Erster Selbstmordanschlag einer Frau in Israel

Nach den menschlichen Bomben, gegen die Jerusalem jetzt mit einem Hightech-Zaun gesichert werden soll, könnten Angriffe mit Kurzstreckenstreckenraketen Israel bedrohen

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Mittlerweile ist die Identität der palästinensischen Frau bekannt geworden, die am Sonntag bei einem Anschlag in Jerusalem selbst umkam, bei dem ein Mann starb und über 100 Menschen verletzt wurden. Die Sicherheitsmaßnahmen der Israelis, die bislang auf Männer ausgerichtet waren, müssen sich nun verändern, möglicherweise auch die Fahndungsmuster nach Verdächtigen und Schläfern, wie sie in vielen Ländern praktiziert werden. Aber es droht noch Gefährlicheres für Israel: die Ablösung der Selbstmordattentäter durch Kurzstreckenraketen, wie sie angeblich von der Hamas entwickelt werden.

Noch ist sich die israelische Polizei allerdings nicht sicher, ob es sich tatsächlich um einen Selbstmordanschlag gehandelt habe. Möglicherweise wollte die Frau die Bombe auch irgendwo platzieren, die dann vorzeitig explodiert ist. Dafür spreche, dass ein Zeuge gesehen haben will, dass die Frau eine große Tasche getragen hat, in dem sich vermutlich die 10 kg Sprengstoff befanden, während Selbstmordattentäter normalerweise den Sprengstoff an ihrem Körper anbringen. Mittlerweile haben die Al-Aksa-Brigaden, der militante Arm der Fatah von Jassir Arafat, auf einem Flugblatt mitgeteilt, dass sie den Anschlag als Reaktion auf das militärische Vorgehen der israelischen Regierung ausgeführt habe. Möglicherweise aber hatte die Frau auch für eine andere Organisation wie Hamas oder Islamischer Dschihad die Tat ausgeführt, da die Al-Aksa-Brigaden eigentlich keine Selbstmordanschläge ausführen und für ihre Taten Schusswaffen vorziehen.

Die gestern von Verwandten identifizierte 28-jährige Wafa Idris kam aus dem Flüchtlingslager Al-Amari in der Nähe von Ramallah im Westjordanland. Nach Auskunft ihrer Mutter war die Attentäterin, die seit 15 Monaten als Krankenschwester für den palästinensischen Roten Halbmond gearbeitet hat, selbst offenbar kein Mitglied bei der Fatah, allerdings gehörten der Organisation drei ihrer Brüder an. Allerdings habe sie sich schon lange für Politik interessiert und sich auch schon früher an Protesten gegen Israel beteiligt. Während ihrer Arbeit als Krankenschwester sei sie einige Male auch von Gummigeschossen israelischer Soldaten getroffen worden und sehr aufgebracht gewesen, wenn sie gesehen hatte, wie Kinder bei Zusammenstößen von Schüssen verletzt oder getötet worden sind. Eine andere Verwandte sagte, dass Idris, die nicht religös gewesen sein soll, sich über Selbstmordanschläge gegen Israelis gefreut habe und eines Tages selbst einen begehen wollte. Einige Zeit vor dem Selbstmordattentat oder dem missglückten Anschlag hätte sich sehr zurückgezogen und depressiv gewirkt.

Idris gilt bei den militanten Palästinensern bereits als Märtyrerin. Ihre Mutter sagt inzwischen, sie sei auf ihre Tochter als "Märtyrerin" stolz, die eine "Heldin" geworden sei, und hoffe, dass andere Frauen ihrem Vorbild folgen werden. Saddam Hussein nutzte am Dienstag die Gelegenheit, um die Tat der Frau zu preisen, die der Welt das wirkliche Bild des Kampfes der Araber gegen die Kräfte des Bösen gegeben habe, wie Iraq Daily berichtete: "Der Wert der Selbstmordaktion, die von der palästinensischen Mudschahida in den besetzten Gebieten ausgeführt wurde, besteht darin, dass sie der arabischen Gemeinschaft zeigt, welche Ungerechtigkeit für Araber im Allgemeinen und für Palästinenser im Besondern besteht, die Frauen zu Selbstmordanschlägen treibt." Hussein kündigte an, dass man ihr ein Denkmal in der Hauptstadt errichten werde.

War es tatsächlich ein Selbstmordanschlag, so wäre dies zumindest für die seit 2000 geführte Intifida ein Novum, auch wenn Frauen durchaus an der Ausführung von Anschlägen beteiligt waren und es zuvor auch bereits Selbstmordattentäterinnen bei der Hisbollah im Libanon gegeben hatte. Allerdings wäre es der erste Selbstmordanschlag, der in Israel von einer Frau begangen worden ist. Hamas hat angeblich aus religiösen Gründen Selbstmordanschläge von Frauen verboten und wollte überdies, wie auf einem Flugblatt verkündet wurde, die Angriffe am Wochenende wieder einstellen, die als Reaktion auf die Tötung von Karmi durch die Israelis erfolgten.

Israelische Sicherheitskräfte erklärten, wie die Jerusalem Post berichtete, dass eine Rekrutierung von Frauen für Selbstmordanschläge eine Umorientierung der Sicherheitsvorkehrungen mit sich bringen müsse. Bislang sind palästinensische Frauen weniger genau vom Militär und der Polizei an den Straßensperren kontrolliert worden, da vor allem junge Männer als Sicherheitsrisiko galten. Auch in der übrigen Welt ist man bei Kontrollen oder wie in Deutschland bei der Rasterfahndung stets davon ausgegangen, dass nur von männlichen Muslimen ein Risiko ausgeht (Rasterfahndung in Deutschland).

Als Reaktion will die israelische Regierung Jerusalem samt einigen palästinensischen Dörfern so schnell wie möglich mit Zäunen, Straßensperren und Überwachungsanlagen sowie mehr Sicherheitskräften abschließen von der Umgebung. Mit diesem Plan, der schon länger zur Diskussion steht, verfolge man nicht, wie der für Öffentliche Sicherheit zuständige Minister Uzi Landau sagte, eine Mauer um Jerusalem zu errichten oder diese aufzuteilen. Das könnte später auch gegen Israels Absicht ausgelegt werden, Jerusalem weiterhin ganz unter seiner Herrschaft zu behalten. Daher soll die neue Absperrung um ganz Jerusalem sowie um einige Siedlungen führen, die bislang noch zur Palästinensischen Selbstverwaltung gehören, so dass unter dem Mantel der Sicherheit ein Schritt auf ein Großjerusalem gemacht wird. Man wolle "auf der einen Seite die arabischen Bewohner der Westbank durch Verteidigungsmaßnahmen isolieren und auf der anderen Seite den Kampf gegen die Terroristen auf der anderen Seite der Absperrungen fortsetzen". Geplant ist eine 11 Kilometer lange Absperrung zwischen den arabischen und israelischen Teilen Jerusalems, bei der auch Wärmesensoren und Nachtsichtkameras eingesetzt werden sollen. Insgesamt wird die "israelische Mauer" über 50 Kilometer lang sein. Die Hightech-Zäune wird Israel, wie unlängst beschlossen, auch nach Indien liefern. Die indische Regierung will damit die Grenze in Kaschmir sichern (Aufrüstung im Kampf gegen den Terrorismus).

Ob die Ausweitung solcher Abriegelungen durch Zäune und Straßensperren allerdings langfristig für Sicherheit sorgen wird, ist fraglich. Während dieser Intifada haben bereits mehr als 30 Selbstmordanschläge stattgefunden, doch möglicherweise droht jetzt noch eine andere Gefahr. Gestern sagte Außenminister Shimon Peres in der Kneset, dass die Hisbollah etwa 10.000 Raketen mit einer Reichweite zwischen 20 und 70 Kilometer besitzen würden. Damit könnten sie, ohne eigene Leute zu gefährden, Ziele überall in Israel treffen, würden allerdings auch riskieren, die Schwelle zu einem Krieg zu überschreiten. Peres behauptete, die Raketen würden aus dem Iran stammen, das für Israel und zunehmend auch für die USA als Land gilt, das neben dem Irak und Nordkorea zur "Achse des Bösen" gehört, Terroristen unterstützt und Massenvernichtungswaffen entwickelt (Zehntausende über die Welt verstreute tickende Zeitbomben). Daher muss man solchen Behauptungen durchaus mit Skepsis begegnen.

In einem CBS-Interview mit Moussa Abu Marsouk, einem führenden Mitglied der Hamas, räumte dieser am Sonntag ein, dass seine Organisation Raketen entwickle, die 10 Kilometer weit fliegen können, so dass damit von der Westbank aus Ziele in Jerusalem angegriffen werden könnten. "Mit diesen Raketen wollen wir gegen die Besetzung Widerstand leisten. Israelis fahren mit ihren Panzern in Häuser, um diese zu zerstören und Menschen zu töten ... Sind Waffen nur Israel erlaubt, aber nicht den Palästinensern?" Marsouk meinte auch, dass Hamas von Arafat keine Gefahr mehr drohe, weil die Organisation zu stark geworden sei.

Mit al-Qaida wolte Marsouk die Hamas aber nicht in Verbindung bringen und verurteilte denn auch die Anschläge vom 11.9. Man gehöre nicht dem internationalen Terrorismus an und habe lediglich das Ziel, die israelische Besatzungsmacht zu bekämpfen, weswegen Hamas seine "geografische Rolle" auf Palästina beschränkt habe und eine "Widerstandsbewegung" sei. Präsident Bush hatte in seiner Rede neben einer Terrorgruppe aus Kaschmir explizit nur Hamas neben dem Heiligen Dschihad und Hisbollah als Terrororganisationen bezeichnet, die bekämpft werden müssen. Auch auf der europäischen Liste der Terrororgansiationen befinden sich Hamas und der Dschihad (Die europäische Liste der Terroristen).

In dieser Woche findet erneut eine Sitzung der UN-Vollversammlung statt, bei der es um eine gemeinsame Definition des Terrorismus geht. Umstritten ist, ob es, wie die islamischen Länder fordern, eine Unterscheidung geben soll zwischen Terroristen und legitimen Kämpfen um die Befreiung eines Landes von einer Besatzungsmacht. Diesen Standpunkt machte auch die Schlusserklärung des Rats der arabischen Innenminister deutlich, die gestern veröffentlicht wurde. Die Innenminister verurteilten den Terrorismus, der weltweit zunehme, aber man müssen auch die Ursachen verstehen, die zu seiner Ausbreitung führen. Unterscheiden müsse man weiter zwischen dem Terrorismus und "dem Recht der Menschen, alle Mittel nach den Prinzipien, Abkommen und Beschlüssen der UN einzusetzen, um ihr Land zu befreien". Sie verurteilten auch "den Terrorismus aufs Schärfste, den Israel gegenüber dem palästinensischen Volk ausübt."