Erdbeben in Türkei und Syrien: Wem die Katastrophe nutzt

Rettungsarbeiten an einem eingestürzten Gebäude in Diyarbakır. Bild: VOA

Themen des Tages: Die Linke, Sanktionen und Russland. Der China-Ballon und Deutschland. Und der Missbrauch des Erdbebens.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Die Linke streitet weiter über ihren außenpolitischen Kurs und seine innenpolitischen Folgen.

2. Krisendiplomatie ist heute so notwendig wie vor 109 Jahren.

3. Und auf Seite 2 lesen Sie: Wer die wahren Helfer im Erdbebengebiet sind – und wer die Katastrophe missbraucht.

Doch der Reihe nach.

Kritik an Sanktionen

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht hat ihre Kritik an der Sanktionspolitik westlicher Staaten gegenüber Russland erneuert, berichtet Telepolis. Auf einer Veranstaltung der "Arbeitsgemeinschaft Friedenspolitik der Linkspartei" habe sie unlängst auf die "verheerende Bilanz" der bisherigen Politik der Bundesregierung auf diesem Gebiet verwiesen.

Die Strafmaßnahmen gegen Russland hätten im Westen katastrophale Auswirkungen auf die Preise, darunter litten vor allem Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, so Wagenknecht laut einer Mitschrift, die Telepolis vorliegt.

Plädoyer für UFO-Behörde

Nach dem Ballon-Zwischenfall in den USA plädiert der Sachbuchautor Andreas Müller auf Telepolis für eine Behörde, "die sich mit gezielt der Untersuchung und Erforschung unidentifizierter Flugobjekte und Phänomene widmet".

Sie gebe es in Deutschland nicht und das Interesse daran sei bislang gering. "Anfragen danach wurden verneint oder selbst auf Bundespressekonferenz von Regierungssprechern ins Lächerliche gezogen", so Müller:

In anderen Ländern sei man da schon seit vielen Jahren weiter, erklärt der Autor und verweist auf drei von mehr als 27 Staaten mit eigenen UFO-Untersuchungsbemühungen: Frankreich, Großbritannien und die USA.

Appell für Diplomatie

Für eine diplomatische Lösung des Ukraine-Krieges plädiert einmal mehr Telepolis-Autor und Friedensaktivist Bernhard Trautvetter. Vor 109 Jahren, in den Monaten vor der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, mit fast 23 Millionen Toten, darunter Soldaten und Zivilisten habe auch im Deutschen Reich Kriegseuphorie vorgeherrscht, schreibt er:

Heute herrscht in vielen Medien, darunter die größten, eine Kommunikation vor, die auf schwere Waffen statt Diplomatie orientiert. Wer den bellizistischen Weg führender Medien nicht mitgeht, wird mitunter als Putin-Versteher oder Möchtegernpazifist abgetan. Gegner des Nato-Kurses und Befürworter von Diplomatie erhalten auch schon einmal den Stempel, für einen "toxischen Pazifismus" zu stehen.

Bernhard Trautvetter

Dabei sprächen die Worte des UN-Generalsekretärs António Guterres für sich:

Ich befürchte, die Welt schlafwandelt nicht in einen größeren Krieg hinein – ich befürchte, sie tut dies mit weit geöffneten Augen.

António Guterres, UN-Generalsekretär, Februar 2023

Erdbeben in Türkei und Syrien: Nutzen und Leid der Katastrophe

Nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien sind nach Angaben des türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu Rettungskräfte aus 36 Ländern in das Katastrophengebiet unterwegs. In den drei betroffenen türkischen Provinzen stehen laut der regierungsnahen Nachrichtenagentur Demiren Haber Ayansi rund 50.000 Betten für Betroffene bereit.

Mehr als 3.300 Such- und Rettungskräfte seien im Einsatz. Der türkische Verteidigungsminister Hurus Akar kündigte an, die Kasernen und Garnisonen der Armee in dem betroffenen Gebiet für Zivilisten zu öffnen.

Der türkische Staat inszeniert sich als Helfer, nachdem er die hohe Opferzahl offensichtlich mitzuverantworten hat. Nach Angaben der Katastrophenschutzbehörde Afad sind allein in der Türkei fast 5.700 Gebäude eingestürzt. Offenbar waren Standards beim Bau weder eingehalten noch kontrolliert worden.

Zudem setzt sich die Armee als vermeintlich humanitäre Kraft in Szene. Sie war es aber, die im Zuge der Invasion in Nordsyrien 2009 mehr als 300.000 Menschen in die Flucht trieb. Und zur Stunde bombardiert die türkische Luftwaffe weiterhin kurdische Gebiete.

Fakt ist: Die Betroffenheit und Erschütterung angesichts der Bilder aus der Türkei und Syrien werden von zahlreichen Akteuren politisch missbraucht. Das trifft nicht nur auf die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan zu, sondern auch auf Saudi-Arabien. Von dort hieß es, man werde Notunterkünfte und Lebensmittel bereitstellen. Damit hofft Riad womöglich, die Beziehungen zu Ankara zu verbessern, die seit dem Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi im Jahr 2018 auf einem Tiefpunkt sind.

Und was sollen 87 Helfer aus der Ukraine ausrichten, wo weite Teile des Landes durch die andauernde russische Invasion verwüstet sind? Ist ihre Entsendung sinnvoll oder am Ende doch nur ein versuchter PR-Streich?

Was zwischen all diesen Meldungen untergeht, ist eine wenig aufsehenerregende Wahrheit: Die meisten und effektivsten Helfer sind schon vor Ort: Es sind die Überlebenden, die unmittelbar mit Rettungsmaßnahmen beginnen. Denn sie kennen sich vor Ort aus, sind vernetzt, sprechen die Sprache der Menschen vor Ort.

Der Arzt und Nothelfer Richard Munz, der in den Neunzigerjahren als Chirurg und Notfallmediziner weltweit Einsätze für das Internationale Rote Kreuz und weitere Hilfsorganisationen leitete, hatte den Missbrauch von Katastrophen immer wieder kritisiert. Sowohl durch politische Akteure als auch durch Hilfsorganisationen und Medien, die mitunter vom Leid profitieren.

In seinem Buch "Im Zentrum der Katastrophe. Was es wirklich bedeutet, vor Ort zu helfen" beschrieb er 2007, wie etwa einen Monat nach dem dortigen Tsunami im Jahr 2004 – teilweise ohne Wissen und Koordination der UNO – rund 1.100 Hilfsorganisationen nach Sri Lanka und etwa 300 Organisationen nach Sumatra strömten. Das Ergebnis: völliges Chaos.

In Bam, Iran, standen Ende 2003 drei Tage nach einem verheerenden Erdbeben mit mehr als 26.000 Toten 34 internationale Hundestaffeln bereit. Die mitgereisten Filmteams nahmen ihre Einsätze auf. Nur konnten die ausländischen Teams fast niemanden mehr retten. Denn was nicht berichtet wurde: Die erste iranische Hundestaffel war 90 Minuten nach dem Erdbeben einsatzbereit gewesen.

Katastrophen und Katastrophenhilfe wecken immer auch Interessen. Das Offensichtliche geht derzeit unter: Dass das Gebiet auf türkischer Seite entmilitarisiert werden müsste. Oder dass die westlichen Sanktionen gegen Syrien umgehend ausgesetzt werden sollten.