"Es handelt sich um Missbrauch der Deutungshoheit"

Seite 4: "Täuschungsmanöver mittels geschickter Wortwahl"

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Sie haben in der Tagesschau Nachrichtenkosmetik bzw. Wording entdeckt. Was ist das?

Volker Bräutigam: Täuschungsmanöver mittels geschickter Wortwahl. Politisch motivierte Sprachregelung. Wenn eine todbringende Militärmission im Ausland trotz fehlenden UN-Mandats oder anderer völkerrechtlich akzeptabler Grundlagen als "Übernahme von mehr internationaler Verantwortung" oder gar als "Eintreten für die Menschenrechte", als "Verteidigung der Freiheit" ausgegeben wird, dann hören wir vorbedachtes Wording. Planvolle Irreführung.

Wenn die Tagesschau über eine "OSZE-Militärbeobachter-Mission" in der Ukraine berichtet, obwohl es sich um eine aggressive Spionageaktion außerhalb der OSZE und ohne deren Mitwirkung handelt: ARD-aktuell-Wording. Wenn von "islamistischer Terrormiliz" in Syrien die Rede ist, obwohl es sich bei der Al-Qaida und ihren Nachfolgern, der al-Nusra und dem "Islamischen Staat", um internationale Söldnerbanden handelt, von den Saudis bezahlt, mit Hilfe einiger NATO-Staaten ausgerüstet und von den USA auch noch in diesem Augenblick ferngelenkt - dann haben wir ARD-aktuell-Wording vor uns.

Die Absicht hinter diesem irreführenden Sprachgebrauch ist: Manipulation. Transatlantische Meinungsmache im Sinne der USA. Es handelt sich um Missbrauch der Deutungshoheit, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk dank seiner Rolle als einstiger Nachrichten-Monopolist traditionell hat. Gestützt auf seine Marktmacht, über die er, finanziert von seinem Millionenpublikum, verfügt.

Haben Sie weitere Beispiele für Wording?

Volker Bräutigam: Ich zitiere aus Zeitgründen hier keine vollständigen Meldungen, sondern beschränke mich auf ein paar beispielhafte Begriffe und auf den Umgang damit. Söldner, Banditen, Terroristen, die in Syrien morden, werden fälschlich "Rebellen" genannt. Kein ARD-Nachrichten-Journalist fragt mehr: Wogegen könnte - in Syrien! - eigentlich ein Saudi-Araber "rebellieren"? Einer, der daheim zum Tode verurteilt ist und sich gegen Straferlass "freiwillig" nach Syrien schicken ließ? Wogegen "rebelliert" - in Syrien! - ein Libyer? Ein Marokkaner? Ein Afghane? Oder ein - Europäer? in Syrien! Warum lässt sich ein ARD-Redakteur dazu herbei, solchen verbalen Missbrauch mitzumachen?

Oder hier: Man stelle sich vor, der US-Präsident oder der französische Präsident werden in einer Tagesschau-Sendung als "US-Machthaber" bzw. als "Frankreichs Machthaber" tituliert. Was wäre dann wohl los? Zumindest bekäme Chefredakteur Dr. Gniffke einen dezenten Anruf aus dem Auswärtigen Amt in Berlin, eventuell sogar aus dem Kanzleramt. Aber mit dem syrischen Präsidenten Assad treibt ARD-aktuell dieses miese Spiel. Und der russische Präsident wird auch schon mal unverschämt salopp "Staatschef" genannt. Wording transportiert Wertungen, die sich für eine zur Objektivität verpflichtete ARD-Nachrichtensendung nicht gehören. Dem Zuschauer muss vielmehr ermöglicht werden, sich unbeeinflusst ein eigenes Urteil zu bilden.

Das Gegenstück zum "Machthaber" wäre übrigens ausgeschlossen: den Herrscher über Saudi-Arabien als "Despot" zu betiteln. "König" nennt man das dann. Oder auch mal "Monarch", der Abwechslung halber. Wer diesem Saudi gegenüber journalistische Distanz wahrt, sollte der sie nicht auch gegenüber einem Syrer oder x-beliebigen anderen Staatsmann einhalten?

Wording blockiert übrigens objektivierende Information. Ist die NATO nur ein "nordatlantisches Verteidigungsbündnis" - oder nicht auch ein seinem Namen hohnsprechender Bund international aktiver Aggressoren? Wer von "US-geführter Koalition gegen den IS" schwafelt, die in Syrien den Terrorismus bekämpfe, der folgt einem Wording, denn er verschweigt, dass diese "Koalition" rechtlich betrachtet ein Nullum ist und jeder ihrer Bomberflüge einen Bruch des Völkerrechts darstellt, meistens außerdem auch noch ein Kriegsverbrechen.

Wording: Merken Sie noch den Unterschied zwischen "mutmaßlich" und "angeblich"? Den gibt es immer noch, auch wenn er bei der TV-Nachrichtengestaltung oft ignoriert wird. Aber der "mutmaßliche Selbstmord" ist doch etwas gänzlich anderes als der "angebliche Selbstmord", nicht wahr?

Der Unterschied zwischen "Kanzlerin Merkel erklärte...." und, wie es richtiger meistens heißen müsste, "Kanzlerin Merkel behauptete...." - wird übergangen. Warum, was meinen Sie, meldet die Tagesschau, Merkel habe "betont", in Kiew gebe es Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung und der friedlichen demokratischen Entwicklung? Weiß nicht jeder, der es wissen will, dass von Fortschritten dieser Art in der Ukraine keine Rede sein kann? Wenn also die Kanzlerin trotzdem Dergleichen sagt, was wäre dann das treffende Verb für ihr Tun?

Ein anderes Thema. Ihre Programmbeschwerden. In Ihrem Buch lassen Sie kein gutes Haar daran, wie ARD-Verantwortliche mit Ihren Beschwerden umgehen. Was läuft falsch?

Friedhelm Klinkhammer: Obwohl bei den Beschwerden der Rundfunkrat und der Intendant die Adressaten sind, werden die Schreiben faktisch vom Verursacher der "Fake-News", vom ARD-aktuell-Chef Dr. Gniffke, geprüft und entschieden, denn sein Votum wird vom Intendanten und 58 Rundfunkräten eins zu eins übernommen. Mit anderen Worten: Der Bock wird zum Gärtner gemacht, oder: Täter, Verteidiger und Richter in Personalunion. Nach rechtsstaatlichem Verständnis inakzeptabel.

In der Rechtsaufsicht des Landes Niedersachsen sieht es ähnlich aus: Dort entscheidet ein Beamter über NDR-Rechtsprobleme, der zuvor 17 Jahre als Redakteur im NDR beschäftigt war und im Sog von Christian Wulffs Erfolg bei den Wahlen 2005 in die Bürokratie der Staatskanzlei überwechselte. Wenngleich ein Nicht-Jurist, hat er dennoch über den NDR betreffende Rechtsfragen zu befinden, obwohl er sich in dem Fach offensichtlich nicht auskennt. Er macht das wett mit frechen und anmaßenden Schreiben an kritische, Beschwerde führende Zuhörer und Zuschauer. Man sieht: Die politischen Eliten haben umfassend Sorge getragen, dass ARD-aktuell ungestört senden kann, was den Herrschenden beliebt.

Können Sie ein Beispiel anführen, an dem sich eindeutig sehen lässt, dass Ihrer Beschwerde hätte stattgegeben werden müssen?

Friedhelm Klinkhammer: Fast alle Beschwerden sind von uns sachlich so stark argumentativ begründet worden, dass die beklagte Verletzung der Programmrichtlinien auch formell hätte festgestellt werden müssen. Eine andere Frage ist natürlich, ob die Verstöße alle gleichermaßen schwerwiegend sind oder ob es Abstufungen gibt. Da würden wir schon Differenzierungen sehen. Aber in den Programmrichtlinien selbst sind Abstufungen rechtlich nicht vorgesehen.