Erstaunliches Ausmaß an Inkompetenz

Foto: Marcus Hammerschmitt

Wie viele unbenutzbare Wohncontainer bekommt man für elf Millionen Euro? Ein Kommentar

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Im Sommer 2015 gewährte die Asylbürokratie in Tübingen Telepolis keinen Zugang zu einem neuen, offensichtlich gut funktionierenden Flüchtlingswohnheim. Jetzt hat sie dieses Wohnheim um ein weiteres ergänzt, in dem sich möglicherweise überhaupt nie jemand aufhalten wird.

Wer immer im Herbst 2016 an dem durchaus beeindruckenden grau-roten Komplex mit offenen Augen vorbei ging, wunderte sich, und zwar erstens über die arg gefängnisartig geratene Containerarchitektur und zweitens über den Leerstand.

Unterkünfte ohne Küche und Steckdosen

Nach einiger Zeit erreichte die Verwunderung die Presse, und es ergab sich, dass das Flüchtlingsheim nicht deswegen ungenutzt blieb, weil Deutschland und Europa die Flüchtlinge wieder im Mittelmeer ertrinken und auf dem Balkan erfrieren lässt.

Nein, Hauptgrund dafür, dass die Anlage, die 250 Flüchtlingen als Erstaufnahme-Einrichtung hätte dienen sollen, leer blieb und wahrscheinlich bleiben wird: Sie verfügt nicht über Steckdosen in den Zimmern und auch nicht über Küchenbereiche. Besonders schutzbedürftige Flüchtlinge wie Frauen, Kinder oder Behinderte, die den Großteil der Bewohner hätten stellen sollen, brauchen so etwas nämlich nicht.

Foto: Marcus Hammerschmitt

Die Stuttgarter Zeitung brachte es in einem bemerkenswerten Beispiel für gespaltene Wahrnehmung fertig, die so entstandene Lage in einem Artikel vom Januar 2017 klar zu benennen, und ihn dann mit der Schlagzeile "Eine Luxusunterkunft ohne Flüchtlinge" zu versehen. Auch wird bei der Bildunterschrift des zugehörigen Fotos erklärt, die steckdosen- und küchenlose Unterkunft sei "komplett" ausgestattet.

"Zeitdruck"

Möglicherweise bekommt die Stuttgarter Zeitung Zweifel an der Vollausstattung eines Hauses, wenn es keine Toiletten besitzt, oder wenn das fließende Wasser die Wände hinunterläuft? Aber in ihrem zweiten Artikel zum Thema vom gleichen Tag heißt es, für die "Fehlplanungen" sei vor allem der "Zeitdruck" verantwortlich.

Den Begriff "Luxusunterkunft" findet man in diesem Artikel nicht, auch wird hier von einer "Minimal-" und nicht einer "Vollausstattung" gesprochen… Interessantes aus dem Qualitätsjournalismus der baden-württembergischen Hauptstadt.

Foto: Marcus Hammerschmitt

Zurück zum Containerheim. Man soll nicht immer gleich Bösartigkeit bei Vorgängen vermuten, die mit Inkompetenz ausreichend und zutreffend erklärt sind. Aber das Ausmaß an Inkompetenz, das hier nötig war, um zu der jetzt vorliegenden Situation zu führen, ist schon erstaunlich.

Wie groß muss eigentlich das Desinteresse und die Gleichgültigkeit bei den beteiligten Architekten, Bauleitern, Handwerkern gewesen sein, dass keiner von ihnen bemerkte oder bemerken wollte, wie hier eine völlig nutzlose Wohnanlage in die Landschaft gestellt wurde? Wenn es so etwas wie bösartige Inkompetenz gibt, dann hat sie sich hier ausgetobt.

Man hätte gekonnt, wenn man gewollt hätte

Man stelle sich einmal vor, die "Luxusunterkunft" wäre tatsächlich belegt worden. Wie lange hätte es wohl gedauert, bis sich die Bewohner Verlängerungskabel, Mehrfachsteckdosen und elektrische Kochplatten besorgt hätten (vorausgesetzt es gibt überhaupt eine nutzbare Steckdose pro Wohnblock)?

Wieviel Phantasie braucht es, um sich unter solchen Zuständen gesteigerte Brandgefahr und Aggressivität, destruktive Hackordnungen und sinnlose Verteilungskämpfe vorzustellen? Und was wären wohl die Kommentare der braven Schwaben gewesen, wenn Bastelei und Trickserei wirklich zu einem Brand, wenn die besagten Hackordnungen zu Schlägereien oder schlimmerem geführt hätten? Wer von denen, die diesen Bockmist verbrochen haben, würde auch nur einen Tag in so einem Haus verbringen wollen?

Foto: Marcus Hammerschmitt

Zwei Dinge machen die Sache besonders bitter. Erstens ist da das bereits bestehende Heim nebenan, auf das die ALHO Systembau ein wenig stolz ist und das von der neuen Blamage durch einen Zaun getrennt wird. Man hätte gekonnt, wenn man gewollt hätte. Und zweitens ist da dieser Zaun.

Denn während man in der Unterkunft Steckdosen und Küchen "vergessen" hat, hat man bei allem "Zeitdruck" und bei allen "Fehlplanungen" doch nicht die y-förmigen Zaunpfähle vergessen, die so schön schnell mit NATO-Draht bestückt werden könnten, um dann den lagerartigen Charakter der Anlage zu komplettieren.

Es ist erst die Kombination von Gleichgültigkeit und Gründlichkeit, die das Bild hier perfekt macht. Sie sagt: "Es ist uns egal, wie es euch da drinnen geht, aber es ist uns wichtig, euch rechtlos, abgeschottet und isoliert halten zu können, wenn uns das so passt."

Und das ist es, was eine elf Millionen Euro teure Dummheit in einen Skandal verwandelt.