"Es ging und geht um geostrategische Interessen"
- "Es ging und geht um geostrategische Interessen"
- "Verantwortlich für das Geschehen in Syrien sind nicht nur die saudischen Petro-Dollars, verantwortlich ist auch die westliche Gier danach"
- "Die Realität in Ost-Aleppo stimmte ganz offensichtlich nicht mit dem überein, was westliche Medien über die Stadt berichtet hatten"
- "Zugriff auf die Rohstoffe und die Kontrolle von Transportwegen in der Region"
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Karin Leukefeld über die Geschichte Syriens und die beiden Assads
Karin Leukefeld ist eine Journalistin, die den Orient aus eigener Anschauung kennt und auch dann in Länder wie Syrien oder den Irak reist, wenn dort Krieg herrscht. Dabei kommt sie oft zu ganz anderen Ergebnissen als das Gros der Kommentare in deutschen Mainstreammedien, die trotzdem immer wieder auf ihre Vor-Ort-Berichte zurückgreifen.
Frau Leukefeld, beginnen wir unser Gespräch mit einer Frage zur geopolitischen Ausgangslage Syriens im 6. Kriegsjahr. Hat dieser Konflikt, der unzählige Menschenleben forderte und große Zerstörungen anrichtete, das ideologische Fundament, auf dem die regierende Baath-Partei ruht, das Konzept des arabischen Nationalismus säkularer Prägung eher gestärkt oder geschwächt?
Karin Leukefeld: Das sind mehrere Fragen in einer. Einmal die Frage nach dem arabischen Nationalismus, dann die Frage nach dem Säkularismus, dann die Frage nach der Baath-Partei.
Das Konzept des arabischen Nationalismus ist unter den politischen Parteien in Syrien seit den 1950er Jahren - als es unter Gamal Abdul Nasser eine politische Union mit Ägypten gab (1959-1962) - umstritten. Angesichts der aktuellen massiven und destruktiven arabischen Einmischung in die ursprünglich innersyrischen Angelegenheiten, angesichts der Bewaffnung von Kampfgruppen usw. sehen sich Syrer, die nicht den Kampfgruppen oder der mit diesen verbündeten Auslandsopposition angehören, in ihrer Mehrheit von den arabischen Staaten eher verraten. Am ehesten dürfte man sich noch mit Ägypten verbunden fühlen, das sich um Vermittlung bemüht.
Das Konzept des Säkularismus in Syrien ist nicht allein ein Konzept der Baath-Partei, es ist ein Konzept, das parteiübergreifend von den Syrern seit ihrer Unabhängigkeit 1946 für richtig gefunden und respektiert wird. Das betrifft auch politische Gegner der Baath-Partei, beispielsweise die kurdischen Organisationen im Norden des Landes. Alle religiösen und ethnischen Minderheiten und eine große Zahl der sunnitischen Muslime in Syrien lehnen den politischen Islam ab. Die einzige Partei, die den Säkularismus ablehnt, ist die Muslimbruderschaft - die in Syrien verboten ist - und die aus ihr hervorgegangenen islamistischen Kampfgruppen. Diese Gruppen streben ein islamisches Kalifat in Syrien an.
Dann die Frage nach der Baath-Partei, die den aktuellen Konflikt bisher überlebt hat. Es gibt m.W. innerhalb der Partei starke Widersprüche. Es gibt Reformer, Kritiker hinsichtlich des Umgangs mit dem aktuellen Konflikt. In diese Debatten habe ich keinen Einblick.
Panarabismus
Ist der Panarabismus, der ursprünglich eine Zielsetzung der Baath-Partei war, in der Bevölkerung Syriens noch als wünschenswerte Vision verbreitet?
Karin Leukefeld: Die Idee des Panarabismus ist eine Ideologie, die in den 1950er und 1960er Jahren große Unterstützung hatte. Nicht nur in Syrien. Die Palästinenser, die Ägypter, die Iraker - für sie alle war die Idee des arabischen Nationalismus eine starke Vision.
Das ist lange her. Es gab eine Fülle von Kriegen seither - und es hat sich gezeigt, dass sich die arabischen Staaten (vor allem die Golfstaaten) an das westliche Lager, an die USA, an die NATO anlehnen. Diese Haltung wird in Syrien - egal ob Baath-Partei oder nicht - mehrheitlich abgelehnt. Die Ideologie der Baath-Partei aus den 1950er Jahren, die vor allem die Jugend in den Städten angezogen hatte, ist zwar verblasst, aber die Ideen der Unabhängigkeit, des Säkularismus, der arabischen Solidarität - vor allem mit den Palästinensern - haben in weiten Teilen der Bevölkerung weiterhin Bestand.
Als Beispiel möchte ich auf die Aufnahme von einer halben Million Palästinenser in Syrien seit 1948 hinweisen, die rechtlich den Syrern weitgehend gleichgestellt waren. Auch die Aufnahme von 1,5 Millionen irakischer Kriegsflüchtlinge und von hunderttausenden libanesischen Kriegsflüchtlingen (zuletzt 2006) war für die Syrer eine Selbstverständlichkeit. Selbst Kriegsflüchtlinge aus dem Sudan waren in Syrien willkommen. Diese praktische Solidarität hat mit der syrischen Zivilisation und Kultur mehr zu tun, als mit der Ideologie einer Partei.
In Ihrem Buch "Syrien zwischen Licht und Schatten" , beschreiben Sie die Herrschaft von Hafiz al-Assad ab 1971 und von dessen Sohn Baschar ab 2000 als eine Art doppelköpfiges Phänomen: einerseits fortschrittlich um alle Teile der Gesellschaft werbend, andererseits hart und autokratisch im Umgang mit ihren Gegnern, gestützt auf Militär und Geheimdienste. Handelt es sich nicht in Wirklichkeit um ein Herrschaftsinstrument der Alawiten, also einer religiösen Minderheit von etwa 12% der Bevölkerung Syriens, zu der auch Assad selbst zählt?
Karin Leukefeld: Zunächst sind Hafez al-Assad und sein Sohn Baschar nicht zu vergleichen. Das habe ich versucht, in meinem Buch deutlich zu machen. Beide sind völlig unterschiedliche Charaktere mit unterschiedlicher Ausbildung und Erfahrung. Zudem stehen beide für völlig unterschiedliche Phasen der syrischen Geschichte.
Was beide gemein haben, ist, dass weder Assad Senior noch der amtierende Präsident Baschar al-Assad sich als Herrscher einer Minderheit verstanden haben. Diese Interpretation, die ja auch eine Stigmatisierung einer bestimmten Gruppe darstellt, bedient eine Sicht auf Syrien, die der vielschichtigen und komplexen Realität und Geschichte des Landes nicht gerecht wird.
Syrien lebt in und von seiner religiösen und ethnischen Vielfalt. Ob Mehrheit oder Minderheit, alle gehören zu Syrien und zur Kultur des fruchtbaren Halbmondes. Wenn bestimmte Gruppen aktuell eine besondere Rolle spielen, kann und muss das zuerst aus der Geschichte heraus erklärt werden.
Während der Herrschaft des Osmanischen Reiches und in den Jahrhunderten der vorherigen sunnitisch-muslimischen Herrscher zählten die Alawiten - eine Strömung des schiitischen Islam - zu den Unterprivilegierten. Sie durften Schulen und Universitäten nicht besuchen.
Unter dem französischen Mandat wurden die Alawiten - wie übrigens auch die Kurden - instrumentalisiert, um den starken arabischen Nationalismus in Aleppo und Damaskus zu brechen. Die Franzosen teilten Syrien 1922 in fünf Kleinstaaten auf, darunter war ein Staat für die Alawiten. Sie ermöglichten ihnen den Schulbesuch und eine Karriere in der neuen Armee. So wurde Hafez al-Assad, der als erster seines Dorfes die Oberschule in Lattakia und dann die Militärakademie in Aleppo besuchen konnte, ein Offizier.
Mit der Machtübernahme 1973 sah Assad sich mit vielen Erwartungen seitens der Alawiten konfrontiert. Wie die Kurden Salaheddin nach Damaskus folgten und die Turkmenen während des Osmanischen Reiches sich in Aleppo, Homs und Damaskus niederließen, folgten die Alawiten Assad nach Damaskus. Sie erwarteten und erhielten - wenn auch nicht alle - Arbeitsmöglichkeiten im Regierungsapparat.
Das "Regime", das Hafez al-Assad in den 1970er Jahren nach einer langen Zeit politischer Unruhen und Putschen durchgesetzt hat, war kein Machtinstrument seiner Familie, sondern der Versuch, alle Schichten, alle Gruppen, alle Interessen einzubeziehen: Stämme, Händler, Kleriker, einflussreiche Familien - alle sollten ihre Interessen vertreten können und so zur Stabilisierung Syriens beitragen.
Die Aussage, dass eine Minderheit, die Alawiten, und der "Assad-Clan" Syrien "wie eine Farm" regieren würden - eine häufige Darstellung von Oppositionellen - ist unpolitisch, unhistorisch und soll die syrische Regierung und Baschar al-Assad abwerten. Ja, es gibt Vetternwirtschaft und Korruption - aber nicht nur unter den Alawiten oder der Familie Assad. Von Baschar al-Assad heißt es übrigens, er sei "nicht hungrig", also nicht korrupt. Viele nicht-alawitische Syrer unterstützen ihn, weil er für ein tolerantes, modernes und vor allem für ein säkulares Syrien steht.
Strategische Partnerschaft
"Es geh[e] nicht um Assad - der wird sowieso eines Tages gehen", es gehe darum, das säkulare System zu retten - "für alle Volksgruppen und Konfessionen". Saudis, Türken und Amerikaner hätten dagegen von Anfang an das Ziel verfolgt, "Assad von Iran zu trennen". Dafür sei man einen Pakt mit den radikal-islamischen Salafisten eingegangen - das behauptete neulich der Präsident der deutsch-syrischen Gesellschaft, Dr. Salem El-Hamid. Teilen Sie diese Einschätzungen im Großen und Ganzen?
Karin Leukefeld: Ja, die Geschehnisse in und um Syrien in den letzten Jahren bestätigen das. Allerdings geht es nicht nur um den Iran. Schon vor dem Krieg, noch zur Zeit von Hafez al-Assad, sollte Syrien - nach dem Willen der USA und deren Verbündeten in der Region (Israel und die Golfstaaten) - seine strategische Partnerschaft mit Iran (seit 1979) aufgeben, auf die Golan-Höhen verzichten und die Unterstützung der Palästinenser einstellen.
Die gleichen Forderungen - erweitert um die Forderung, die Hisbollah nicht mehr zu unterstützen - wurden auch an Baschar al-Assad gestellt. Auch von der EU, die ja - basierend auf dem Barcelona-Abkommen von 1995 - mit Syrien ein EU-Assoziierungsabkommen verhandelt hatte. Es geht nicht um "Freiheit und Demokratie" für die Syrer, die waren seit 2000 auf einem guten Weg dahin, man hätte Syrien gut dabei unterstützen können. Es ging und geht um geostrategische Interessen.
War das Ziel, diese Iran-Syrien-Allianz zu schwächen, der Grund dafür, dass der Konflikt von außen angeheizt wurde, durch Waffenlieferungen und Desinformationen?
Karin Leukefeld: Ja, das geht aus einem Bericht des US-Militärgeheimdienstes (Defense Intelligence Agency, DIA) aus dem Jahr 2012 hervor. Darin wird beschrieben, dass die Entwicklung in Syrien "eine deutlich konfessionelle Richtung" einschlage. "Salafisten, die Muslimbruderschaft und AQI (Al-Qaida im Irak) sind die wichtigsten Kräfte, die den Aufstand in Syrien vorantreiben", heißt es weiter. "Der Westen, die Golfstaaten und die Türkei unterstützen die Opposition."
Der DIA prognostiziert für die Zukunft, dass das Geschehen sich "in einen Stellvertreterkrieg" entwickeln und dass sich ein "salafistisches Fürstentum im Osten Syriens (Hasaka und Deir Ezzor)" etablieren könnte. Und weiter heißt es: "Das ist genau das, was die Mächte, die die Opposition unterstützen, wollen, um das syrische Regime zu isolieren." Denn Damaskus werde als "strategische Tiefe" der "schiitischen Expansion" (Irak, Iran) betrachtet. Das "salafistische Fürstentum" oder der "Islamische Staat" war also vom Westen, von der Türkei und den Golfstaaten gewollt, um den Iran zu schwächen. Das ist im Übrigen auch das erklärte Interesse Israels.
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