EuGH: Schiedsgerichtsklausel in Investitionsschutzabkommen verstößt gegen EU-Recht

Bild: Alexander Drechsel / Adrechsel at the German language Wikipedia. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Die Entscheidung könnte nicht nur Auswirkungen auf einen Vertrag zwischen der Slowakei und den Niederlanden, sondern auf 196 weitere Abkommen zwischen EU-Mitgliedsländern haben

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ein gestern vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) bekannt gemachtes Urteil mit dem Aktenzeichen C-284/16 dürfte über den konkreten Fall hinaus Auswirkungen auf Investitionsschutzabkommen haben - zumindest auf solche zwischen zwei oder mehreren EU-Mitgliedsstaaten.

Anlass des Urteils war eine Forderung des niederländischen Versicherungskonzerns Achmea gegen die Slowakei. Die hatte 2006 eine in der Privatisierungseuphorie der Zeit davor beschlossene lukrative Liberalisierung des Krankenversicherungsmarktes teilweise rückgängig gemacht. Der Achmea-Konzern, der ein Tochterunternehmen in der Slowakei gegründet hatte, klagte daraufhin auf entgangene Gewinne und berief sich dabei auf ein Investitionsschutzabkommen, das die 1993 aufgelöste Tschechoslowakei mit den Niederlanden geschlossen hatte, den "Bilateral Investment Treaty" (BIT).

BIT vs. AEUV

Der BIT regelt, dass Streitigkeiten vor ein privates Schiedsgericht in der deutschen Stadt Frankfurt am Main kommen. Dieses Schiedsgericht sprach Achmea 2012 22,1 Millionen Euro entgangenen Gewinn zu, den die Slowakei dem Konzern zu erstatten habe. Die war damit nicht einverstanden und rief den deutschen Bundesgerichtshof an, der die Klage an den EuGH weiter reichte, um diesen prüfen zu lassen, ob die Schiedsklausel im Investitionsschutzabkommen mit den Artikeln 18, 267 und 344 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vereinbar ist. Bei dieser Prüfung stellte der EuGH fest, dass "die Slowakei und die Niederlande mit dem Abschluss des BIT einen Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten geschaffen haben, der nicht sicherzustellen vermag, dass über diese Streitigkeiten ein zum Gerichtssystem der Union gehörendes Gericht befindet" und dass "nur ein solches Gericht in der Lage [sei], die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten". "Unter diesen Umständen", so der EuGH, "beeinträchtigt die im BIT enthaltene Schiedsklausel die Autonomie des Unionsrechts und ist daher nicht mit ihm vereinbar".

Zwei EU-Mitgliedsstaatenblöcke auf verschiedenen Seiten

Roman Huber vom Bundesvorstand des Vereins Mehr Demokratie begrüßte diese Sätze gestern als "gute Nachricht für alle Organisationen, die durch ISDS [Investor-State Dispute Settlement] entstehende Paralleljustiz als Demokratieproblem kritisieren" und als "positives Signal für die Überprüfung des Handelsabkommens CETA zwischen der EU und Kanada auf seine Vereinbarkeit mit EU-Recht". Gegen dieses Abkommen ist eine auf Bestreben der Region Wallonie eingeleitete EuGH-Klage Belgiens anhängig, die sich vor allem auf die Schiedsgerichtklauseln bezieht.

Im Vorfeld des Urteils hatten verschiedene EU-Länder verschieden Haltungen zum Fall eingenommen: Während die Niederlande in ihrer Sichtweise zugunsten privater Schiedsgerichte von der deutschen, der französischen, der finnischen und der österreichischen Regierung unterstützt wurden, hatten Tschechien, Ungarn, Polen, Rumänien, Italien, Spanien, Griechenland, Zypern, Estland und Lettland mit Erklärungen die Position der Slowakei unterstützt. Das war keine Überraschung: "Von den 99 Verfahren, die 2014 EU-Investoren gegen EU-Staaten führten", rechnete Walter Gröh 2015 in Telepolis vor, "überwogend die Klagen gegen Tschechien und Spanien, da sie ihre Förderung von Sonnenstrom zurückgefahren hatten; als Beklagte folgten die Slowakei, Ungarn, Polen, Estland, Rumänien und Zypern" (vgl. TTIP nach dem Etappensieg im EU-Parlament).

Rumänien und El Salvador

Mehr Medienaufmerksamkeit als diese Klagen erzeugte eine vier Milliarden US-Dollar schwere Investitionsschutzklage des kanadischen Konzern Gabriel Resources gegen Rumänien. Das Unternehmen wollte mittels Zyanid Gold fördern, konnte nach Ansicht der rumänischen Behörden aber nicht in ausreichendem Maße für die Sicherheit des Verfahrens garantieren, weshalb die Regierung des Nachbarlandes Ungarn gegen die Pläne intervenierte. Außerdem mochten viele Rumänen ihre Grundstücke nicht verkaufen - oder zumindest nicht zu den Preisen, die man ihnen dafür bot (vgl. Der Exkanzler und das Gold: Milliardenstreit um Rumäniens Mine).

In einem anderen viel Aufsehen erregenden Investitionsschutzfall, in dem es um Goldabbau mittels Zyanid ging (vgl. Internationales Schiedsgericht als Ersatz-Goldmine), wies ein Schiedsgericht der Weltbank 2016 die 250-Millionen-Dollar-Klage einer kanadischen Firma gegen El Salvador zurück und das Unternehmen an, dem Land die Auslagen für den Rechtsstreit in Höhe von acht Millionen Dollar zu erstatten.