"Es handelt sich um Missbrauch der Deutungshoheit"
- "Es handelt sich um Missbrauch der Deutungshoheit"
- "Die Tagesschau blendet ökonomische und historische Wurzeln von Kriegen aus"
- "Fehlende Bereitschaft, Fehler zu bekennen und sie seriös zu korrigieren"
- "Täuschungsmanöver mittels geschickter Wortwahl"
- "Ich habe die Neigung, Artikel und Medien aller Art nach den Inhalten zu beurteilen, nicht nach deren Herkunft"
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Gellermann, Klinkhammer und Bräutigam im Interview über die Berichterstattung der Tagesschau
Wie seriös ist der Journalismus, den Abend für Abend die Tagesschau bietet, wenn es um weitreichende politische Themen geht? Uli Gellermann, Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam haben gerade ein Buch mit dem Titel "Die Macht um 8: Der Faktor Tagesschau" veröffentlicht, das den Blick auf kritisierte Untiefen des ARD-Nachrichtenflaggschiffs lenkt.
Im Interview mit Telepolis sprechen die Tagesschaukritiker sogar von "Täuschungsmanöver mittels geschickter Wortwahl", "politisch motivierter Sprachregelung" und einem "Missbrauch der Deutungshoheit".
In Ihrem Buch machen Sie der Tagesschau gleich am Anfang ein Lob. Sie schreiben, dass die Tagesschau im Vergleich zu den anderen Nachrichtenformaten noch am ansehnlichsten ist. Dann erfolgt aber eine Kritik an den Machern der Sendung.
Sie setzen sich mit den Redakteuren auseinander und schreiben: "Und doch sind sie nichts weiter als schlau: So bauernschlau, um den Ansprüchen der Herrschaft so zu genügen, dass ihre Einseitigkeit nicht sofort auffällt. Schlau wie gewieft, um nicht anzuecken und doch auch schon mal eckig auszusehen. Schlau wie ausgefuchst genug, um eine blendende Objektivität zu präsentieren, die eben primär zum Blenden taugt und ansonsten nicht viel." Warum so ein Aufschlag?
Uli Gellermann: Der Aufschlag entspricht dem Match: Die Tagesschau ist fraglos das entscheidende Leitmedium in Deutschland, ihre Interpretations- und Deutungsmacht, um in Ihrem Bild zu bleiben, gleicht einem Spiel, in dem die Hamburger Redaktion Spieler und Schiedsrichter zugleich ist. Wer über eine solche Macht verfügt und sie ständig für Fake-News missbraucht, der muss von der ersten Seite an als jener skizziert werden, der die Regeln zu seinen Gunsten fälscht.
Und was Sie als Lob verstehen ist nichts anderes als die Beschreibung einer eingeebneten Medienlandschaft, aus der selbst kleine Erhebungen rausragen: Tatsächlich ist die Nachrichtengebung bei den SAT.1-Nachrichten oder der BILD-Zeitung noch schlechter als beim öffentlich-rechtlichen Sender.
Sie sprechen von "Fake-News" und von einem "Missbrauch der Regeln zu seinen Gunsten". Das sind schwere Geschütze. Präzisieren Sie doch bitte mal Ihre Vorwürfe.
Uli Gellermann: Die zitierten Fake News sollten im Fall der Tagesschau besser in "No-News" umbenannt werden: Die Hamburger Redaktion ist darauf spezialisiert, bestimmte Nachrichten einfach nicht zu bringen, wie jene über die 64 Prominenten im Dezember 2014, die zu Beginn des Ukraine-Konfliktes zum Frieden in Europa aufriefen. Sie warnten davor, angesichts der Ukraine-Krise Russland "hinauszudrängen" oder zu "dämonisieren".
Unter ihnen waren Altkanzler Gerhard Schröder, Altbundespräsident Roman Herzog, die ehemaligen Bundesminister Otto Schily und Herta Däubler-Gmelin, der ehemalige Ministerpräsident von Brandenburg, Manfred Stolpe, sowie die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann. Eigentlich genug gewichtige Namen, um drei Nachrichtensendungen und vier Talk-Shows zu füllen, nicht genug, um der Tagesschau eine Meldung abzuringen. Diese besondere Form der Nachrichtenfälschung durch Verschweigen hat sich im Ukrainekonflikt zum Beispiel im konsequentem Verschweigen der dort agierenden Nazis fortgesetzt.
Ausgefuchst nennen wir die sprachlichen Tricks der Tagesschau-Redaktion, die Objektivität imaginiert und so versucht, sich dem Vorwurf der Parteilichkeit zu entziehen. Das gilt ganz besonders für die Russland-Berichterstattung, die von einem schlichten Freund-Feind-Schema beherrscht wird und in der scheinbare Fakten gern von "Beobachtern" präsentiert werden, die keine Namen haben und auch nicht verortet sind.
Gern wird auch die ungeprüfte Aussage einer Quelle mit einem Attribut wie "Harvard-Jurist" veredelt, um der Färbung der Nachricht eine Art Wissenschaftlichkeit zu geben. Wer den Herrn Juristen dann googelnd nachverfolgt, findet jemanden, der Partei ist. Und wenn ein guter Zeuge der Nachricht eine Meinung zu ihr hat, dann "berichtet" der, ist er aber, nach Meinung der Redaktion, ein schlechter Zeuge, dann hat der natürlich nur etwas "behauptet".