Erdogan, die Paradise Papers und sein Korruptionssumpf

Seite 2: Erdogan in der Klemme

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Das mafiöse Netzwerk rund um den Erdogan-Clan ist kaum zu durchdringen. Ein Mann allerdings kann Erdogan richtig gefährlich werden: Reza Zarrab. Der 33-jährige Goldhändler besitzt türkische, aserbaidanische und iranische Pässe. Im März 2016 wurde er in den USA wegen des Verstoßes gegen die von den Vereinigten Staaten im Atomstreit gegen den Iran verhängten Wirtschaftssanktionen, Bankbetrug und Geldwäsche festgenommen.

Die Ermittlungsspuren dazu führen zurück ins Jahr 2013 und bis in die türkische Regierung hinein - und zu Erdogan selbst. In einem dem New Yorker Gericht Ende Oktober vorgelegten Dokument des Justizministeriums heißt es, die US-Regierung "geht davon aus, dass die bei der Verhandlung vorgelegten Beweise zeigen werden, dass türkische Regierungs- und Bankbeamte integraler Bestandteil der Umgehung der Sanktionen sind".

Im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal 2013 wurde Zarrab beschuldigt, drei Minister mit 66 Millionen Dollar bestochen zu haben. Zarrab soll unter Mitwirkung der türkischen Minister und Regierungsbeamten rund 200 Tonnen Gold in den Iran exportiert haben - ein klarer Verstoß gegen die US-Sanktionsrichtlinien.

Das Handelsblatt schreibt, dass Reza Zarrab mit den mehr als 11 Milliarden US-Dollar, 15 Prozent des Leistungsbilanzdefizits der Türkei gedeckt habe. ANF berichtet, diese Transaktionen seien über über Offshore-Firmen und -bankkonten gelaufen sein.

Trotz der Vorwürfe wurde Zarrab in der Türkei nicht festgenommen, da die türkische Regierung nach wie vor der Meinung ist, dass sie sich nicht an Sanktionen der USA gegen andere Staaten halten muss. Erst im März 2016 wurde Zarrab bei der Einreise nach Florida/USA verhaftet. Im November 2016 wurde dann auch Zarrabs Bruder Mohammad angeklagt.

Nach monatelanger Haft in den USA ist Reza Zarrab vor kurzem bis zum Beginn seines Prozesses am 4. Dezember freigekommen - und will aussagen. Das birgt einigen Sprengstoff für die türkische Regierung, denn die US-Ermittlungen gehen trotz massiver Interventionen der türkischen Regierung weiter.

Erdogan soll 2016 den ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden persönlich gebeten haben, den Fall Zarrab ad Akta zu legen und den leitenden Staatsanwalt Preet Bharara zu entlassen - Joe Biden ablehnte ab. Stattdessen wurde im März dieses Jahres der stellvertretende Leiter der Halkbank, Mehmet Hakan Atilla, wegen der Beteiligung an den Iran-Geschäften am Flughafen in New York verhaftet.

In der Anklageschrift werden Akten zitiert, die aus dem Korruptionsskandal von 2013 um den Erdogan-Clan und seinem engsten Zirkel von Ende 2013 stammen. Seit September 2017 besteht auch gegen den früheren Wirtschaftsminister der Regierung Erdogan, Zafer Caglayan, ein Haftbefehl.

Versuche, auf US-Justiz Einfluss zu nehmen

Die türkische Regierung versuchte bislang vergeblich die US-Regierung dazu zu bringen, die Ermittlungen einstellen zu lassen. Im September bot Erdogan den USA an, den ein Jahr zuvor in der Türkei verhafteten US-Pastor Andrew Brunson gegen Gülen austauschen. Vor gut einem Monat, im Oktober, traf sich der türkische Justizminister Bekir Bozdag mit seiner amerikanischen Amtskollegin Loretta Lynch, um eine Einstellung der Ermittlungen gegen Zarrab zu erreichen.

Auch er hatte keinen Erfolg. Bozdag bezichtigt nun die US-Justiz, ein Werkzeug der Gülen-Bewegung zu sein. Der FBI-Sonderermittler Robert Mueller dagegen ermittelt laut ANF, ob Erdogan dem Ex-General Michael Flynn und seinem im Dezember 2016, während der Präsidentschaftsübergabe mehr als 15 Millionen Dollar angeboten hat, damit er seine bevorstehende Position als nationaler Sicherheitsberater Trumps für die Entführung Gülens nutze - der Spiegel spricht von Auslieferung.

Gülen sollte heimlich mit einem Privatjet ausgeflogen und auf die Gefängnisinsel Imrali gebracht werden, wo seit 1999 auch der Vorsitzende der PKK, Abdullah Öcalan in Isolationshaft sitzt. In dem Gespräch mit Flynn soll es auch um die Freilassung von Reza Zarrab gegangen sein. Flynn soll bereits 2016 von einem türkischen Geschäftsmann mit engen Verbindungen zu Erdogan 500 000 Dollar für einen Beratervertrag kassiert haben.

Reza Zarrab hat in dieser Angelegenheit neuerdings eine wichtige Funktion: Rechtsanwalt Danny Cevallos, ein Rechtsanalyst für MSNBC und NBC News, sagte, die Entscheidung Zarrabs, mit den Behörden zusammenzuarbeiten, sei eine bedeutende Entwicklung, die Licht ins Dunkel der Beziehung Erdogan - Flynn bringen könne. Anscheinend hat Zarrab, dem 75 Jahre Haft drohen, einen Deal mit den amerikanischen Justizbehörden ausgehandelt: Strafminderung gegen Aussagen über die Beteiligung türkischer Politiker am Iran-Geschäft.

Mitte November reiste Ministerpräsident Binali Yildirim mit einer Delegation zu US-Vicepräsident Pence nach Washington um das Verfahren in letzter Sekunde noch zu verhindern. Zur Delegation gehörte auch wieder Erdogans Schwiegersohn und Energieminister Berat Albayrak.