Erster deutscher Politiker fliegt Anfang April 2002 zur ISS

ESA stellte gestern überraschend den ersten Polit-Astronauten vor - Verblüffung pur: Es ist Jürgen Möllemann

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Auf der gestrigen Pressekonferenz im Kölner Astronautenzentrum überraschte die ESA alle Anwesenden mit einer sensationellen Nachricht. Voraussichtlich in genau einem Jahr wird der erste deutsche Politiker mit der Space Shuttle STS 111-Mission zur Internationalen Raumstation Alpha (ISS) fliegen und dort für 10 Tage ein kurzes, dafür wohl aber spektakuläres Gastspiel geben. Kein Wahlkampfmanöver, kein PR-Gag - ein Kandidat steht auch schon fest: der streitbare NRW-Landesvorsitzende der FDP Jürgen Möllemann soll es sein.

"Am ersten Tag deutete jeder von uns auf sein Land. Am dritten oder vierten Tag zeigte jeder auf seinen Kontinent. Ab dem fünften Tag gab es für uns nur noch eine Erde". Wohl selten hat es ein Raumfahrer so genau auf den Punkt gebracht wie der Shuttle-Astronaut Sultan Bin Salman. Raumfahrt vermag den Blickwinkel zu verändern, einen Bewusstseinwandel einzuleiten und völlig neue Horizonte zu eröffnen. Wer eine Zeitlang in der Schwerelosigkeit geschwebt und die Zerbrechlichkeit unseres blauen Planeten bewusst miterlebt hat, kehrt in der Regel verändert zurück und sieht die Welt fortan mit anderen Augen.

Wohl deshalb fordern etliche Raumfahrer schon seit geraumer Zeit, künftig verstärkt Politiker ins All zu schießen, damit diese im wahrsten Sinne des Wortes die "Grenzenlosigkeit" unseres Planeten einmal in natura erleben. "Vielleicht begreifen diese dann endlich, dass es nur eine Erde gibt, dass es überhaupt keinen Sinn macht, über Grenzen zu streiten. Man muss es einfach mit eigenen Augen gesehen haben", gibt Dr. Ulrich Walter zu bedenken, der mit der D2-Shuttle-Mission 1993 im All war. Aber auch die bekannten deutschen Raumfahrer Dr. Reinhold Ewald, Dr. Ulf Merbold und Thomas Reiter begrüßen die Idee, einmal einen Politiker in den Orbit zu senden, damit diese den Overview-Effekt er- und durchleben und dabei lernen, in Zukunft weitreichende Entscheidungen unter globaleren Gesichtspunkten zu treffen.

Politicians go for Space (PfS)

Derweil sieht es danach aus, als wäre dieser Wunsch auf offene Ohren gestoßen. Wie gestern während einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz im Kölner Astronautenzentrum die ESA eröffnete, trägt die seit knapp einem Jahr existierende, bislang jedoch nur intern bekannte Initiative "Politicians go for Space" (PfS) bereits erste Früchte. Die von den europäischen Astronauten initiierte Aktion, die Prof. Dr. Ernst Messerschmid ("Menschliche Exploration ist eine Art genetischer Imperativ") als Leiter des Astronautenzentrums koordiniert, verfolgt das Ziel, Politiker nicht nur ideell und materiell für die Raumfahrt zu gewinnen, sondern auch jene, die ernsthaft Interesse an einem Shuttle Mitflug mitsamt ISS-Aufenthalt signalisieren, zumindest theoretisch die Chance zu eröffnen, an einem Auswahlverfahren und anschließendem Trainingsprogramm teilzunehmen, mit dem die körperlichen Voraussetzungen getestet werden.

Womit zuvor keiner ernsthaft gerechnet hat, scheint jetzt offenbar eingetroffen zu sein. Der NRW-Landeschef der FDP, Jürgen Möllemann, das politische Stehaufmännchen, das immer schon nach "oben" wollte und sich selbst noch vor kurzem als Kanzlerkandidat in die Diskussion gebracht hat, hat alle Hürden genommen; er wurde von der ESA vor wenigen Tagen als weltraumtauglich eingestuft.

Nach Auskunft der ESA stehe man mit Jürgen Möllemann schon seit einem dreiviertel Jahr in intensivem Kontakt. Letzte Woche habe dieser den letzten Test erfolgreich bestanden. Damit sei das Auswahlverfahren beendet. "Von den 586 Politikern, die angeschrieben wurden, antworteten nur 85. Alle Interessenten - hierunter war übrigens keine Frau - wurden nach Köln zu einem intensiven Vorgespräch und zu medizinischen Untersuchungen eingeladen", erklärte ein Pressesprecher des DLR. Insgesamt seien 38 Personen der Einladung gefolgt. 12 davon seien kurz darauf aus diversen Gründen wieder freiwillig abgesprungen. Zu guter Letzt blieben nur noch vier Kandidaten übrig. "Natürlich wurde das Ganze diskret abgewickelt. Ansonsten hätte uns die Presse die Türen eingerannt", gestand ein Pressesprecher. Darüber hinaus wurde die Presse deshalb nicht in die Pläne eingeweiht, weil ansonsten die Briefaktion höchst turbulent und weniger erfolgreich abgelaufen wäre. Außerdem galt es, Rücksicht auf die politische Arbeit des FDP-Chefs von Nordrhein-Westfalen zu nehmen.

Jetzt, nachdem man mit der Nasa einen Kooperationsplan abgeschlossen habe, sei ein Fehler wie im Fall des Weltraumtouristen Dennis Tito ausgeschlossen. "Ich bin mir da sehr einig mit dem Nasa-Chef Dan Goldin, dass wir kooperieren, auch arbeitsteilig Dinge angehen", erklärte Prof. Dr. Walther Kröll, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (www.dlr.de).

Möllemann für 10 Tage im All

Tatsächlich wurde Anfang März in Houston eine vertragliche Regelung getroffen, die vorsieht, dass ein deutscher Politiker im April nächsten Jahres vom Kennedy Space Center in Florida zusammen mit der Shuttle-Fähre Challenger (STS 111 Mission) ins All startet und für 10 Tage auf der Internationalen Raumstation gastiert. Realisierbar ist der Kurzbesuch aber nur deswegen, weil bereits zehn Tage später die nächste Raumfähre mit Proviant und technischem Equipment an Alpha andockt, um den Politiker wieder aufzupicken.

Dass zuerst ein deutscher Politiker stellvertretend für die ESA in den Weltraum starte, hänge mit dem Standort zusammen, hieß es. Das ESA-Astronautenzentrum läge nun einmal in Deutschland und deshalb werde einem deutschen Politiker der Vortritt gewährt. Das nächste Mal werde dann ein englischer oder italienischer Kollege an der Reihe sein.

Dass die Wahl auf Jürgen Möllemann fiel, kommt nach Ansicht des leitenden DLR-Weltraummediziners Dr. Werner Kalauer nicht von ungefähr: "Jürgen Möllemann bringt von allen Kandidaten die besten Voraussetzungen mit. In seiner Jugend war er Hobby-Boxer und hat dabei gelernt, schwierige Situationen zu meistern. Vor allem aber die Tatsache, dass er als aktiver Fallschirmspringer nicht nur schwindelfrei, sondern auch körperlich belastbar ist, prädestinierte ihn für diese Aufgabe", so Kalauers Fazit. Hinzu komme, dass Möllemann mit seinen 56 Jahren im Vergleich zu seinem amerikanischen "Kollegen" John Glenn um einige Jahre jünger sei.

Raumfahrt ist für den Allroundpolitiker übrigens ein alter Hut: Erste konkrete Erfahrungen mit ihr sammelte Möllemann schon von 1987-1991 als Bundesminister für Bildung und Wissenschaft. Seinerzeit besuchte er mehrfach verschiedene Einrichtungen der ESA und des DLR. Und in seiner Funktion als Vorsitzender des Ausschusses im Bundestag für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (1998-2000) musste er sich häufig mit weltraumpolitischen Fragen auseinandersetzen

Der erste russische Politiker im Weltraum war der ehemalige Präsidentenberater Juri Baturin, der mit der Sojus TM-28 am 13.08.1998 in den Orbit Richtung Mir startete; zuvor umkreisten aber schon einige, wenngleich auch nur eine Handvoll Politiker die Erde. Trotzdem wäre Möllemann der erste Europäer (zumindest Westeuropäer) im All.

Speziell gekürztes Trainingsprogramm

Um den Weg für den bisweilen exaltierten Politiker ins All zu ebnen, dessen Terminkalender sich nur selten überlisten lässt, hat die ESA ein spezielles Trainingsprogramm entwickelt. Danach ist vorgesehen, dass die beiden Aspiranten - neben Möllemann fungiert ein weiterer Politiker als Ersatzmann, der keine namentliche Erwähnung wünscht - während ihres Urlaubs je zweimal ein einwöchiges Training in Köln absolvieren. Dann folgt monatlich eine Trainingseinheit, die jeweils am Wochenende stattfindet. Eine Woche vor dem Start erfolgt nochmals eine intensive Übungsstaffel. "Auch Politikern können wir nicht ersparen, sich für eine solch eine teure Reise einem intensiven Trainingsprogramm auszusetzen", verdeutlicht Ulf Merbold.

Im Gegensatz zum regulären Astronautentrainingsprogramm sieht sich Möllemann einer stark abgespeckten Leicht-Version gegenüber, was auch damit zusammenhängt, dass Möllemanns Arbeitsfeld auf der Raumstation Alpha in erster Linie auf kleinere medizinische Selbstexperimente und wissenschaftliche Tests beschränkt sein wird. Primär soll der Ex-Wirtschafsminister die Zeit nutzen, um einen ökonomisch-ökologischen Blick auf die Erde zu werfen und für TV-Interviews zur Verfügung zu stehen. Vorgesehen sind mehrere Exklusivübertragungen des Multimediaunternehmen DREAMTIME, das mit der NASA kooperiert. Angedacht wurde auch eine Live-Schaltung in den Bundestag.

Da aufgrund der Aktualität der Ereignisse - die Meldung wird erst am Montag über die Agenturen tickern - noch keine Stellungnahmen anderer Politiker vorliegen und weil sich auch selbst Jürgen Möllemann zu dem Vorhaben, das, wenn es wirklich wenige Monate vor der Bundestagswahl tatsächlich stattfände, noch nicht geäußert hat, dürften die zu erwartenden Reaktionen seiner politischen Widersacher heftigster Natur sein. Vielleicht ist es aber kein Zufall, dass ausgerechnet Jürgen Möllemann der erste deutsche, ja europäische Polit-Astronaut sein wird, der zur ISS fliegt. Schließlich ist wie kein anderer in diesem Geschäft stets für ungewöhnliche Ideen und überraschende Vorschläge zu haben.

Wie immer man auch über den Vollblutpolitiker denken mag, dessen Beliebtheitsgrad meist sinuskurvenartig verläuft - einen Vorteil wirft er dennoch in die Waagschale. Da in der Raumfahrt jedes in den Orbit geschossene Kilogramm sage und schreibe 20.000 Dollar kostet, ist der schlanke FDP-Politiker gegenüber seinen wohlbeleibten Kollegen gewiss die "billigere" Lösung. Dagegen wäre Dr. Helmut Kohl sicherlich die weitaus teuere gewesen.