Erdogan meldet Anspruch auf Mosul an

Eines der über Mosul abgeworfenen Flugblätter. Bild: kurdistan24

Die gestern gestartete Offensive kann noch lange dauern, die Konflikte zwischen den Fraktionen der Angreifer beginnen bereits schärfer zu werden

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Die irakische Regierung hat die Offensive auf Mosul gestartet. Regierungschef al-Abadi hat den Start offiziell angekündigt. Die Angreifer sind eine bunt gemischte Koalition aus irakischer Armee und Polizei, starken schiitische und vor allem kurdischen Milizen, arabischen Kämpfern, amerikanischen und französischen Soldaten, die irakische Luftwaffe und die Flugzeuge der US-geführten Koalition.

Dazu kommen wahrscheinlich türkischen Einheiten, die seit 2015 in Bashiqa stationiert sind, da trotz Einspruch der irakischen Regierung der türkische Präsident Erdogan unbedingt auch militärisch einen Griff auf Mosul haben will. Al-Abadi wiederholte, dass türkische Soldaten nicht an der Offensive teilnehmen dürfen.

Der IS behauptet, dass gestern 15 Selbstmordangriffe bei Mosul ausgeführt worden seien.

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu hatte schon gefordert, dass die schiitischen Milizen nicht am Kampf um Mosul teilnehmen dürfen, die wiederum wollen die Türken nicht dabeihaben. Der schiitische Geistliche al-Sadr hat gestern schon zu Protesten vor der türkischen Botschaft in Bagdad aufgerufen. Schiitische Milizen hatten schon gedroht, den türkischen Stützpunkt angreifen zu wollen. Jetzt erklärte der türkische Vizeregierungschef Kurtulmas, dass 3000 von der Türkei ausgebildete sunnitische Kämpfer der "Mudschahedin von Ninive" an der Offensive teilnehmen werden.

Erdogan wiederholte gestern, dass die Türkei nicht nur an der Offensive teilnehmen, sondern auch anschließend an den Verhandlungen mit am Tisch sitzen werde, also sich in den Irak direkt einmischen will: "Es ist für uns unmöglich, außen vor zu bleiben, weil die Geschichte für uns hier liegt", sagte er. Dabei verwies er auf den Misak-i Milli, den nationalen Eid, und ein Abkommen aus dem Jahr 1920, nach dem Kirkuk und Mosul zur Türkei gehören.

Am aktivsten am ersten Tag waren die kurdischen Kämpfer, die aus dem Osten Richtung Mosul vorrückten und einige Dörfer "befreiten", die allerdings bereits weitgehend verlassen waren und vom IS nicht verteidigt wurden. Der IS griff erneut zu dem Mittel, durch das Anzünden von mit Öl gefüllten Gräben die Sicht für Flugzeuge zu behindern, zudem wurden einige mit Sprengstoff gefüllte Fahrzeuge von Selbstmordfahrern losgeschickt, um unter den Angreifern Angst zu verbreiten. Nach Meldungen wurden vier der Fahrzeuge aus der Luft beschossen und unschädlich gemacht, die übrigen richteten keine großen Schäden an.

Massud Barzani, der weiter als Präsident der Autonomen Region Kurdistan herrscht, obgleich seine Amtszeit längst abgelaufen ist, verkündete, die Offensive finde ganz nach Plan statt, man habe bereits 200 km "gesäubert", die Peschmerga würden eng mit den irakischen Sicherheitskräften zusammenarbeiten.

Man kann darauf warten, dass in der losen Koalition bald Konflikte ausbrechen werden, da die Interessen der beteiligten Fraktionen kaum zu vereinen sind. Die irakische Regierung dürfte zu schwach sein, um hier eine Einigung und eine Koordination erzwingen zu können. Seit langem ist die Regierung unvollständig, da aufgrund von Machtkämpfen zwischen der al-Abadi-Regierung und dem früheren Regierungschef al-Maliki sowie dem Geistlichen al-Sadr mehrere Ministerposten nicht besetzt werden konnten.

So gibt es ausgerechnet für die Offensive keinen Verteidigungsminister, auch das Innenministerium ist nicht besetzt, zudem fehlt ein Finanzminister, was nicht nur wegen der Kriegsausgaben, sondern auch wegen der zu erwartenden Flüchtlingsversorgung und vor allem dem teuren Wiederaufbau zu weiteren Problemen führen dürfte.

Was werden die Bewohner und die IS-Kämpfer machen?

Für Verwirrung dürften die 2,5 Millionen Flugblätter gesorgt haben, die die irakischen Streitkräfte am Sonntag vor der Offensive über Mosul und die umliegenden Dörfer abgeworfen hatten. Dort wurde den Bewohnern versichert, dass man Zivilisten nicht angreifen werde, dass sie sich aber von IS-Kämpfern fernhalten sollen. Sie werden aufgefordert, sobald Soldaten bereits in der Stadt sind, sich nicht plötzlich zu bewegen und auch diesen nicht zu nahe zu kommen. Sie sollten aber den Angreifern helfen, IS-Stellungen ausfindig zu machen.

Anders als bei den vorhergehenden Befreiungen von Städten wie bei Falludscha wurden die Bewohner nicht aufgefordert, Mosul zu verlassen, weil man Sorge hat, dass möglicherweise mehr als eine Million Flüchtende nicht versorgt werden können und die Provinz noch weiter ins Chaos stürzen könnten. Lager wurden zwar für mehrere hunderttausend Flüchtlinge bereitgestellt, aber die UN warnt bereits vor einem möglichen Notstand. Daher wurden die Bewohner fast schon zynisch dazu aufgefordert, in ihren Häusern zu bleiben, während die Luftangriffe fortgesetzt werden und wahrscheinlich demnächst bei weiterem Vorrücken auch Artillerie und Panzer eingreifen werden.

Noch ist weitgehend unklar, wie viele IS-Kämpfer sich in der Stadt aufhalten - die Rede ist von 3.000-8.000. Fraglich ist auch, wie lange sie Widerstand leisten werden, da auch ihnen klar sein dürfte, dass sie die Stadt nicht auf die Dauer halten können, wohin sie sich zurückziehen werden bzw. dürfen und vor allem, welche genaueren Pläne es seitens der irakischen Regierung für das befreite Mosul gibt, das bei anhaltendem Widerstand ähnlich wie Ramadi oder Falludscha große Zerstörungen aufweisen wird.

Vorherzusehen sind Konflikte zwischen sunnitischen Fraktionen, Schiiten, Kurden und Turkmenen. Offenbar sind bereits Konvois aus Mosul Richtung Syrien und Raqqa gefahren, offenbar wurde dem IS dieser Fluchtweg offengelassen. Dahinter steht die Hoffnung, die Stadt schneller mit weniger Verlusten und Schäden einnehmen zu können, aber womöglich auch die strategische Überlegung, den IS in Syrien im Kampf gegen Assad zu stärken.

Viele gehen davon aus, dass die Einnahme von Mosul Monate dauern kann. Die nächsten Schritte werden sein, die Großstadt zu umzingeln und die Versorgungsmöglichkeiten für den IS abzuschneiden. Schiitische Milizen berichten, der IS habe sein Hauptquartier aus dem Westen der Stadt in den Osten verlegt.