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Verschnürt und verklebt starben zwei abgewiesene Asylbewerber: Wer ist verantwortlich?

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Verschnürt und verklebt wie Pakete wurden Mai 1999 zwei abgewiesene Asylwerber in Flugzeuge verfrachtet. Einer in Wien, einer in Frankfurt. Beide starben. Todesursache: Ersticken. Die Fälle werden jetzt vor Gericht verhandelt. Neben der persönlichen Verantwortung der Beamten sollte allerdings auch die Rolle von Politik und Gesellschaft thematisiert werden.

Ein verschwindend kleiner Teil der Weltbevölkerung macht sich jährlich auf den Weg in ein besseres Leben. Die Menschen fliehen vor Krieg, Armut, Unterdrückung. Nur ein Promillesatz dieser Migranten erreicht auch sein Ziel - ein wenig mehr Sicherheit. Die Realität sieht für die Einwanderer meist anders aus als ersehnt. Die EU-Länder verweigern ihnen oft lange Zeit das Recht auf Erwerbstätigkeit und Integration. Dagegen gehören Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu ihrem Alltag.

Zurück sollte 1999 auch der Nigerianer Marcus Omofuma. Allerdings keineswegs freiwillig. Am 1. Mai wird er von der österreichischen Fremdenpolizei in ein Flugzeug verfrachtet. Omofuma wehrt sich heftig. Drei Beamte verschnüren ihn wie ein Paket, verkleben seinen Mund mit Leukoplast. Der 25-Jährige überlebt den Flug nicht. Nach einem - laut gerichtsmedizinischem Gutachten - mindestens zwanzig Minuten währenden Todeskampf erstickt er.

Abgründe der Volksseele

Jetzt stehen die drei Fremdenpolizisten vor Gericht. Die Anklage: "Quälen eines Gefangenen mit Todesfolge". Dabei handelt es sich beileibe um keinen Einzelfall aus Österreich. In Frankfurt erhob die Staatsanwaltschaft vor kurzem Anklage gegen drei BGS-Beamte wegen fahrlässiger Tötung eines 30 Jahre alten Sudanesen. Auch dieser Abschiebekandidat stirbt "in Folge rabiater Behandlung" ( Frankfurter Rundschau) auf dem Heimtransport. Todesursache: Ersticken. In einem für den Europäischen Rat erstellten Bericht weist die Schweizer Politikerin Ruth-Gaby Vermot-Mangold auf einen Anstieg von Beschwerden über Misshandlungen bei Abschiebungen in den letzten beiden Jahren hin. 13 Todesfälle zählte sie zwischen 1991 bis 2001. Davon vier in Deutschland, jeweils zwei in Belgien, der Schweiz und Österreich. Aus Frankreich, Italien und Großbritannien wurde jeweils ein Todesfall bekannt.

Erst Tragödien wie jene des Marcus Omofuma brachten entwürdigende Abschiebepraktiken ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Vor dem österreichischen Innenministerium wurden Mahnwachen für den Verstorbenen gehalten. Doch dies war keineswegs eine Geste der Solidarität des gesamten Volkes. Die rechtspopulistische FPÖ diffamierte Omofuma noch posthum als Drogendealer, was später durch ein österreichisches Gericht untersagt wurde. (Zeit für einen Kleinen Braunen)

Noch heute, drei Jahre danach, sind sich die Fremdenpolizisten keines Fehlverhaltens bewusst. Sie plädieren auf "unschuldig". Von einem - nicht geringen - Teil der Bevölkerung können sie Verständnis erwarten. Als Menschenrechtsaktivisten zu Prozessbeginn mit einer Aktion auf menschenunwürdige Abschiebepraktiken aufmerksam machen, kommt es zu Wortgefechten mit Passanten. Ein Radioreporter fängt die Stimmen ein. "Die Polizisten haben nur ihre Pflicht getan", sagt einer. "Hätten Sie ihn vielleicht nach Österreich zurückbringen sollen?", empört sich ein anderer. Auch die Debatten in diversen Internetforen geben Einblick in die Abgründe der Volksseele. Hier ein drastisches Beispiel aus dem Forum des Österreichischen Rundfunks:

"Das kommt davon, wenn man einem Schubhäftling einen eigenen Sitzplatz zur Verfügung stellt. Hätte man diesem arbeitslosen Drogendealer in einen Holzverschlag gesperrt, und im (beheizten) Frachtraum untergebracht, wär des alles nicht passiert. Abgesehen davon wär der Flugtransport im Frachtraum als "Muster ohne Wert" a bissi billiger gewesen (kein Begleit-Personal), und leben würd' der Drogendealer auch noch. Allerdings dort wo er hingehört, nämlich Afrika." (Forenbeitrag)

Im Gerichtsaal betonen die angeklagten Fremdenpolizisten, die Praktiken des Verklebens seien "üblich" gewesen. Jeder hätte davon gewusst. Das "Set" - Bänder, Gurten, Seile, Klettverschlussfesseln, Klebebänder - wären untereinander weitergegeben worden. Damit wollten sich die Beamten vor Bissverletzungen schützen. "Ich habe doch seine Nase geprüft, er hat geatmet", verteidigt sich ein Fremdenpolizist. "So etwas mache ich doch nur, wenn ich Angst habe, dass er sterben könnte", sagt der Richter.

Als oberstes Gebot in der Fremdenpolizei galt es, eine Abschiebung "erfolgreich" durchzuführen. Gleich drei ehemalige Innenminister sind als Zeugen geladen. Allesamt Sozialdemokraten. Franz Löschnak (Minister bis 1995) sagt aus, er hätte von der Verklebepraxis in Extremfällen bereits seit Anfang der 90er-Jahre gewusst. Das wäre als "Notwehr" zu werten. Schließlich dürfe es nicht darauf hinauslaufen, dass eine Abschiebung nicht durchgeführt wird, wenn sich jemand dagegen wehrt. Abschiebung also um jeden Preis?

Die Gründe dafür, dass sich Abschiebekandidaten wehren, sind vielfältig. Sie reichen von Angst vor Verfolgung in der Heimat bis hin zu Scham darüber, mit leeren Händen zurückzukommen. Marcus Omofuma empfand seine Abschiebung als ungerechtfertigt. Nach heutiger Rechtslage wäre sie auch eindeutig unzulässig gewesen. Denn Omofuma wurde noch vor Ablauf der Frist für eine Höchstgerichtbeschwerde in seiner Asylsache abgeschoben.

Auch die Menschenrechtssprecherin der Grünen, Terezija Stoisits, wird Anfang April als Zeugin aussagen. Als Parlamentsabgeordnete hatte sie seit langem gegen diverse Abschiebepraktiken gekämpft. Aber erst nach dem Tod Omofumas hat sich einiges zum Besseren gewendet:

"Das Verkleben des Mundes wurde verboten. Zentral ist die Betreuung vor der Abschiebung, damit Konflikte begrenzt werden. Wichtig ist, dem Abzuschiebenden die Möglichkeit zu geben, mit Anwälten u.ä. zu sprechen und die Rechtslage zu erörtern, um beispielsweise sicherzugehen, dass auch alle Rechtsmittel ausgeschöpft wurden. Bei Charterflügen reist inzwischen auch immer ein polizeiunabhängiger Beobachter mit", so Stoisits im Telepolis-Gespräch.

Konsequenzen gab es auch in Deutschland nach dem Tod des Sudanesen Amir Ageeb. "Das Verkleben des Mundes war lange Zeit Praxis in Deutschland. 1999 hat das Bundesinnenministerium nach eigenen Angaben diese Methode untersagt. Stattdessen wird den abzuschiebenden Personen - wenn Widerstand erwartet wird - nun ein Helm aufgesetzt, der sie daran hindert, die Beamten zu beißen", heißt aus der deutschen Sektion von Amnesty International.

Politische Verantwortung

In einem Punkt scheint man in Österreich allerdings bereits weiter zu sein als in Deutschland. Denn wenn sich auch die angeklagten Fremdenpolizisten nicht ihrer persönlichen Verantwortung entschlagen können, so wird in Österreich immerhin lautstark die Frage nach der politischen Verantwortung gestellt. Wie viel Mitschuld tragen die Minister, die Vorgesetzten? Gegen den 1999 amtierende Innenminister Karl Schlögl (SPÖ) brachten die Grünen Anzeige ein. Auch die Medien machten Druck. Der Fall Omofuma besiegelte letztlich Schlögls Karriere.

Dahingegen werden im Frankfurter Fall offensichtlich keine Politiker vorgeladen. Im Fall Ageeb scheint der öffentliche Druck nicht allzu stark zu sein. Gründe für Kritik an Deportationen im Allgemeinen gibt es auch für Amnesty International noch hinreichend. Dazu Wolfgang Grenz von Amnesty International:

"Zunächst kritisiert Amnesty, dass immer wieder Flüchtlinge durch die Maschen des Verfahrens fallen und zu Unrecht abgeschoben werden. Wir haben die Bundesregierung aufgefordert, bei Abschiebungen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren. Besteht beim Abschiebungsversuch die Gefahr schwerer körperlicher Schäden, sollte auf die Abschiebung verzichtet werden. Es kann nicht sein, dass bei der Durchsetzung der Abschiebung schwere körperliche Schäden in Kauf genommen werden."

Die Parlamentarische Versammlung des Europarats verabschiedete am 22. Januar d.J. eine Entschließung Darin wird ein Verbot von unverhältnismäßiger Gewalt gefordert. Dazu gehört die Knebelung mit Klebeband, die Verwendung von Gift- oder Reizgas, Verabreichung von Beruhigungsmitteln gegen den Willen des Betroffenen, jede Form der Fesselung außer mit Handschellen an den Handgelenken sowie das Tragen von Masken oder Kapuzen durch begleitende Beamte.

Diese Forderungen sind einerseits löblich. Andererseits ist deren Notwendigkeit eigentlich ein Armutszeugnis für die europäischen Gesellschaft. Denn es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass gewisse Grenzen nicht überschritten werden . Welchen Sinn hätten sonst Rechtsgrundlagen wie etwa der Artikel 1 im deutschen Grundgesetz: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."