Erzwungene Verhandlungen zwischen Spanien und Katalonien beginnen

Katalonisches Parlament. Bild: Parlament de Catalunya

Die Positionen liegen weit auseinander und schon im Vorfeld gab es Querelen, die schnell zum Abbruch der Verhandlungen führen könnten

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Am heutigen Mittwochnachmittag beginnen im spanischen Regierungspalast "Moncloa" die Verhandlungen zwischen Spanien und Katalonien. Dazu ist der spanische Regierungschef Pedro Sánchez gezwungen, da der Sozialdemokrat ohne die Zusicherung an die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) im Januar keine Koalitionsregierung mit der Linkskoalition "Unidas Podemos" (Gemeinsam können wir es) hätte bilden können. "Gibt es keine Verhandlungen, gibt es keine Legislatur", hatte der ERC-Sprecher Gabriel Rufián deutlich erklärt.

Nach einem Treffen zwischen Sánchez und dem katalanischen Regierungschef Quim Torra in Barcelona Anfang dieses Monats hatte Sánchez die Aufnahme der Gespräche zwischen beiden Regierungen noch für den Februar angekündigt. Denn eigentlich hätten sie sogar längst beginnen müssen, denn PSOE und ERC hatten vereinbart, dass sie 15 Tage nach der Vereidigung der Minister beginnen müssen. Doch Streit gab es schon um den Termin, da Sánchez Torra und seine Delegation eigentlich am vergangenen Montag einseitig nach Madrid bestellt hatte, ohne den Termin abzusprechen. Torra erklärte, der Montag sei für ihn unmöglich und machte ihm sogar fünf Alternativvorschläge.

Letztlich musste Sánchez einlenken. Warum er so ungeschickt vorging und ob er Macht demonstrieren wollte, ist unklar. Denn real hatte er nichts in der Hand, um seinen Termin durchzusetzen. Letztlich wählte er den heutigen Mittwoch, da am späten Dienstag darüber abgestimmt wurde, ob eine wichtige Gesetzesänderung im Parlament behandelt werden kann. Sánchez war erneut auf die ERC-Stimmen für ein Gesetz angewiesen, das für die Regierung von zentralem Interesse ist.

Hätte kein Termin für den Verhandlungsbeginn gestanden, wäre es schwer für die ERC geworden, Sánchez erneut zu unterstützen. Wie Telepolis aus der ERC-Führung erfahren konnte, ist man dort inzwischen auch zerstritten über den Umgang mit Sánchez. Und dessen Regierung muss das Gesetz zur Ausgabengrenze für den bald zu beschließenden Haushalt ändern. Sonst kann die rechte Mehrheit im Senat (Oberhaus) ihn weiterhin blockieren. Sánchez braucht seinen Haushalt, um die Politik seiner Koalition umsetzen zu können. Die ERC hat sich auch nicht festgelegt, ob sie der Ausgabenobergrenze zustimmt, der erste Schritt für einen neuen Haushalt. Sie will die Ergebnisse am Verhandlungstisch abwarten, wie auch die ERC-Sprecherin im Telepolis-Gespräch angekündigt habe. Unterstützung bekommt Sánchez nur bei Fortschritten.

Ein großes Hindernis wurde zunächst vertagt, damit die Verhandlungen nicht sofort scheitern. Doch die Frage des "Relators" könnte die Gespräche der jeweils achtköpfigen Delegation schon vor der zweiten Verhandlungsrunde wieder sprengen. Denn die Anwesenheit eines unabhängigen Zeugen ist für Gemeinsam für Katalonien (JxCat) "unabdinglich". Die Formation von Exil-Präsident Carles Puigdemont hätte gerne einen internationalen Vermittler. Der soll gemachte Vereinbarungen bezeugen könnten. Allerdings zeigt sich JxCat in dieser Frage kompromissbereit. "Wenn sie keinen Vermittler wollen, müssen die spanische Regierung und die ERC uns andere Garantien bieten", erklärte die frühere JxCat-Sprecherin, die an den Verhandlungen teilnehmen wird.

Eigentlich hatte auch die ERC nach ihren Erfahrungen mit nicht eingelösten Versprechungen der Sozialdemokraten auf einen Zeugen gedrängt. Denn auch die ERC fühlte sich nach eigenen Angaben über den Tisch gezogen, nachdem sie Sánchez per Misstrauensantrag im Juni 2018 an die Macht gebracht hatte. Von der einstigen Selbstkritik ist offiziell nichts mehr zu hören, aber intern wird heftig darüber gestritten, dass die Führung unter Pere Aragonès den Relator nun nicht mehr für "unerlässlich" hält. Torra kann allerdings darauf verweisen, dass es dafür einen Parlamentsbeschluss gibt, für den auch die ERC gestimmt hat.

Streit über die Besetzung der katalanischen Delegation

Um die Verhandlungen nicht schon vor ihrem Beginn scheitern zu lassen, hat Torra auf den Vermittler in der ersten Verhandlungsrunde verzichtet. Aber das ist der große Stolperstein für den weiteren Fortgang. Schlucken musste die Regierung Sánchez unter Protest, dass in der katalanischen Delegation für die Regierungsgespräche nicht nur Regierungsmitglieder vertreten sind. Da findet sich zum Beispiel die ERC-Sprecherin Marta Vilalta, die schon den Deal PSOE-ERC für die Regierungsbildung mit eingerührt hatte.

Deutlich stärker stört man sich in Madrid aber daran, dass Josep Maria Jové mit am Tisch sitzen wird. Der ERC-Gemeinderat in Barcelona wird als ein Architekt des Unabhängigkeitsreferendums vom 1. Oktober 2017 gesehen, das trotz des Verbots und Gewalt spanischer Sicherheitskräfte von der Zivilgesellschaft durchgesetzt worden war.

Für JxCat sitzen vor allem Vertraute von Exilpräsident Puigdemont mit am Tisch, wie Elsa Artadi. Sie schält sich nun immer stärker als mögliche Nachfolgerin von Torra heraus, der Neuwahlen ansetzen will, sobald der katalanische Haushalt steht. Zuvor ist die Regierungskoalition mit der ERC zerbrochen, da die ihn gegen die spanische Repression nicht verteidigt hat. Spanien will ihn über eine Lappalie des Amts entheben, worüber der Oberste Gerichtshof demnächst entscheiden muss. Nach Willen der ERC und JxCat hätten auch der inhaftierte ERC-Chef Oriol Junqueras genauso an den Verhandlungen teilnehmen sollen, wie die ERC-Generalsekretärin Marta Rovira, die sich im Schweizer Exil befindet. Gefordert wurde auch, dass Puigdemont und der JxCat-Gefangene Jordi Sànchez beteiligt sein sollten. Auch diese Forderung wurde nur vertagt und könnte bald eskalieren. Schließlich genießt Puigdemont nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) als Europaparlamentarier Immunität und wird am Samstag im französisch-katalanischen Perpignan einer Großveranstaltung vorstehen. Das gilt auch für Junqueras, an dessen Inhaftierung Spanien gegen das EuGH-Urteil aber festhält.

Inhaltlich ist vom ersten Treffen wenig zu erwarten. Für die 44 Punkte, die Sánchez für den Dialog zuvor Torra in einer "Agenda zur Wiederbegegnung" überreicht hatte, gibt es nicht nur nach Torras Ansicht andere Gremien, wie die bilaterale Kommission. Denn es handelt sich um Veränderungen im Autonomiestatut und um Finanzierungsfragen. Aber darüber wird klar, auf was Sánchez hinaus will: ein neues Autonomiestatut. Die Katalanen wollen aber über ihr Selbstbestimmungsrecht und die Ausübung über ein vereinbartes Referendum nach Vorbild Schottlands, ein Ende Repression und eine Amnestie sprechen. Das alles lehnt die spanische Regierung ab. Allerdings ist er in der Zwickmühle. Gibt es in den Fragen keine Fortschritte, bleibt der ERC-Chef trotz EuGH-Urteils im Knast, werden weiter absurde Verfahren für erfundene Straftatbestände geführt, dann wird Sánchez keinen Haushalt bekommen und muss alsbald die fünften Wahlen in vier Jahren ansetzen.