Erdogan bekräftigt Drohung gegen Griechenland

Ruhe vor dem Sturm? Grenzübergang von türkischer Seute nach Griechenland in Edirne. Foto: Julian Nyča / CC-BY-SA-3.0

Nato-Partner hin oder her, der türkische Staatschef bekräftigt: "Wir können mitten in der Nacht kommen." Im Nachbarland wird auf Sanktionen westlicher Staaten gehofft. Dafür gibt es keine Anzeichen.

Die Äußerungen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan beim Prague Summit haben in Griechenland für erhöhte Alarmbereitschaft gesorgt. Seine Drohungen gelten demnach nicht nur Griechenland, sondern jedem Staat, der "uns stört oder uns angreift".

Ein griechischer Journalist hatte Erdogan bei dessen Pressekonferenz gefragt, ob mit dem von ihm und anderen türkischen Spitzenpolitikern oft benutztem Zitat "wir können in der Nacht kommen", eine Invasion in Griechenland gemeint sei. Erdogan gab dies unumwunden zu:

Du hast es richtig auf den Punkt gebracht. Welches Land uns auch immer stört und angreift, unsere Antwort lautet: "Wir können eines Nachts plötzlich kommen". So sollten sie es wissen. Sie sollen es verstehen. Da du es so verstanden hast, haben sie es auch verstanden.


Recep Tayyip Erdogan

Eklat beim Prague Summit

Erdogan nutzte das gemeinsame Abendessen beim Prague Summit, die Premiere eines Gipfeltreffens einer größeren Formats europäischer Länder, der sogenannten Europäischen Politischen Gemeinschaft, den die tschechische EU-Ratspräsidentschaft für einem informellen Gipfeltreffen der EU-Staaten am 6. Oktober abgehalten hatte, als Bühne. Der ebenfalls anwesende griechische Premier Kyriakos Mitsotakis ergriff das Wort und konterte, nur um dafür erneut von Erdogan gedemütigt zu werden.

Mitsotakis forderte den türkischen Präsidenten auf, die Souveränität der Inseln nicht mehr in Frage zu stellen und keine Spannungen mehr zu verursachen. Er rief den türkischen Präsidenten auf, ohne Spannungen und extreme Rhetorik zu Verständigung und Dialog zu kommen, wie es verantwortungsbewusste Regierungschefs täten.

Auf Mitsotakis Antwort beim Abendessen angesprochen, meinte Erdogan bei der Pressekonferenz: "Ich weiß nicht, von wem er die Erlaubnis bekommen hat, vielleicht vom Präsidenten. Und da hat er uns geantwortet.

Er meinte, wir sprächen hart. Aber so ist es nicht. Sie sind nicht dort, wo sie sein sollten. Sie wissen, dass ihre Politik auf Lügen basiert. Alles ist eine Lüge. Es gibt keine Ehrlichkeit. Wenn wir einladen, dass alle Küstenländer sich treffen, kommen sie nicht. Aber sie warten darauf, dass die Türkei den Schritt macht. Sie setzen viele Länder als Vermittler ein."

Beim gemeinsamen Fototermin, dem üblichen "Familienfoto", würdigten sich die beiden Regierungschefs keines Blickes. Mitsotakis hatte im Vorfeld seine Bereitschaft zum Dialog erklärt.

Erdogan suchte jedoch das Gespräch mit dem Präsidenten von Zypern, Nikos Anastasiadis. Letzterer sprach Erdogan hinsichtlich der Teilung Zyperns an. Damit wollte er die Bereitschaft zur Rückkehr an den Verhandlungstisch demonstrieren. Erdogan antwortete in freundlichem Ton, dies sei nicht der richtige Zeitpunkt.

Folgen eines Dialogs und einer Rede im Kongress

Mit Mitsotakis wolle er nie wieder reden, hatte Erdogan bereits im Mai erklärt. Nur zwei Monate zuvor hatten beide in Istanbul mit Blick auf den Bosporus in freundlicher Atmosphäre gemeinsam diniert. Mitsotakis hatte den türkischen Präsidenten zu diesem Treffen ohne jegliche Agenda gedrängt.

Die Opposition in Griechenland hatte ein derartiges Treffen ohne Vorbereitung bereits im März kritisiert und vor Risiken gewarnt. Einzelheiten des Gesprächs und der Bedingungen für ein Moratorium hinsichtlich der Luftraumverletzungen, das Mitsotakis erreicht haben wollte, wurden von der griechischen Regierung nicht bekannt gegeben.

Mit dem von Mitsotakis als Erfolg gefeierten Dialog mit Erdogan war es endgültig vorbei, nachdem der griechische Premier bei seiner USA-Reise am 17. Mai die Gelegenheit nutzte, die Türkei vor dem US-Kongress fortwährender Luftraumverletzungen zu beschuldigen.

In seiner Rede vor dem Kongress, erwähnte der griechische Premier das Wort "Türkei" nicht explizit. Seine Umschreibungen waren jedoch überdeutlich.

Erdogan empörte sich daraufhin über angeblich von Mitsotakis gebrochene Absprachen: Beide hätten am Bosporus vereinbart, ihre Probleme ohne Einschaltung Dritter zu lösen. "Wir hatten mit ihm vereinbart, Drittstaaten nicht in unseren Streit einzubeziehen", sagte Erdogan. "Trotzdem besuchte er letzte Woche die USA und sprach vor dem Kongress und warnte sie, uns keine F-16 zu liefern", wird Erdogan zitiert.

Ebenfalls im Mai frohlockte Mitsotakis, die Erweiterung der US-Militärpräsenz in Griechenland, die intensivierte Zusammenarbeit mit den USA und der bilaterale Verteidigungspakt mit der westlichen Supermacht würden Griechenland schützen. Mitsotakis hatte die Verträge für die US-Militärbasen um fünf Jahre mit automatischer Erneuerung verlängert, statt wie bisher jährlich im Parlament über die Militärstützpunkte abstimmen zu lassen.

Vor dem Parlament bezeichnete er die Türkei als wenig verlässlichen Partner der Nato und der USA. All dies rief in der Türkei Missmut hervor.

Streit über eine Demilitarisierung der Inseln

Die Türkei stört sich an der Präsenz von Militär auf den griechischen Ägäisinseln. Sie erklärt, dass diese Inseln vertraglich demilitarisiert sein müssten, und benutzt diesen Umstand zur Drohung mit einer Invasion. Faktisch stellt die Türkei die Souveränität Griechenlands über seine Inseln infrage.

Neben dem bereits seit Jahren andauernden Disput über die Erdgasvorkommen in der Ägäis wirft die Türkei ihrerseits territoriale Verletzungen vor. So schreibt die regierungsnahe Tageszeitung Daily Sabah, seit Anfang 2022 hätten griechische Kampfflugzeuge "256 Mal den türkischen Luftraum verletzt" und 158 Mal türkische Jets bedrängt. "Auch Boote der griechischen Küstenwache verletzten 33 Mal türkische Hoheitsgewässer."

Die Türkei beruft sich in ihrer Argumentation auf den 1923 vereinbarten Friedensvertrag von Lausanne. Das griechische Außenministerium hat bereits mehrfach erklärt, warum spätere Verträge die in Lausanne vereinbarte Demilitarisierung einiger Inseln aufheben.

Hinsichtlich der Dodekanes gibt es einen 1947 zwischen Italien und den Alliierten des zweiten Weltkriegs abgeschlossenen Vertrag, der die Inseln Griechenland zuschreibt. Dort wurde, damals auf Druck der UdSSR eine Demilitarisierung vereinbart, die Türkei war aber nicht Vertragspartner.

Das griechische Außenministerium erwähnt zudem die seit 1974 andauernde Besetzung des nördlichen Teils Zyperns durch türkische Truppen und die wegen des Streits über die Zwölf-Meilen-Zone immer noch bestehende Drohung der Türkei mit dem "Casus Belli" und nicht zuletzt die Luftraumverletzungen.

Die oben genannte Sachlage, kombiniert mit der Kriegsgefahr (Casus Belli) und der allgemeineren revisionistischen Tendenz der Türkei in Bezug auf den territorialen und rechtlichen Status der griechischen Inseln, wie er durch internationale Verträge und das Völkerrecht im Allgemeinen definiert wird, verpflichtet und legitimiert Griechenland, notwendige Verteidigungsvorbereitungen, die es ihr ermöglichen, erforderlichenfalls das in Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen vorgesehene Selbstverteidigungsrecht auszuüben und die griechischen Inseln zu schützen, weiter auszubauen.

Aus einer Stellungnahme des griechischen Außenministeriums

Sowohl in der Türkei als auch in Griechenland stehen im Jahr 2023 Wahlen an. Das lässt befürchten, dass auch aus innenpolitischen und wahlkampfbedingten Gründen die Spannungen weiter auf hohem Niveau gehalten werden. Dadurch wächst wiederum die Gefahr, dass ein kleiner Zwischenfall eine größere militärische Auseinandersetzung auslösen könnte.

Wie sieht es abseits der politischen Ebene aus?

Auf zwischenmenschlicher Ebene sieht die Situation erheblich entspannter aus. So berichtet der türkische Journalist Yavuz Baydar, dass er bei einem zehntägigen Aufenthalt in Griechenland keine Ressentiments und keinen gefährlichen Nationalismus erlebt habe. Seine Reportage wurde in der griechischen Tageszeitung Ta Nea übersetzt veröffentlicht. Baydar fürchtet allerdings, dass er wegen des Artikels in seiner Heimat als Verräter beschimpft werden wird:

Jetzt wird eine Welle der Verleumdungen gegen mich aufkommen: Begriffe wie "Agent der Griechen" werden zu hören sein. Die Motivation des Journalisten ist Neugier und Wahrheit. Es ist auch zu fragen: "Und die andere Seite?". Und vergessen wir nicht: Nationalismus legitimiert sich dadurch, dass wir den Gegner zum Feind machen.


Yavuz Baydar, Journalist

Ganz so schlimm ist es in Griechenland noch nicht. Hier übertreiben die Medien mit ihrer Einschätzung der Wirkung der griechischen Diplomatie. "Ganz Europa wird Zeuge der Spannungen zwischen Ankara und Athen" titelte kürzlich das Internetmagazin Capital. Den Lesern wird mit solchen Veröffentlichungen ein ums andere Mal suggeriert, dass die übrigen westlichen Staatschefs in irgendeiner Form Sanktionen gegen die Türkei ergreifen werden, was jedoch bislang noch nicht eintrat.