"Es ist ein Witz, dass in der Krise niemand zurückgelassen wird"

Seite 2: Vielen bleibt nur der Mietstreik

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Auch Hunger ist schon jetzt für viele in Spanien längst ein reales Problem. Bis zu sieben Stunden stehen Menschen schon in "Hunger-Schlangen" wie in der Hauptstadt Madrid, um eine Tüte mit Grundnahrungsmitteln zu erhalten. López sieht sich selbst schon bald in einer Schlange stehen. "Es ist ein Witz, dass niemand in der Coronaviruskrise zurückgelassen wird", wie die Regierungschef Sánchez zu Beginn der Krise versprochen hatte.

"Wir werden erneut über den Tisch gezogen", erklärt er und erinnert sich noch gut an den Spruch des Sozialdemokraten José Luis Rodríguez Zapatero zu Beginn der Krise 2009. "Wir werden keine Familie im Stich lassen", hatte der Sozialdemokrat damals erklärt. Danach wurden die Familien nicht nur im Stich gelassen, sondern hunderttausende wurden auch von den Banken, die mit Steuergeldern gerettet wurden, auf die Straße gesetzt, weil sie wegen Arbeitslosigkeit und steigender Zinsen ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen konnten.

Die Vorgänge schmerzen den Andalusier nun besonders, weil "die eigenen Leute" die Sozialdemokraten eben nicht wie versprochen kontrollieren, sondern nach deren Pfeife tanzen würden. Wählen will er diese Truppe nicht mehr. Er ist aber erfreut darüber, dass die "Antikapitalisten", bisher ein Flügel innerhalb von Podemos, nun den Ausstieg aus der Koalition besiegelt haben. Die geben in Andalusien den Ton an, womit ihm eine linke Wahloption bleibt. "Podemos entstand als politische Bewegung gegen die politischen und ökonomischen Normen des Systems", schreiben die Antikapitalisten. Fast 90% der Anhänger haben sich in einer Abstimmung für den Bruch ausgesprochen. Sie sind damit einverstanden, dass Podemos nun zu der "Kaste" gehört, die man eigentlich bekämpfen wollte. "Es ist offensichtlich, dass die Strategie geändert wurde", die Spaltung ist nun vollzogen.

Ein Grund ist für ihn, dass die Linkskoalition bisher nicht einmal fähig war "lebensnotwendige Minimaleinkommen", eine Art Sozialhilfe, für ganz Spanien zu beschließen, das es im Baskenland oder Katalonien seit vielen Jahren gibt. Von der einstigen Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, ist ohnehin keine Rede mehr. Mehr als zwei Monate wurden schon verloren, viele Leute leiden schwer, die keinerlei Geld in der Tasche haben. "Auf was warten die in Madrid, jetzt müssten Menschen gerettet werden". Stattdessen würden Unternehmen wie Airbus, Fujitsu oder Mercedes subventioniert. H&M hat zum Beispiel 2019 einen Gewinn von 1,3 Milliarden Euro gemacht, die Löhne die 6000 Beschäftigten und den Großteil der Sozialversicherungsbeiträge zahle die Staatskasse. "Anders als in Frankreich bekommen hier sogar die Staatsgeld, die einen Sitz in Steuerparadiesen haben", empört sich López. Man "studiert" derweil, sagt die kommunistische Arbeitsministerin, wie das verhindert werden könne. Derweil machen auch Steuervermeider in Spanien weiter Reibach auf Kosten der Allgemeinheit.

Die Lage für die Familie des Übersetzers spitzt sich zusehends zu. Konnte sie bisher noch die Miete zahlen, ist auch das nun vorbei, da auch seine Frau trotz des dekretierten Kündigungsverbots ihren Job verloren hat. Er fragt sich: "Wie kann eine Linksregierung derart an Realitäten vorbeiregieren." Auch sie hätten in der Opposition stets kritisiert, dass fast alle Verträge nur noch befristet geschlossen werden und gefordert die Arbeitsmarktreformen zu streichen. Der dekretierte Kündigungsschutz zahle sich nur für Stammbelegschaften aus, die ohnehin relativ gute Bedingungen und Löhne hätten.

Die zahllosen befristeten Verträge der prekären Beschäftigten laufen nun einfach aus, Kündigungen sind schlicht unnötig. Deshalb ist die Arbeitslosenzahl in Andalusien im April um 199.000 Menschen im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Nach genaueren Angaben des Statistikinstituts ist die Quote in Andalusien schon Ende März auf mehr als 21% explodiert. Und dabei musste die andalusische Regierung zugeben, dass in dieser "EPA" der reale Jobverlust nicht korrekt wiedergeben ist, sondern krasser ausfällt.

Ob er die "Mietbeihilfe" beantragt, weiß der Übersetzer noch nicht. Er überlegt eher, sich dem Mietstreik anzuschließen, den Mietergewerkschaften dagegen ausgerufen haben, dass die Regierung Mietern derzeit nur Verschuldung anbietet. Bis zu 5400 Euro kann seine Familie erhalten, um bis zu sechs Monate der "Rentenökonomie" die vollen Mieten zu sichern. Aber schon das neue "bürokratische Monster", das dafür geschaffen wurde, schreckt López ab.

Er ist nun bereit, auch einer Regierung die Zähne zu zeigen, die er gewählt und die ihn brutal enttäuscht hat. Interessant ist für ihn auch der Sozialversicherungsstreik, den katalanische Selbstständige diskutieren. Die Beiträge müssen sich an den Einkünften orientieren. "Was wir nicht einnehmen, können wir auch nicht zahlen", schließt sich López deren Forderung an. Allerdings tendiert er bisher eher zum Mietstreik, denn in Granada gibt es eine Mietergewerkschaft, während es kaum eine Organisierung der Selbstständigen gibt. Auch in dieser Frage blickt er mit "gesundem Neid" in den Norden nach Katalonien.

Demonstration der Mietergewerkschaft Barcelona: "Schluss mit den überhöhten Mieten, lassen wir die Blase platzen!" Bild: Ralf Streck

Von dort kommen bekanntlich auch die Mietergewerkschaften, die nun ebenfalls der Regierung die Zähne zeigen. Gegenüber Telepolis erklärt Silvia Abadía, die Sprecherin der Gewerkschaft in Barcelona: "Wir sind nicht bereit, zu akzeptieren, dass sich Millionen Familien in dieser Krise wieder verschulden müssen". Es sei beschämend, was der spanische Staat anbiete. "Ein Moratorium und Kleinkredite, die aber nicht einmal bei den Familien ankommen", erklärt Abadía. Klar ist, dass die Mieter bestenfalls verspätet volle Miete bezahlen sollen. Darüber müssten sie sich aber verschulden.

Es ist auch für die Katalanin klar, dass es nach Auslaufen des Moratoriums wieder zu massiven Zwangsräumungen kommen wird. "Wie sollen Familien, die schon vor der Krise die explodierten Mieten oft nicht mehr bezahlen konnten, bei Arbeitslosigkeit oder niedrigeren Einkünften wegen Kurzarbeit, ausfallenden Aufträgen bei Selbstständigen die Mieten und die Kredite zurückzahlen?"

Dass die Regierung auf die Forderungen der Streikenden eingehen wird, glaubt Abadía eher nicht. Sie verweist darauf, dass die "neoliberalen und konservativen Sozialdemokraten" den Ton im Kabinett angeben. "Das Kräfteverhältnis in der Regierung ist klar". Die Sozialdemokraten würden zwar stets viel versprechen, aber dann gehe es doch wieder darum, erneut Banken zu retten. Denn hinter vielen Projekten stehen Bankkredite, fallen aber Mietzahlungen aus, werden die Kredite faul und erneut kommen Banken ins Wanken. Genau das soll durch massive Staatsbürgschaften und Kleinkredite verhindert werden. Der "Rentenökonomie" sollen auch in der schweren Krise ohne Abstriche die überhöhten Mieten gesichert werden.

Doch könnte man von einer Linksregierung unter Beteiligung der von Podemos und der Vereinten Linken, die früher gegen Zwangsräumungen eingetreten sind, nicht etwas anderes erwarten? Zunächst druckst die Sprecherin der Mietergewerkschaft herum, schließlich entschließt sich Abadía aber dann doch zu einer persönlichen Antwort, spricht dabei aber nicht für ihre Organisation: "Andere würden Ihnen sicher was anderes sagen, aber ich persönlich erwarte nichts von ihnen oder nur sehr wenig".