf die Verbraucher umgelegt werden, wiederum ihr begehrtes Gas-Taschengeld gleich doppelt: Einmal für jeden Kubikmeter sinnlos verfeuerten Gases, dann noch einmal für jedes Kilowatt Strom, das mit geringem Wirkungsgrad aus diesem Gas gewonnen wird.
Kann man den Erdgasproduzenten des Nabucco-Konsortiums vorwerfen, dass sie gerade in Joschka Fischer den idealen Imageträger für ihr Anliegen, Deutschland mit Erdgas vollzupumpen, fanden? Erst im Juni 2013 zog das Konsortium in Sachen Erdgasversorgung den Kürzeren.
Waging ist dank seinem Bürgermeister Daxenberger heute eine Vorzeigegemeinde für die Auswüchse und Abhängigkeiten des Erdgas-Lobbyismus.
Wie mir der grüne Abgeordnete Kamm berichtet, fuhr Horst Seehofer am Tage des Begräbnisses von Sepp Daxenberger hinter ihm - und hielt sich strikt an die Geschwindigkeit. Nicht nur Waging, alle bayerischen Kommunen und die Landespolitiker hängen am Sponsortropf der Erdgaslobby.
Stammesbruder Seehofer vergötterte Daxenberger
Kamm war übrigens Mitglied des Bundesverbandes für Kraft-Wärme-Kopplung. Als ich ihm die Daxenberger-Geschichte erkläre, bemerkt er: "Das ist die klassische oberbayerische Dialektik. Daxenberger war nicht frei von Stammesdenken."
Horst Seehofer über Daxenberger: "Sepp Daxenberger war eine Persönlichkeit, wie sie typischer für unser Land nicht sein könnte. Selbstbewusst, kantig, willensstark und dabei erfüllt von einer tiefen Liebe zu seiner oberbayerischen Heimat."
Diese ethnologische Erklärung ist auf jeden Fall schmeichelhafter, als die grüne Energiepolitik als rein rhetorische Werbemasche zu entlarven.
Dass Kamm 1997 sein Mandat niederlegte, lag aber nicht an der Bigotterie der grünen Politik. Kamm: "Ich war ein Superrealo. Ich wollte den Regierungswechsel. Ich wollte Weichenstellung programmatisch und personell."
Ruth Paulig, die damalige Parteivorsitzende, war für Kamm eine "Hausfrauenpolitikerin", von der man nicht erwarten konnte, dass sie Regierungsverantwortung übernehme. "Es gab keinen Ehrgeiz, wirklich Regierungspartei zu sein", sagt Kamm. "Das ist noch heute so."
In der CSU dagegen, so Kamm, herrsche eine harte Auslese, die oft hochqualifizierte Abgeordnete hervorbringe. Bei den Grünen gäbe es diesen Wettbewerb nicht. Bei Landtagsmandaten spielten die politischen Ziele und die persönliche Qualifikation eine zu geringe Rolle..
In einem Land, in dem die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung die Politik als korruptes Geklüngel von Honoratioren betrachtet, ist diese Charakterisierung der Grünen - Kamm sagt allerdings, dass es bei der SPD nicht anders sei - ein vernichtendes Urteil. Kamm über seine ehemaligen Kollegen: "Da waren viele Volksvertreter in einem sehr wörtlichen Sinn, also viele Leute, die nur klein denken wollten."
Avancierte Verschwörungstheoretiker könnten daraus ableiten, dass nicht nur Erdgaslobbyisten, sondern auch andere Interessengruppen einen hohen Stimmenanteil der Grünen für durchaus fördernswert halten könnten. Deren unreflektierte Partikularinteressen, die erklären, warum Hartz-IV-Empfänger Solarzellen auf Studienratsdächern, warum 60-Stunden arbeitende Alleinverdiener die Kindergartenbeiträge von halbtags tätigen Erbinnen bezahlen, macht die Grünen politisch kalkulierbar.