Eurobonds oder Eurohaushalt?

Seite 2: Finanzielle Zugeständnisse Berlins gegen Ausweitung der politischen Kontrolle

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Dieser im deutschen Scheinwahlkampf weitestgehend ignorierten Thematik widmete sich auch die New York Times (NYT), die den künftigen ESM als eine "Art von Eurohaushalt" bezeichnete, mit dem kontrazyklische keynesianische Investitionspolitik betreiben werde solle. In konjunkturellen Schwächeperioden sollen die Investitionen durch Zugriff auf Gelder des ESM angekurbelt werden.

Laut der NYT habe Schäuble der Notwendigkeit solcher "Finanztransfers von den reicheren zu den ärmeren Staaten" in der Eurozone bereits zugestimmt. Dies sei ein Zugeständnis an den französischen Präsidenten Macron, dessen Sichtweise Schäuble nun teilt.

Finanzielle Zugeständnisse Berlins gegen Ausweitung der politischen Kontrolle - diese Konfliktlinie zeichnet sich auch deutlich bei einer weiteren entscheidenden europapolitischen Weichenstellung ab, die schon jetzt hart hinter den Kulissen umkämpft ist, obwohl sie erst 2019 ansteht: der Besetzung des Chefpostens bei der Europäischen Zentralbank EZB.

Schäuble und Merkel sind wild entschlossen, den deutschen Bundesbankchef Jens Weidmann auf diesen Spitzenposten zu hieven, der für den gesamten Süden der Eurozone aufgrund seiner Kritik an deren expansiver Geldpolitik als ein rotes Tuch gilt. Weidmann gilt als einer der schärfsten Kritiker der "lockeren" Geldpolitik des derzeitigen EZB-Chefs Draghi.

Vorbehalte gegen Draghi

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung formulierte die "Vorbehalte" der Deutschen gegenüber dem Italiener auf der Spitze der EZB folgendermaßen: "Mit seiner ultraexpansiven Geldpolitik und dem 'Whatever it takes'-Versprechen gilt er vielen als Retter des Euro. In Deutschland gibt es aber viel Unmut über seine Nullzinspolitik. Ende Oktober 2019 läuft Draghis Amtszeit aus." Mittlerweile fordert Weidmann im Wochenrhythmus ein Ende der expansiven Geldpolitik der EZB.

Die EZB fungierte in der Eurokrise tatsächlich als ein Gegengewicht zum deutschen Spardiktat, da mit deren lockerer Geldpolitik die Folgen der schäublerischen Austerität gemildert werden konnten. Diese merkwürdige Konstellation, in der die EZB und Schäubles Finanzministerium konträre wirtschaftliche Strategien verfolgten, ist Folge der Machtkonstellation in der Eurozone bei Krisenausbruch.

Die Krisenpolitik in der EU war nicht geprägt durch eine konsistente wirtschaftspolitische Strategie, sondern durch die nationalen Machtverhältnisse in dem Währungsraum und seinen europäischen Institutionen.

Verheerende Austeritätspolitik und Öffnung der Geldschleusen

Schäuble gelang es, den europäischen Krisenstaaten eine verheerende Austeritätspolitik zu oktroyieren, um den sozioökonomischen Abstand der Peripherie zu Deutschland zu vergrößern und so die Dominanz Berlins in der Eurozone zu zementieren.

Die EZB unter dem Italiener Draghi bemühte sich hingegen darum, die Folgen dieses schäublerischen Sparregimes durch die Öffnung der Geldschleusen zu mildern. Aus dieser nationalen Machtkonstellation in "europäischen" Institutionen resultierte das scheinbar absurde nebenher von Austerität und Geldflut in der Eurozone.

Weidmann als Eurozonenchef - dies würde bedeuten, dass der Süden sein geldpolitisches Gegengewicht zur schäublerischen Austeritätspolitik verlieren würde. Die Aussicht auf einen Vorsitz Weidmanns lasse vielen Kapitalfunktionären in der EZB die "Nackenhaare zu Berge stehen", kommentierte die Financial Times die zunehmenden personalpolitischen Auseinandersetzungen hinter den Kulissen Anfang Juli.

Das größte Problem stelle dabei die permanente öffentliche Torpedierung des politischen Kurses der EZB während der Eurokrise dar, wie es ein Insider gegenüber der FT erläuterte: "Der Jens" sei zwar ein "netter Typ", aber leider habe er "niemals die EZB gegenüber der deutschen Öffentlichkeit verteidigt". Er müsse noch "beweisen, dass er für alle sprechen" könne, "und dies sei eine große Schwäche, wenn du eine multilaterale Institution führen willst".

Viele politische Entscheidungsträger in EU fürchteten vor allem, dass ein EZB-Präsident Weidmann "nicht entschieden genug handeln" werde, falls künftige Krise die "Eurozone anfällig für einen Kollaps" machten. Berlin müsste schon sehr weitreichenden strukturellen Reformen zustimmen, um die Abwehrhaltung gegenüber Weidmann aufzuweichen, erklärten europäischen Zentralbanker gegenüber der FT.

Deutsche Eurobonds gegen deutschen EZB-Chefposten?

Man würde sich folglich innerhalb der EZB "besser fühlen", wenn die EU zuerst die Bankenunion stärken und Eurobonds einführen würde, "bevor man einen Deutschen die Verantwortung für die EZB überlässt". Auch hier zeichnet sich somit ein entsprechender Deal ab: Deutsche Eurobonds gegen deutschen EZB-Chefposten.

Ähnlich argumentierte das Handelsblatt - unter Verweis auf Insider-Informationen - in einem Beitrag für seine englischsprachige Ausgabe. Um den Widerstand der südlichen Eurostaaten gegen diese umstrittene Personalie zu überwinden, müsste Berlin zu substanziellen Zugeständnissen bereit sein.

Die Bundesregierung werde wohl der Einführung von Eurobonds zustimmen müssen, erklärte eine Quelle gegenüber dem Handelsblatt: "Weidmann könnte nur dann an den südlichen Ländern passieren, wenn die Bundesregierung im Gegenzug breiten Zugeständnissen zustimmt." Hierunter würden "gemeinsame Bonds für die Eurozone" fallen, so das Handelsblatt.