"Es war ein Schock für mich, diese Äußerungen zum Karlsruher Attentat zu lesen"

Seite 2: Neue Entwicklungen im Fall Verena Becker

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Gab es nach dem Verfahren gegen Verena Becker weitere Entwicklungen?

Michael Buback: Ja. Es wurde bekannt, dass im Mai 1977 beim BKA wenigstens 40 Bilder des Dienstwagens meines Vaters angefertigt wurden und der zugehörige Filmstreifen noch jetzt dort lagert. Die Bilder wurden im Verlauf des Stuttgarter Verfahrens, nachdem ein ehemaliger Mitarbeiter des BKA auf sie aufmerksam gemacht hatte, zu den Prozessakten nachgereicht, nicht aber durch Inaugenscheinnahme in die Hauptverhandlung eingeführt.

Ich erfuhr von den Bildern erst nach dem Urteil, da sie mir als Nebenkläger nicht zugesandt wurden, sondern nur meinem Rechtsbeistand. Die Bilder belegen, dass bereits damals von BKA-Experten am Dienstwagen Rekonstruktionen der Schussbahnen durchgeführt wurden, die zu anderen Ergebnissen führen, als sie jetzt im Prozess ein Gutachter präsentiert hat. Weder der Senat noch die Bundesanwaltschaft haben auf diese Diskrepanz hingewiesen.

Die Fotos wurden in den früheren Prozessen zum Karlsruher Attentat - gegen Knut Folkerts sowie gegen Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar - nicht in die Hauptverhandlung eingeführt. Dies ist besonders befremdlich, da der Dienstwagen meines Vaters, der sich in der Obhut von BKA und Justiz befunden hat, nicht mehr vorhanden ist. Auch das Fluchtauto der Attentäter ist spurlos verschwunden. Wieviele DNA-Spuren hätte man im Fluchtauto finden können, zumal die Täter keine Vorkehrungen gegen diese Analytik treffen konnten, die 1977 noch unbekannt war.

Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz zwischen den damals vom BKA durchgeführten Analysen und dem Ergebnis, zu dem der Experte im Verfahren gegen Verena Becker gekommen ist?

Michael Buback: Dass Sachverständige zu unterschiedlichen Beurteilungen kommen, ist als solches nicht überraschend. Das Problem im vorliegenden Fall sehe ich darin, dass in der Hauptverhandlung von Seiten der Justiz, der die Dokumente vorlagen, nicht darauf hingewiesen wurde, dass BKA-Beamte bereits 1977 entsprechende Untersuchungen durchgeführt haben.

Somit wurde vor Gericht nicht erörtert, dass die Experten damals an dem vor ihnen stehenden PKW andere Erkenntnisse gewonnen haben als der Gutachter jetzt, dem nur Bildmaterial vorlag. Leider gibt es weitere bedrückende Diskrepanzen: In zahlreichen Fällen konnten sich Zeugen, die jetzt erstmals in einer Hauptverhandlung zum Karlsruher Attentat vernommen wurden, nicht mit dem identifizieren, was als ihre damalige Aussage in die Akten gelangt ist. Auch das kann ich nicht erklären.

Zurück zur Entwicklung nach dem Prozess. Hat sich sonst noch etwas ereignet?

Michael Buback: Ja, ich wurde nach dem Urteil auf einen Augenzeugen hingewiesen, der sich kurz vor dem Attentat an der Aral-Tankstelle nahe beim Tatort aufgehalten hat. Er sah ein Motorrad, in dem er als Motorradbegeisterter sicher eine Suzuki erkannte. Lenker des Motorrads sei ein Mann gewesen.

Die Person auf dem Soziussitz sei von der Figur her eine Frau gewesen, zierlich, fast wie ein Kind, sagte er mir. Das Motorrad sei dann in Richtung Stadt - und damit auch in Richtung Tatort - losgefahren und gleich danach habe es geknallt.

Und?

Michael Buback: Ich habe diese Information an den Generalbundesanwalt weitergeleitet. Bei der nachfolgenden Vernehmung in der Behörde hat der Zeuge erklärt, dass auf dem Soziussitz eine Frau oder ein schmaler Mann gesessen habe. Diese Beschreibung passt auf keine der uns von der Behörde als Soziusfahrer genannten Personen.

Der Zeuge berichtete weiterhin, er habe sein Auto kurze Zeit später an der Karlsruher Kunsthalle abgestellt und sei in Richtung Tatort gelaufen. Wie in meinem Blog geschildert, teilte mir der Zeuge weiter mit: "Die Polizei sei schon vor Ort gewesen. Einem der Polizisten, die den Tatort absperrten, habe er seinen Namen genannt und berichtet, er habe das Motorrad mit zwei Personen darauf gesehen. Der Polizist habe geantwortet, es sei alles klar, man sei im Bilde. Der Name des Zeugen sei nicht notiert worden."

Dem Zeugen wurde jetzt in der Vernehmung bei der Bundesanwaltschaft mein Blogtext vorgelegt und er hat diese wichtige Passage nicht beanstandet. Sie besagt, dass ein Augenzeuge der Polizei Angaben über die zwei Personen auf dem Tatmotorrad anbietet, er aber mit der Bemerkung abgewiesen wird, es sei alles klar. Dieser bedrückende Sachverhalt stimmt überein mit dem, was andere Augenzeugen berichtet haben.

Es gibt - mit einer Ausnahme - von keiner der Personen, die in ihren Autos an der frequentierten Kreuzung warteten, ein am Tatort aufgenommenes Vernehmungsprotokoll. Dabei standen nach Zeugenangaben viele Wagen an der Kreuzung, die schließlich durchgewinkt worden seien. Die einzige Ausnahme stellt der jugoslawische Zeuge dar, der in seinem Auto neben dem Dienstwagen meines Vaters stand und losfuhr, als die Ampel auf Grün sprang. Er kam aber nicht weit, da sein Vorderreifen durch ein Geschoss zerstört worden war.

Durch die Tagesschau und eine Presseerklärung des Stuttgarter Innenministeriums vom Tattag wird belegt, dass der Jugoslawe kurz nach der Tat sagte, eine Frau habe möglicherweise vom Beifahrersitz aus geschossen. Warum hat die Polizei die Augenzeugen nicht veranlasst, vor Ort zu bleiben, bis sie vernommen oder zumindest ihre Namen für eine spätere Vernehmung registriert worden waren?

Dieses Versäumnis spricht nicht für einen deutlichen Aufklärungswillen. Und wie kann es sein, dass ich über 30 Jahre nach dem Verbrechen auf diesen und andere Augenzeugen hinweisen muss? Warum wurden nicht alle Augenzeugen der Tat sofort oder spätestens an den Tagen gleich nach dem Attentat von Ermittlerseite festgestellt?