"Es handelt sich um Missbrauch der Deutungshoheit"
Seite 2: "Die Tagesschau blendet ökonomische und historische Wurzeln von Kriegen aus"
- "Es handelt sich um Missbrauch der Deutungshoheit"
- "Die Tagesschau blendet ökonomische und historische Wurzeln von Kriegen aus"
- "Fehlende Bereitschaft, Fehler zu bekennen und sie seriös zu korrigieren"
- "Täuschungsmanöver mittels geschickter Wortwahl"
- "Ich habe die Neigung, Artikel und Medien aller Art nach den Inhalten zu beurteilen, nicht nach deren Herkunft"
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In Ihren Beschwerden kritisieren Sie immer wieder auch einen Journalismus, der aus Ihrer Sicht beim Berichten über Kriege und Konflikte versagt. Diese Kritik findet sich auch in Ihrem Buch.
Sie führen einen Beitrag vom Bayerischen Rundfunk während Kampfes der NATO in Libyen an. Die Reporterin sagt in dem Beitrag: "Der NATO- Einsatz in Libyen geht weiter, auch wenn das Regime von Machthaber Gaddafi vor dem endgültigen Kollaps steht. Es soll beim Grundsatz bleiben: Kampfeinsätze sollen Zivilisten schützen." Dann kommt in dem Beitrag ein "NATO-Funktionär" zu Wort, der sagt: "Wann immer es notwendig ist, die Zivilisten vor Gewalt zu schützen, werden wir Kampfeinsätze fliegen." Was kritisieren Sie an dieser Berichterstattung?
Uli Gellermann: Wenn wir den Libyen-Krieg heute, also von seinem scheinbaren Ende her beurteilen wollen, dann weiß jeder, dass der "Schutz der Zivilisten" schon während des NATO-Einsatzes die ersten 50.000 Toten zur Folge hatte. Zu dieser Blutrechnung wären dann noch ein andauernder Bürgerkrieg und ein zerstörtes Staatswesen zu addieren.
Doch selbst zu Beginn des Krieges wäre es möglich gewesen, die brutalen Folgen eines ausländischen Eingreifens in einen inner-libyschen Konflikt vorauszusehen. Man hätte nur in den Irak blicken müssen. Stattdessen wurden von Beginn an die Interessen fremder Mächte in und der Rohstoff-Dealer an Libyen ausgeblendet. Die alte journalistische Frage "Cui bono?" hätte auf die Spur der Kriegsursache führen können. Und schon hätte man die in deutschen Medien übliche Kriegs-Einteilung in Gut und Böse zugunsten einer Interessen-Analyse auswechseln müssen. Stattdessen waren die deutschen Medien von Beginn an Partei: Für die NATO, für die USA und natürlich auch für jene islamistischen Gruppierungen, die das laizistische Gaddafi-Regime schnellstens beenden wollten.
Bleiben wir mal bei der Berichterstattung der Tagesschau zum Thema Krieg. Gibt es Auffälligkeiten, die immer wieder vorkommen, wenn die Tagesschau über Kriege berichtet?
Uli Gellermann: Geradezu mechanisch blendet die Tagesschau ökonomische und historische Wurzeln von Kriegen aus.
Wie meinen Sie das?
Uli Gellermann: Das gilt exemplarisch für den Ukrainekrieg. Dass die Europäische Union ein schlichtes ökonomisches Interesse an der Ausweitung ihres Marktes bis an die Grenzen Russlands - eines Konkurrenten der westeuropäischen Wirtschaft auf dem Energiesektor - hätte haben können, wurde öffentlich nahezu nie erwogen.
Sondern?
Uli Gellermann: Stattdessen wurde das klare Profitinteresse in der gewöhnlichen Berichterstattung mit den Etiketten Demokratie und Freiheit beklebt. Nur so konnten dann auch die handelnden Parteien in der Ukraine in Gut und Böse sortiert werden: Böse Pro-Russen, die den erweiterten Markt nicht wollten, und gute Anti-Russen, die für die Markt-Freiheit eintraten.
Schon ein flüchtiger Blick in die Geschichte hätte selbst Tagesschau-Redakteure belehren können, dass die westlichen Marktprotagonisten, zeitweilig von deutschen Politikern geführt und angeleitet, Erinnerungen an die deutsche Wehrmacht und ihre Gräueltaten hervorriefen. Diese historische Einsicht war der Tagesschau nie der Erwähnung wert. Eher fußte sie auf einer antisowjetischen Konditionierung ihrer Zuschauer, obwohl die Sowjetunion längst vergangen war. Zudem war die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg - der für die Ost-Europäer immer noch Erfahrungsmaßstab ist - zumindest anfänglich Befreier im Kampf gegen die deutsche Unterdrückung.
Ohne ökonomische und historische Gegebenheiten einzubeziehen, musste die Tagesschau-Berichterstattung zur Ukraine deshalb zwangsläufig im Ideologischen, im Präfaktischen stecken bleiben.
Schildern Sie doch bitte noch ein Beispiel zur (Kriegs-) Berichterstattung, die Sie in Ihrem Buch kritisieren.
Friedhelm Klinkhammer: Schwerwiegend und unverzeihlich ist die Berichterstattung über die "moderaten Rebellen" in Ost-Aleppo. Hier umgab die ARD dschihadistische Terroristen mit einem Tarnmantel, offensichtlich in der Absicht, der deutschen Bevölkerung zu suggerieren, Syriens Regierung unterdrücke mithilfe Russlands gewaltsam die legitime Opposition und begehe an ihr grausame Verbrechen. Dschihadisten, Terroristen und Söldner erhielten auf diese Weise das Gütesiegel von Kämpfern gegen eine Regierung, der unsere Medien die Legitimität absprechen.
Dass Unterstützer und Gleichgesinnte dieser Terroristen unterdessen von deutschen Gerichten - zum Beispiel in Stuttgart - als Kriminelle abgeurteilt wurden, blieb folgenlos hinsichtlich der verfälschenden ARD-aktuell-Berichterstattung, die darin liegende Widersprüchlichkeit blieb der Bevölkerung verborgen.
Diese mediale Kumpanei der ARD und fast aller anderen westlichen Medien mit den Söldnern in Syrien, den dschihadistischen Mördern, hat fraglos den politischen Rahmen für die fortgesetzte Unterstützung der Terroristen durch den Westen gestärkt und zur Verlängerung des Leidens der syrischen Bevölkerung beigetragen. Hinzu kommt, dass terrornahe Informations-Quellen auch noch aus Rundfunkbeiträgen finanziert wurden, damit die Propagandabilder dieser sogenannten Opposition in die deutschen Wohnstuben übertragen werden konnten.
"Kriegsberichterstattung aus dem Jemen findet bei ARD-aktuell praktisch nicht statt"
Haben Sie noch ein Beispiel?
Volker Bräutigam: Es gibt Beispiele zuhauf. Tendenziöse Berichte über den Krieg im Irak. An dem übrigens grundgesetzwidrig auch deutsche Soldaten beteiligt sind und wohin nicht nur Waffen aus deutscher Produktion massenweise geliefert werden. Verdrehte Berichte über den Krieg in der Ukraine, von dessen politischen Motiven, Zielen und Exzessen (unter faschistischer Mitwirkung) verfälschend abgelenkt wird, denn bekanntlich ist dort "der Russe" an allem schuld.
Defizitär und desinformativ ist die Kriegsberichterstattung über Jemen. Da bombardieren saudische Flugzeuge gezielt einen Marktplatz, töten mehr als 120 wehrlose Besucher und verkrüppeln mindestens noch einmal so viele - und über dieses und ähnliche Kriegsverbrechen berichtet die Tagesschau kein Wort. Kriegsberichterstattung aus dem Jemen findet bei ARD-aktuell praktisch nicht statt.
Aber hin und wieder findet auch der Jemen Erwähnung in der Tagesschau.
Volker Bräutigam: Ja, aber wie? Wenn ARD-aktuell über den Jemen berichtet, dann nennt die Redaktion das Geschehen bewusst unzutreffend "Bürgerkrieg", den angeblich die "Houthi-Rebellen" gegen die "Regierungstruppen" führen. Die Tagesschau informiert nicht einmal darüber, wer eigentlich in dieser verbrecherischen Luftkriegsallianz unter angeblicher Führung der Saudis Mitglied ist und sonst noch im Jemen bombt. Keinesfalls wird das Wesentliche mitgeteilt.
Was ist denn das Wesentliche?
Volker Bräutigam: Die USA und Großbritannien haben ihre militärischen und geheimdienstlichen Spezialisten im Generalstab der Saudis, versorgen ihn mit strategischen Informationen und steuern ihn. Worum es in diesem Krieg wirklich geht, wird nicht mal angedeutet: Die USA sichern mit Unterstützung der Saudis ihre geostrategischen Interessen am Persischen Golf und im Arabischen Meer. Zugriff auf die wichtigsten Energielagerstätten der Welt, Kontrolle der Handelswege usw. Und die Saudis lassen sich bis an die Zähne bewaffnen und schulen für ihren Kampf gegen den großen Konkurrenten Iran. Dem soll es ans Leder gehen, sein Streben nach Mitsprache in der Region konterkariert werden. Mit allen Mitteln, einschließlich infamer Drohnen-Bombardements der USA im Jemen. Das verschweigt ARD-aktuell.
ARD-Aktuell hat auch ein Interview mit dem syrischen Präsidenten geführt. Mit dem Interview setzen Sie sich in Ihrem Buch auseinander. Wo liegen die Probleme?
Friedhelm Klinkhammer: Der ARD-Reporter Dr. Aders hatte nach dem Interview fälschlicherweise behauptet, Assad habe geäußert, dass die Souveränität seines Landes infolge der militärischen Hilfe Russlands und des Iran eingeschränkt sei. Anstatt klar und deutlich diese Fake News als Fehler einzuräumen, wurde die Geschichte als "missverständlich" abgetan und auf ein anderes Interview Assads verwiesen, das allerdings ebenfalls keine Entlastung für die Falschbehauptung hergab. Auch darin beklagte Assad, dass sein kleines Land gegen die von 80 fremden Staaten unterstützten dschihadistischen Terroristen ebenfalls Militärhilfe benötige: eine gänzlich andere Aussage als von Dr. Adler interpretiert.