Ethische Tabus führen nur zu Lähmungen

Ein Gespräch mit dem Philosophen Norbert Bolz über Klonen und andere Formen, dem Zufall ein Schnippchen zu schlagen

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Der Medienphilosoph über den Wunsch, Herr über die eigene Existenz zu werden, die Marginalisierung der Männer und die Schwäche der Ethik. Bolz fordert eine größere Souveränität im Umgang mit den Techniken.

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Das Schaf Dolly wurde zu einem Star, weil es das erste Tier ist, das aus einer erwachsenen Zelle geklont wurde. Klonen ist damit auch prinzipiell beim Menschen möglich, und wird sicher auch irgendwann und irgendwie gemacht werden. Man muß sich Gedanken darüber machen, was das bedeuten könnte. Könntest du dir persönlich vorstellen, Klone von dir zu erzeugen?

NORBERT BOLZ: Für mich persönlich kann ich mir das nicht vorstellen, aber natürlich ist der Gedanke prinzipiell sehr ernst zu nehmen. Ich habe im Radio jetzt schon mehrfach sogenannte Fachleute gehört, die meinten, nur von Irren könnte der Wunsch kommen, sich genetisch zu verdoppeln. Ich finde das nicht so absolut wahnsinnig, wenn man an die Menschen denkt, die sich einfrieren lassen, oder die alle Hoffnungen darauf setzen, daß man ihnen irgendwann gegen ihre Sterblichkeit eine Art Wunderdroge geben könne.
Die Möglichkeiten der unendlichen Verlängerung des eigenen Lebens, die weidlich genutzt werden und die man kräftig erforscht, bauen im Grunde auf etwas ganz Ähnliches auf, nämlich dem ärgerlichen Faktum der eigenen Kreatürlichkeit und Sterblichkeit endlich einmal ein Schnippchen zu schlagen. Ich fände es viel sinnvoller, diesen Sachverhalt in den Kontext der Versuche zu stellen, die eigene Evolution besser in den Griff zu bekommen.

: Eine Nutzanwendung bestünde darin, wenn man ein Kind bekommt, von diesem ein Klon, vielleicht hirntot, anzulegen, so daß dieses dann immer ein lebendiges Ersatzteillager hat oder, wenn das Urklon stirbt, daß man wieder ein neues, identisches Kind schaffen kann. Wenn man allerdings einmal vierzig oder fünfzig Jahre alt ist, dann ist es wohl relativ abstrus, sich einen eigenen Doppelgänger zu schaffen, der weder das eigene Alter noch die eigene personale Identität besitzt.

NORBERT BOLZ: Man muß sich aber nur daran erinnern, wie groß der Stolz der Väter ist, wenn sie glauben, in ihren Söhnen ihr Ebenbild wieder zu finden. Diese Sehnsucht, die eigene Identität festzuhalten, und die große Kränkung, abtreten zu müssen, ohne daß etwas zurückbleibt, stehen hinter dem starken und alten Wunsch, irgendeine Form der Unsterblichkeit zu gewinnen. Immer wenn man aus der Neuigkeit dieser Entwicklung ins Detail geht, nimmt das rasch monströse Formen oder absurde Züge an. Aber prinzipiell liegt das auf der Linie dessen, was wir seit langer Zeit schon erstreben: Herr über den Zufall der Existenz zu werden. Bei all dem spielt ja nicht nur die genetische Verdoppelung eine Rolle, sondern auch die der genetischen Veränderung.
Auch hier gibt es dieselben Menetekel des Frankensteinartigen, des synthetischen Menschen oder des Homunculus. Bei nüchterner Betrachtung steckt hier aber eine ungeheure Chance. Nicht alle Menschen sind glücklich. Nicht alle Menschen stehen auf der Sonnenseite des Lebens. Warum sollte man also von vorneherein Techniken verachten, die dem Glück ein wenig nachhelfen. Man muß schon sehr katholisch und gläubig sein, um die Existenz eines schwer behinderten Kindes von vorneherein höher zu schätzen, weil es gottgegeben ist, als eine schönere und glücklichere Existenz, die sich irgendwelcher genetischer Manipulationen verdankt.

Die Männer werden durch das Klonen im Reproduktionsprozeß überflüssig. Alice Schwarzer soll deshalb schon von der männerfreien Gesellschaft träumen.

NORBERT BOLZ: Dazu hätte es der Dolly gar nicht bedurft. Diese Tendenz, daß die Männer kulturell marginalisiert werden, ist schon lange sehr stark. Man hat schon eine Vielzahl von Techniken entwickelt, wie man sie zwar nicht faktisch, aber doch im Einzelfall überflüssig macht. Seit es Samenbanken gibt, ist dieses Thema schon da. Gibt es ernsthafte ethische Motive dafür, daß ein Mensch, der synthetisch mittels einer Samenbank hergestellt wird, in anderer Weise ein echter Mensch ist als ein vollkommen genetisch manipulierter? Hier schwinden mir die ethischen Unterscheidungskriterien.
Sobald Menschen sich vom Zufall der Existenz, vom Zufall entfernen, daß bei der sexuellen Vereinigung irgend etwas passiert, was schon mit der Anti-Baby-Pille geschieht, entfernt man sich auch von dem Tabu des gottgewollten und daher auch menschenwürdigen Lebens. Das Klonen ist nicht der große Bruch oder die große Katastrophe in unserer Geschichte, es ist ein weiterer Schritt der Emanzipation des Menschen aus seiner eigenen Evolutionsgeschichte.

Vielleicht geht man an die Geschichte ja auch falsch heran, wenn man nur fragt, warum jemand einen Klon von sich erzeugen will. Es könnte ja jemand oder ein Unternehmen aus einer gefundenen oder entwendeten Zelle einen Klon herstellen, den man gar nicht gewünscht hat und der einem dann plötzlich einmal begegnet. Wie steht es denn mit den Datenschutz für Gene oder mit dem genetischen Copyright?

NORBERT BOLZ: Ich würde aber sagen, je mehr wir das Ganze tabuisieren und das Klonen als absolutes Horrendum auszugrenzen, desto bedrohlicher wird diese Perspektive, denn ethische Diskussionen haben meines Wissens noch niemals in der Weltgeschichte irgend etwas verhindert. Sie haben nur zu einer Gelähmtheit der Zivilisationen gegenüber solchen Möglichkeiten geführt.
Wenn man es als eine Gefahr sieht, daß die bösen Buben sich jetzt multiplizieren könnten, dann ist das eher ein Grund dafür, offensiv mit diesem Potential umzugehen. Die Ächtung der Atomwaffen oder der biologischen Waffen, auf die man sich im Westen verständigt hat, hat nicht zu deren Abschaffung geführt, sondern sie sammeln und potenzieren sich in Bereichen, die wir nicht mehr überblicken können.
Ich habe ein prinzipielles Bedenken gegenüber der Vorstellung, man könnte durch die Aufrichtung von gesellschaftlichen Tabus Probleme lösen, die durch reine technologische Innovationen entstehen. Es wäre sehr viel besser, wenn man einmal überlegen würde, was ein souveräner Umgang mit diesem technologischen Potential sein könnte. Es gibt eine Menge von Biologen und Ernährungswissenschaftlern, die seit Jahrzehnten behaupten, daß die Menschheit im 21. Jahrhundert nur noch dann vernünftig ernährt werden könne, wenn man durch gentechnische Veränderung vollkommen neue Lebensmittel produziert. Bei Lebensmitteln schreit man nicht ganz so laut auf wie bei Lebewesen, aber das ist ein ähnliches Problem. Statt immer nur über sich selbst zu erschrecken, sollte man überlegen, ob es im Umgang mit solchen technischen Möglichkeiten auch eine Form der Souveränität gibt. Das fehlt uns offenbar sehr.

Wenn man sich einmal vorstellt, es gäbe mehrere Klons von einem selber. Da stellt sich doch ein Identitätsproblem, weil die personale Identität nicht mehr im Körper verankert ist, sondern nur noch in der eigenen Geschichte und dem Weg durch die Zufälle. Der Körper wird also immer unwichtiger, je besser wir ihn beherrschen können.

NORBERT BOLZ: Klonen ist eine Potenzierung der Erfahrung, die man mit der Zwillingsforschung gemacht hat. Sie war zunächst desillusionierend, wenn man die alte sozialdemokratische Hoffnung hatte, man könne durch Erziehung alles wieder gerade biegen. Aber man kann die Geschichte auch ganz anders sehen. Es gibt zwar ein sehr tiefreichende genetische Prägung, aber gerade deshalb wird es um so faszinierender zu sehen, wie die Menschen ihre Differenz als kulturelle und geistige Wesen herstellen. Je mehr wir uns körperlich optimieren, um so mehr wird der Unterschied, der einen Unterschied macht, ein geistiger Unterschied sein. Klonen ist in diesem Sinne auch ein Schritt hin zur Spiritualität.