"Es geht darum, die autoritäre Zensur für Stimmen für Palästina in Deutschland offenzulegen"
Johannes Fehr von der Partei Mera25 zum Einreiseverbot für Yanis Varoufakis, Grundrechten und zur deutschen Nahost-Politik. Ein Telepolis-Podcast.
In der Europäischen Union herrscht Reisefreiheit. Jeder kann frei und ungehindert reisen, wohin er oder sie will. Allerdings können die zuständigen Behörden der einzelnen Länder Einreiseverbote aussprechen. Und zwar dann, wenn von den Betroffenen eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu befürchten ist.
In Deutschland galten Ende vorigen Jahres solche Verbote für knapp 9.000 Bürgerinnen und Bürger anderer EU-Staaten.
Nun sorgt gerade ein Fall für Schlagzeilen, der einen prominenten Politiker betrifft, nämlich den früheren griechischen Finanzminister und Mitbegründer der paneuropäischen Bewegung "Demokratie für Europa" DiEM25, Yanis Varoufakis.
Das Einreiseverbot für Yanis Varoufakis
Er wollte im April an einem Palästina-Kongress in Berlin teilnehmen, konnte seine Videobotschaft allerdings erst übermitteln, als der Kongress bereits verboten und von der Polizei aufgelöst worden war. Begründung: Es habe antisemitische und gewaltverherrlichende Äußerungen gegeben.
Mitveranstalter dieses Kongresses war Mera25, der deutsche Ableger von DiEM25. Dietmar Ringel hat im Telepolis-Podcast mit Johannes Fehr gesprochen. Er ist Vizevorsitzender von Mera25 und Kandidat für die Wahl zum Europaparlament am 9. Juni.
▶ Zunächst mal, gibt es denn für Ihre Partei noch ein juristisches Nachspiel zum verbotenen Palästina-Kongress?
Johannes Fehr: Für unsere Partei nicht. Aber wir sind jetzt vor Gericht gegangen, um die Sache mit dem Einreiseverbot beziehungsweise den Einreiseverboten generell mal aufzurollen und überhaupt eine Auskunft zu bekommen, wer, warum, wann das überhaupt erlassen hat. Das ist nämlich bisher nicht klar.
▶ Was genau ist denn mittlerweile klar? Also es muss jemanden gegeben haben, der bei Yanis Varoufakis angerufen oder ihm ein Schreiben zugestellt hat. Etwas muss doch übermittelt worden sein.
Johannes Fehr: Das Verrückte ist, es gab auch gegen zwei andere Sprecher bei dem Palästina-Kongress, Ghassan Abu-Sittah und noch einen weiteren, diese Verbote. Und keiner, auch nicht Yanis Varoufakis, wurde darüber persönlich informiert.
Es gab am Tag nach dem Verbot des Kongresses eine Protestdemonstration. Und auf dieser Demo teilte die Polizei unter Berufung auf das Bundesinnenministerium mündlich mit, dass drei Menschen auf der Demo nicht reden dürften. Sollte das doch passieren, würde die Demonstration sofort gestoppt, denn gegen die drei Personen gebe es ein politisches Betätigungsverbot – darunter auch für Yanis Varoufakis.
▶ Noch einmal zur Klarstellung, was das Einreiseverbot für Varoufakis angeht: Er ist doch nicht nach Berlin gereist. Also hat ihn diese Botschaft vor einer geplanten Einreise erreicht, oder wollte er ohnehin nur per Video zum Kongress zugeschaltet werden?
Johannes Fehr: Genau, es war ohnehin geplant, dass er per Video spricht. Aber die deutschen Behörden haben anscheinend laut der Berliner Polizei, laut der Aussage des Polizisten auf der Demonstration, ein politisches Betätigungsverbot erlassen und ihn darüber nie informiert.
Später kam dann raus, und das ist das Einzige, was bis jetzt von der Bundespolizei in einem Schreiben an den Anwalt von Yanis Varoufakis zugegeben wurde, dass es für ihn ein Einreiseverbot nach Deutschland gab, gültig vom 10. bis zum 14. April.
Wie gesagt, das ist das Einzige, was bis jetzt zugegeben wurde. Allerdings bisher nicht genau, wer, wann und warum das überhaupt ausgestellt hat. Man sollte natürlich eigentlich erwarten, wenn so etwas vorliegt, dass die Person darüber informiert wird, und das wurde sie definitiv nicht.
▶ Was wäre denn passiert, wenn Yanis Varoufakis eingereist wäre?
Johannes Fehr: Wahrscheinlich wäre ihm dasselbe passiert wie dem Rektor der Universität von Glasgow, Ghassan Abu-Sittah. Das ist ein Arzt, der auch in Gaza selbst Zeuge war von den Vorgängen dort, von dem Genozid, der da gerade stattfindet und darüber berichten wollte.
Der wurde am Berliner Flughafen von der Polizei gestoppt, weil er persönlich vor dem Palästina-Kongress sprechen wollte. Er wurde mehrere Stunden verhört, und dann wurde ihm die Einreise verweigert. Etwas Ähnliches wäre wahrscheinlich auch Janis Varoufakis am Flughafen in Berlin passiert.
▶ Sie sagen, eine Begründung hat es bisher nicht gegeben. Aber es gibt den allgemeinen Vorwurf des Antisemitismus und von gewaltverherrlichenden Äußerungen auf dem Palästina-Kongress. Kann man unterstellen, dass das auch Varoufakis vorgeworfen wird?
Johannes Fehr: Das kann man wahrscheinlich so feststellen. Das Einzige, was das Bundesinnenministerium auch durch die Pressesprecherin nach dem Kongress oder dem Verbot des Kongresses gesagt hat, ist, dass es dort islamistische Propaganda gegeben habe. Es gibt aber keinerlei Belege für diesen Vorwurf.
Es waren viele Medienvertreter auch vor Ort beim Palästina-Kongress, bis er abgebrochen wurde. Es gibt einen Livestream von diesem Kongress, den man sich übrigens auf dem DiEM25 YouTube-Kanal auch anschauen kann. Und da gibt es keinerlei antisemitische Aussagen.
Das ist alles einfach aus der Luft gegriffen. Und vor Ort wurden sogar jüdische Aktivistinnen, die mit der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nah-Ost Mitveranstalterinnen dieses Kongresses waren, verhaftet.
▶ Sind die denn wieder auf freiem Fuß?
Johannes Fehr: Ja, die sind wieder auf freiem Fuß. Allerdings glaube ich nicht, dass das Konto der jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nah-Ost, die ja zuerst die Tickets für den Palästina-Kongress über ihr Konto verkauft haben, dass deren Konto wieder funktioniert. Es war von der Berliner Sparkasse gesperrt worden und ist es, glaube ich, immer noch.
▶ Aber es gibt jetzt keine juristischen Maßnahmen mehr mit konkreten Vorwürfen antisemitischer Aussagen …
Johannes Fehr: Es gibt nur diesen pauschalen Vorwurf, den es im Vorfeld des Kongresses gab, von den Springer-Medien und der breiten Öffentlichkeit im Prinzip auch, wenn man darunter die öffentlich-rechtlichen Medien einschließen will.
Wie gesagt, weiterhin ohne jegliche konkrete Belege, was da eigentlich an Antisemitismus, der immer vorgeworfen wird, vorgefallen sein soll. Auf dieser fadenscheinigen Nichtgrundlage wurden die Verbote erlassen. Und genau dagegen, gegen die Abschaffung des Rechtsstaates, versuchen wir uns jetzt zu wehren.
▶ Vielleicht noch mal konkreter: Was genau haben sie vor? Was hat Yanis Varoufakis vor? Also vor welchem Gericht möchte er Klage einreichen, und was genau ist sein Vorwurf?
Johannes Fehr: Die Klage wurde beim Verwaltungsgericht Potsdam eingereicht, und die Beschuldigten sind die Bundesrepublik Deutschland, einmal vertreten durch das Innenministerium und einmal vertreten durch das Bundespolizeipräsidium. Es geht darum, dass diese Fahndungsausschreibung nach Ansicht der Anwälte von Yanis Varoufakis rechtswidrig ist.
Also dagegen wird geklagt, und es wird natürlich überhaupt erst mal Akteneinsicht verlangt. Es wurde bisher nicht genau zugegeben und offengelegt, wer, wann und warum dieses Einreiseverbot oder die Einreiseverweigerung und damit verbunden eine Fahndungsausschreibung initiiert hat. Und da besteht auch Wiederholungsgefahr, nicht nur für Yanis Varoufakis.
Es geht hier auch um Grundrechte für alle Menschen, die sich gerade zum Beispiel für die Rechte der PalästinenserInnen einsetzen wollen. Davon sind viele jüdische AktivistInnen in Deutschland betroffen, vor allem aber natürlich PalästinenserInnen, die unter diesen Einschränkungen der Grundrechte im Prinzip seit Oktober in massiver Form leiden.
Und natürlich geht es auch um ein Rehabilitationsinteresse. Das heißt, Yanis Varoufakis werden hier sozusagen Antisemitismus und islamischer Fundamentalismus oder etwas solche Dinge vage vorgeworfen, die nicht stimmen.
Und genau das wollen wir natürlich auch dann klarstellen. Aber grundsätzlich geht es, um es noch mal kurz zusammenzufassen, einfach darum, diese autoritäre Zensur, die halt besteht, für Stimmen für Palästina in Deutschland, die offenzulegen und auch zu bekämpfen.
▶ Welche Reaktionen nehmen Sie denn wahr auf diesen Fall? Gibt es Solidarität von Politikern anderer Parteien? Gibt es Reaktionen dahin gehend, dass man sagt, es ist richtig verfahren worden mit Varoufakis? Wie nehmen Sie das wahr?
Johannes Fehr: Also, wir nennen sie jetzt das extreme Zentrum, also die Leute, die in Deutschland im Moment die Regierung führen, namentlich vorwiegend auch Frau Faeser als Innenministerin. Sie selbst hat auch persönlich diese Vorwürfe des Fundamentalismus, des Islamismus, des Antisemitismus verbreitet hat.
Von dort aus wird natürlich das Vorgehen gerechtfertigt und voll unterstützt. Sie und auch die restliche Regierung steht voll hinter dieser autoritären Politik. Leider muss man auch sagen, dass aus der Linken in Deutschland kaum Reaktionen gekommen sind, kaum Solidarität.
Es gab vereinzelt Äußerungen von Bundestagsabgeordneten der Linken oder vom BSW zum Beispiel, aber wirklich große offizielle Stellungnahmen gab es nicht, und das ist natürlich auch ziemlich enttäuschend. Wo sehr viel Unterstützung kommt, ist vorwiegend international aus der politischen Linken und aus linken Medien.
Democracy Now in den USA zum Beispiel hat den Ausschnitt aus dem Video vom Palästina-Kongress gezeigt, den man auch auf unserem Youtube-Kanal sehen kann, als die Polizei hereingestürmt ist und den Kongress gestoppt und abgebrochen hat. Und Yanis, aber auch die anderen beiden Redner, denen Verbote erteilt wurden, haben viel Unterstützung erfahren.
Und natürlich gibt es auch sehr viel Unterstützung von den Menschen in Deutschland. Wir haben viele neue Mitglieder und sehr viel mehr Aufmerksamkeit deswegen. Die Leute haben natürlich auch ein Interesse daran, sich zu wehren und ihre Grundrechtseinschränkungen nicht einfach so hinzunehmen.
▶ Gerade ist ein Protestcamp an der Freien Universität Berlin von der Polizei aufgelöst worden, mit einer ähnlichen Begründung wie beim erwähnten Palästina-Kongress.
Und da haben sich mittlerweile mehr als 1000 teils sehr prominente Wissenschaftler aus dem In- und Ausland gemeldet, haben einen Aufruf unterschrieben, in dem sie den Schutz der Versammlungs- und Meinungsfreiheit fordern, und zwar unabhängig davon, welche Meinung vertreten wird. Wie schätzen Sie das ein? Ist das jetzt eine neue Qualität?
Johannes Fehr: Also ich denke schon, dass es viele Leute sehr beängstigt, was dort gerade geschieht. Denn so autoritäre Maßnahmen würde man ja vielleicht von der CDU-AfD-Regierung eigentlich erwarten und nicht von einer selbst deklarierten liberalen Fortschrittsregierung, wie wir sie gerade haben. Und ich glaube, da muss jetzt auch eine Reaktion her.
Das sind natürlich kleine, gute Dinge, die da passieren. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass die Regierung gerade schon so unter Druck ist, dass sie jetzt diese autoritären Maßnahmen beenden würde. Also da braucht es noch viel mehr. Im Prinzip werden alle möglichen Grundrechte angegriffen – Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Recht auf Selbstbestimmung und Informationsfreiheit. Recht auf Nichtdiskriminierung wegen politischer Anschauung.
Also da gibt es sehr, sehr viele Grundrechte, die beim Palästina-Camp verletzt wurden, auch vor dem Bundestag, bei den Versuchen, friedlichen Protest an Universitäten in Deutschland durchzuführen. Leider sind die Universitätsleitungen in Deutschland sozusagen komplett auf der Seite der Regierung.
Aber es ist schön zu sehen, dass es zumindest bei den Bediensteten, den Leuten, die dort arbeiten, auch Solidarität mit ihren Studenten gibt. Wenn das Recht auf Protest nicht mehr gegeben ist, dann kann man eigentlich nicht mehr von Demokratie sprechen. Also da müssen wir einfach sehr, sehr aufpassen, in welche Richtung das gerade geht.
▶ Herr Fehr, Sie kandidieren für MERA25 für das Europaparlament. Yanis Varoufakis ist der prominenteste Vertreter der Bewegung DiEM25 – praktisch Ihrer Mutterorganisation. Wird er denn zur Wahlkampfunterstützung nach Deutschland kommen, wenn dieses Verfahren noch schwebt, wenn man nicht weiß, was passiert, wenn er nach Deutschland einreist?
Johannes Fehr: Also, das verhält sich so, dass wir mit MERA25, das ist der Name aller unserer politischen Parteien, Diem25, wie Sie richtig gesagt haben, ist die Mutterorganisation und Europäische Bewegung. MERA25 gibt es in Italien, in Griechenland, in Deutschland, in anderen Ländern, und wir treten dort überall zur Europawahl an.
Janis Varoufakis ist selbst Kandidat in Griechenland und ist dort natürlich in den Wahlkampf stark eingebunden. Bei unseren Events in Deutschland ist im Moment nur geplant, dass er dort online teilnimmt, weil er natürlich auch gleichzeitig persönliche Veranstaltungen für MERA25 Griechenland hat.
Wir werden mal sehen, ob sozusagen der lange Arm der deutschen Bundesregierung, was die Meinungs- und Redefreiheit angeht, auch ins Internet reicht. Beim Palästina-Kongress war das Verrückte auch, dass der Kongress unterbrochen und gestürmt und gestoppt wurde von der Polizei, während jemand über Zoom gesprochen hat.
Also das werden wir jetzt bei unseren Wahlkampfveranstaltungen mit Janis Varoufakis in Deutschland auch testen, ob er dort sprechen darf. Wenn er das nicht dürfte, wäre das natürlich auch, so wie beim Palästina-Kongress schon, eine enorme Einschränkung unserer demokratischen Rechte als Partei Wahlkampf zu führen und unsere Politiker ins Land zu holen.
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Im Telepolis-Podcast sprach Dietmar Ringel mit Johannes Fehr, dem Vize-Vorsitzenden von Mera 25, dem deutschen Ableger der paneuropäischen Bewegung DiEM25 und Kandidat für das Europaparlament.