"Es ging und geht um geostrategische Interessen"

Seite 2: "Verantwortlich für das Geschehen in Syrien sind nicht nur die saudischen Petro-Dollars, verantwortlich ist auch die westliche Gier danach"

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"Mithilfe des enormen Wohlstands, den unsere Petro-Dollars brachten, haben die Saudis ihre sehr fundamentalistische Version des Islam verbreitet, die zuvor innerhalb der islamischen Welt nur den Status einer Art Sekte besaß. Dadurch - durch die Verbreitung der saudischen Form - hat sich die ganze Natur des Islam zum Nachteil verändert, sagte Salman Rushdie einmal in einem Interview. Würden Sie dieser Aussage zustimmen - und welchen Einfluss haben saudisch-wahabitischen Strömungen auf den Verlauf des syrischen Konflikts?

Karin Leukefeld: Salafisten und Wahabiten sind nur die Spitze des Eisbergs. Darunter liegt die Idee des politischen (sunnitischen) Islam und des Krieges um ein Kalifat, des Dschihad. Beides wird sowohl von den Wahabiten und den Salafisten als auch von der Muslimbruderschaft propagiert. Das ist der Nährboden, auf dem Gotteskrieger gedeihen.

Der Wahabismus entstand auf der arabischen Halbinsel im 18. Jahrhundert, die Muslimbruderschaft Ende der 1920iger Jahre in Ägypten. Beide Strömungen beeinflussen heute direkt oder indirekt Regierungen verschiedener Länder. Saudi-Arabien, die Emirate, Katar und Kuwait werden von Salafisten und Wahabiten regiert. Katar hat zudem eine enge Partnerschaft mit der Muslimbruderschaft, deren nationale Ableger sie in verschiedenen Ländern fördert und unterstützt. Auch in Syrien und in der Türkei (Regierungspartei AKP und Präsident Tayyip Erdoğan).

Diese Länder (Saudi-Arabien, Katar, Türkei) sahen sich als Sieger des "Arabischen Frühlings" und wurden von Europa, den USA und der NATO darin bestärkt. Der Angriff auf das säkulare Syrien war zudem lange geplant. Wir wissen das von Korrespondenzen der US-Botschaft in Damaskus (2004-2007), die von Wikileaks veröffentlicht wurden.

Seit der Unabhängigkeit (1946) gibt es einen Konflikt zwischen dem Säkularismus und dem politischen Islam. In den 1970er Jahren und Anfang der 1980er Jahre wurde der Konflikt bewaffnet ausgetragen und endete 1982 mit dem Massaker von Hama, der Zerstörung der Altstadt und dem Verbot der syrischen Muslimbruderschaft bei Todesstrafe. Das hinterließ eine tiefe Wunde in der syrischen Gesellschaft, die auch eine politische Schwäche war.

Dieses "Trauma von Hama" wurde 2011 von den o.g. Staaten (Saudi-Arabien, Katar, Türkei) gnadenlos ausgenutzt und militärisch und medial geschürt. Die ersten Waffenlieferungen, dokumentiert in einer Langzeitstudie von der New York Times, kamen genau aus diesen Ländern. Mit Wissen und Unterstützung der USA, Europas und der NATO.

Die Idee des politischen Islam finden wir heute auch in Europa, auch in Deutschland. Warum? Weil dieses Gedankengut von den reichen Golfstaaten und von der Türkei finanziell und ideell gefördert wird. Europa und Deutschland hofieren die Golfmonarchien und die Türkei wirtschaftlich und militärisch und ermöglichen ihnen weitreichende Investitionen und Einflussnahme in Deutschland. Verantwortlich für das Geschehen in Syrien sind also nicht nur die saudischen Petro-Dollars, verantwortlich ist auch die westliche Gier danach.

Als einziger arabischer Staat unterstützte Syrien im ersten Golfkrieg, trotz aller ideologischen Schranken, den nichtarabischen Iran, der zudem auch noch von einer schiitisch-theokratischen Führung regiert wurde und sich im Krieg mit dem Baath-Regime von Bagdad befand. Inwieweit erklärt diese damalige Verbundenheit die heutige Nähe zwischen Teheran und Damaskus?

Karin Leukefeld: Syrien ging 1979 eine strategische Partnerschaft mit Iran nach der Islamischen Revolution ein. Der Grund war, dass Syrien von Verbündeten der USA und der NATO umgeben war: Türkei, Israel, Jordanien, Saudi-Arabien und dem Irak, der damals massiv von Großbritannien, Frankreich und den USA aufgerüstet wurde. Syrien befand sich in der Mitte eines politischen Haifischbeckens - und für Hafez al-Assad war das Bündnis seines Landes mit dem Iran (der mit dem Sturz des Schahs aus dem westlichen Bündnis herausgebrochen war) eine Rückversicherung für die syrische Unabhängigkeit, die sonst ja nur von der Sowjetunion unterstützt wurde. Damals wurden zwischen Syrien und dem Iran Abkommen vereinbart, die bis heute Gültigkeit haben und umgesetzt werden. Daher das militärische Engagement des Iran in Syrien. Hinzu kommt auch die Hisbollah, die als militärischer und politischer Machtfaktor im Libanon sowohl für Damaskus als auch für Teheran wichtig ist.

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