"Es war ein Schock für mich, diese Äußerungen zum Karlsruher Attentat zu lesen"

Seite 3: Akten unter Verschluss. Wer hütet solch ein Geheimnis?

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Etwas anderes: In einem 2013 erschienenen Buch spricht Innenminister Thomas de Maizière darüber, dass noch immer Akten unter Verschluss gehalten werden. Er sagte: "...es gab Zusagen früherer Regierungen an bestimmte Personen, etwas nicht offenzulegen. Und daran haben sich alle Nachfolgeregierungen - auch ich mich - gebunden gefühlt. Aber wir haben dann Aktenauszüge oder Sachverhalte so zusammengestellt, dass sie Rückschlüsse auf bestimmte Personen nicht zugelassen und zugleich eine vollständige Aufklärung der strafrechtlichen Beteiligung ermöglicht haben. Das haben wir genau so mit der damaligen Generalbundesanwältin besprochen…" Was halten Sie von diesen Aussagen?

Michael Buback: Es war ein Schock für mich, diese Äußerungen zum Karlsruher Attentat zu lesen.

Warum?

Michael Buback: Die Information des Ministers zeigt: Es gab in Verbindung mit dem Karlsruher Attentat schützende Zusagen und sogar eine Ressort übergreifende Absprache bei der Zusammenstellung von Aktenauszügen und Sachverhalten. Inzwischen ist auch klar, dass die ausgewählten Aktenauszüge und Sachverhalte eben nicht für eine vollständige Aufklärung gereicht haben.

Ich frage mich auch, wie der Minister von der Existenz der Zusagen früherer Regierungen an "bestimmte Personen" erfahren hat. Wer hütet solch ein Geheimnis? Und warum hat der Minister diese Information jetzt einem Journalisten mitgeteilt, aber nicht mir bei unserem zweimaligen Briefwechsel vor der Hauptverhandlung?

Das hätte meiner Frau und mir mehr als zwei sehr bittere Jahre erspart. Wenn wir gewusst hätten, dass die Bundesregierung und deren Vorgänger gezielt Informationen zum Karlsruher Attentat zurückhalten, hätten wir uns nicht auf diesen kraft- und zeitraubenden, äußerst frustrierenden Prozess eingelassen. Erstaunlich ist auch, dass es in der Presse keine Resonanz auf die Äußerungen des Ministers gab. Journalisten könnten Persönlichkeiten befragen, die als Regierungschefs, Vizekanzler, Justiz- oder Innenminister in den vergangenen gut drei Jahrzehnten Verantwortung trugen.

Wenn man weiß, dass Verena Becker Informantin des Verfassungsschutzes war, ist es durchaus möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, dass sie eine der mit Zusagen ausgestatteten Personen ist. Die Antwort, die in Stuttgart angeklagte Verena Becker gehöre nicht zum Kreis der mit einer Zusage geschützten Personen, hätte man mir übrigens auf meine Nachfrage geben können, da in diesem Falle keine Zusage verletzt würde. Deshalb vermisse ich diese Auskunft.

Wenn Sie nun zurückblicken: Was meinen Sie, ist in dem Verfahren gegen Verena Becker falsch gelaufen?

Michael Buback: Das Verfahren war offensichtlich nicht erfolgreich, denn die Justiz steht mit leeren Händen da. Der Senat kann die Karlsruher Täter nicht nennen. Die Ermittler und Strafverfolger müssen also weiter suchen, da Mord nicht verjährt. Es wird kein Verfahren mehr gegen Verena Becker geben.

Das Stuttgarter Urteil bedeutet aber, wie der den Bruder meines Vaters vertretende Rechtsanwalt Matthias Rätzlaff erkannt hat, dass zwingend gegen weitere ehemalige RAF-Mitglieder wegen Beihilfe beim Karlsruher Attentat zu ermitteln ist. Im Urteil gegen Verena Becker steht, die Entscheidung über die Durchführung von Anschlägen sei aufgrund kollektiver und gleichberechtigter Willensentscheidungen aller RAF-Mitglieder erfolgt.

Die "Aktionen" seien nach eingehender Diskussion einstimmig und damit verbindlich festgelegt worden. Für den Tatbestand der Beihilfe genüge es, dass ein Gehilfe die Haupttat im Vorbereitungsstadium fördert. Die Unterstützung könne auch in Form psychischer Beihilfe schon dadurch geleistet werden, dass der Gehilfe den Haupttäter in seinem schon gefassten Tatentschluss bestärkt.

Somit müsste die Bundesanwaltschaft gegen weitere "Gehilfen" tätig werden, auf die der Vorwurf einer solchen Beihilfe in gleicher Weise zutrifft wie auf Verena Becker, die für diesen Tatbeitrag verurteilt wurde.

Was heißt das?

Michael Buback: In besonderem Maße müsste dieser Tatvorwurf für Stefan Wisniewski gelten, der an beiden RAF-Treffen teilgenommen hat, aber auch für Siegfried Haag und Roland Mayer, bei denen - wie in einer kürzlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofs ausgeführt - kein Strafklageverbrauch hinsichtlich der Taten der Offensive 77 eingetreten ist.