Entscheidende Tage für die Weltwirtschaft

Während Politiker weltweit versuchen, "noch vor der Eröffnung der asiatischen Märkte" die Finanzmärkte zu beruhigen, muss jeder Erfolg angesichts der herrschenden Panik und Ansteckung vorübergehend bleiben

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Vermutlich hat der der luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker gar nicht so unrecht wenn er vor den verschiedenen Krisensitzungen von EU-Kommission, Finanzministern und Geldpolitikern am Wochenende von einer "weltweit organisierten Attacke gegen den Euro" fabulierte. Immerhin sollen sich einige Makro-Hedge-Fonds wie jener von George Soros ja tatsächlich im Februar darauf eingeschworen haben, den Euro auf die Parität zum Dollar herunterzuprügeln. Nur wäre dies allenfalls ein Symptom, keinesfalls aber der Grund für die dank Griechenland wieder hoch aufgeschossenen Probleme im globalen Finanzsystem.

Zur Erinnerung: Zuerst hatte sich ein unreguliertes "Schatten-Banksystem" aus Hedge Fonds, Investmentbanken und außerbilanziellen Zweckgesellschaften ("SIV") jahrelang extremen Kreditexzessen hingegeben und mit billigen kurzfristigen Krediten Portfolios aus höher verzinsten, illiquiden Anlagen finanziert. Das war möglich, weil diese fragwürdigen realen Kredite in Wertpapiere mit anscheinend erstklassiger Bonität verwandelt wurden, deren Risiko sich im Nachhinein als um Größenordnungen höher herausstellte, als von den Ratingagenturen und den Verkäufern der Strukturierten Anleiheprodukte vermittelt worden war.

Das verschaffte offensichtlich vor allem im angloamerikanischen Raum allen Arten von nicht kreditwürdigen privaten Investoren problemlosen Zugang zu Finanzierungen und führte auch in der Realwirtschaft zu zusätzlichem Wachstum. Die daraus resultierenden strukturierten Wertpapiere wurden indes weltweit verkauft, und als das System kollabierte, mussten in praktisch allen westlichen Industrieländern Banken mit Milliardenbeträgen gerettet und der Nachfrageausfall der Realwirtschaft mit Staatsausgaben kompensiert werden.

Da die meisten Staaten auch in den Zeiten der Hochkonjunktur ihre Schulden nicht reduziert hatten, war das Ergebnis, dass laut Bank für Internationalen Zahlungsausgleich die durchschnittliche Verschuldung der OECD-Staaten spätestens 2011 hundert Prozent des BIP übersteigen wird, was bislang in Friedenszeiten noch nie der Fall war.

In der besten aller möglichen Welten würden sich die Banken nun wieder stabilisieren und die Staatsgelder mit Zinsen zurückzahlen, was bei Leitzinsen von kaum einem Prozent und der daraus resultierenden hohen Zinsspanne immerhin nicht ganz unmöglich erscheint. Tatsächlich beflügelten die niedrigen Zinsen bereits den Aktienmarkt. Sollte aus der von öffentlichen Ausgaben gestützten Konjunktur ein selbsttragender Aufschwung werden, könnten die resultierenden höheren Steuereinnahmen die Staatsbilanzen wieder in Ordnung bringen - so jedenfalls der Plan, wie ihn vor allem die USA und China seit Ausbruch der Krise mit aller Gewalt verfolgen.

Düstere Aussichten für die konjunkturelle Zukunft

Dazu müssten freilich die Finanzmärkte einerseits die öffentlichen Kreditaufnahmen weiter finanzieren, was gegenüber den schwächsten Staaten offenbar nicht mehr der Fall ist. Andererseits müsste es auch zu steigenden Kreditvergaben an die Realwirtschaft kommen, was aber weder in den USA noch in Europa der Fall ist. Eine steigende Verschuldung von Konsumenten und Unternehmen wäre allerdings unbedingt erforderlich, damit der kühne Rettungsplan funktionieren könnte. Nur zeigt die aktuelle Umfrage der Fed quer durch alle Kategorien eine sinkende Kreditnachfrage und vor allem im Konsumentenbereich weiter verschärfte Vergabestandards. Im Euro-Raum haben laut dem aktuellen "Monthly Bulletin" der EZB zwar die Kredite an die öffentlichen Schuldner zuletzt zwar um 8,4 Prozent zugenommen, die Kredite an die Privatwirtschaft gingen hingegen sogar um 0,4 Prozent zurück.

Dass die somit fehlende kreditfinanzierte Nachfrage aus den Privateinkommen finanziert werden könnte, ist dabei offenbar ausgeschlossen. Denn bisher führte der zaghafte Aufschwung zwar zu höherer Produktion, nicht aber zu ernsthaft steigender Beschäftigung. Folglich steigen zwar - allen voran in den USA - die Arbeitsproduktivität und somit auch die Gewinne der Unternehmen stark an, nur wie sich in den stagnierenden Produzentenpreisen zeigt, fehlt es mangels Einkommen zusehends an Käufern für die gesteigerte Produktion. Mit dem Auslaufen der Konjunkturpakete dürften sich folglich auch die Gewinne der meisten Unternehmen in Luft auflösen, was alles in allem kaum einen optimistischen Blick in die konjunkturelle Zukunft erlaubt. Und dabei sollte man sich nicht davon täuschen lassen, dass aktuell in Deutschland und Österreich eine Zunahme bei den Stellenanzeigen und die Umsätze im Einzelhandel anekdotisch auf ein echtes Aufflackern der Konjunktur deuten.

Aber wie sich in den letzten Jahren Krise mit aller Deutlichkeit gezeigt hat, spielen die "realen" Kreditbeziehungen an den Finanzmärkten längst keine entscheidende Rolle mehr. Die Ansteckung von einem Krisenherd auf den anderen erfolgt heute spontan, und kann auch zwischen eigentlich völlig unabhängigen Anlagesegmenten fast augenblicklich erfolgen. Diese Ansteckung ("Contagion") erfolgt zwar auch direkt dadurch, dass Investoren mit hoher Leverage die guten Teile ihrer Portfolios verkaufen müssen, um Verluste bei den schlechten zu finanzieren.

In noch größerem Ausmaß erfolgt die Ansteckung aber indirekt über die Leitindizes der Wall Street, wobei die Kursbewegungen von S&P 500 und DOW die aktuelle Risikoeinschätzung der Finanzmärkte widerspiegeln und augenblicklich um die Welt verbreiten. Steigen also die Kurse an der Wall Street, dann steigt weltweit die Risikoneigung und es werden riskante Anlagen gekauft, sichere Anlagen verkauft. Und je dynamischer sich die Leitindizes bewegen, um so dynamischer werden die Risiken neu verteilt, wobei die Dynamik fast exponentiell anzusteigen scheint und auch im Kollaps enden kann, wie eben im September 2008 nach der Lehman-Pleite.

Rätselraten um Wall Street Crash

Dementsprechend kritisch war die Situation als der DOW letzten Donnerstag innerhalb weniger Minuten fast 1000 Punkte und damit mehr verlor als je zuvor. Vorübergehend herrschte nackte Panik, während der es für Privatanleger zudem praktisch unmöglich wurde, über ihre Aktien zu disponieren. Denn während sie im TV mitverfolgen konnten, wie Aktien von Top-Unternehmen ins Bodenlose stürzten, stießen dann auch die großen Broker und Informationsanbieter wie Bloomberg an die Grenzen ihrer Kapazitäten und waren so wie viele nicht mehr erreichbar.

Der Absturz war jedenfalls beeindruckend. So lag der DOW, der am Vortag mit 10.975 Zählern aus dem Handel gegangen war, um 14.38 Uhr noch mit nur 360 Punkten im Minus, zehn Minuten später waren es - 600 und nach weiteren drei Minuten war das Tagestief von 9.977 Zählern erreicht – weshalb anzunehmen ist, dass der Vorfall als "Crash of 2:46" in die Finanzgeschichte eingehen wird. Dann ging es freilich so schnell wieder aufwärts, wie zuvor der Einbruch erfolgt war. Am Abend schloss der DOW mit 10.520 Punkten, was noch immer einen Tagesverlust von beachtlichen 3,5 Prozent bedeutet, dem am Freitag ein weiterer Rückgang auf 10.380 Zähler folgte. Am nächsten Tag wurden die Risiken global neu bewertet, was wieder einmal Griechenland und andere schwache Eurostaaten zu spüren bekamen.

Was genau da den US-Börsen geschehen ist, wird nun von der Börsen- und der Derivatenaufsicht untersucht. An den Märkten hieß es zuerst, ein Trader der Citi Group hätte bei einem Verkaufsauftrag für Procter & Gamble versehentlich Milliarden statt Millionen in den Computer getippt ("a fat finger trade") und so die Talfahrt ausgelöst, was angesichts der in fast allen Märkten gleichzeitig ausbleibenden Kaufaufträgen wohl reichlich unwahrscheinlich ist und von Citi auch umgehend dementiert wurde.

Inzwischen herrscht an den Märkten die Meinung vor, es wären "technische" Gründe verantwortlich und zwar der Programmhandel. Demnach hätten die automatisierten Hochfrequenz-Handelsprogramme, die laut Bloomberg für rund 60 Prozent des täglichen Handelsvolumens in US-Aktien verantwortlich sind, nach dem Durchbrechen bestimmter Limits eine Kaskade an Verkaufsorders ausgelöst, denen kaum Käufer gegenüberstanden. Ähnliches war beim berühmten Crash von 1987 geschehen, als am "Schwarzen Montag" der DJIA innerhalb eines Tages um ganze 23 Prozent einbrach, wofür die automatisierten Aktienverkäufe aufgrund der damals üblichen Hedging-Methode der Portfolio-Insurance maßgeblich verantwortlich waren. Hingegen haben heute fast alle automatisierten Handelsprogramme Sicherungssysteme eingebaut und gehen aus den Märkten, wenn solche Turbulenzen auftreten; oder sie werden dann wenigstens von Menschen überwacht, die die Letztentscheidungen treffen.

So hätten diesmal Handelsunterbrechungen an der NYSE, der größten US-Börse, wo ab einem bestimmten Kursrückgang der Handel in einzelnen Aktien für einige Zeit ausgesetzt wird, dazu geführt, dass die Verkaufsorders an kleiner Börsen umgeleitet wurden. Diese hatten überwiegend keinen solchen "Vola-breaker" und auch keine Käufer, so dass die Kurse sofort extrem einbrachen. Sobald aber der Handel an der NYSE ansprang, gingen zwar auch die Kurse wieder nach oben, die Nervosität an der Wall Street dürfte sich jedoch kaum verringert haben.

Keine Frage, an realwirtschaftlichen Gründen für einen Finanzcrash herrscht zwar kein Mangel. Was die europäischen Staatsschulden angeht, dürfte die Märkte freilich noch mehr beunruhigt haben, dass EZB-Chef Jean-Claude Trichet am Donnerstag erklärt hatte, der EZB-Rat habe nicht einmal darüber diskutiert, Euro-Staatsschulden direkt mit Zentralbankgeld aufzukaufen (so wie die US-Fed und die Bank of England). Und egal, was EU-Staaten und Kommission noch an Maßnahmen beschließen mögen: Bevor die EZB diese monetäre Keule nicht schwingt, werden die Märkte wohl keine Ruhe geben.